weitläuftigen Untersuchung, auf deren Bahn uns Fichte geholfen hat; ein nicht genug zu schätzendes Verdienst, zu dessen Anerkennung ich durch das gegenwärtige Buch etwas beyzutragen wünsche.
§. 21.
Unter den Psychologen, welche jünger sind als Kant, befindet sich Einer, der leider schon zu den Verstor- benen gehört. Es ist der vortreftliche, auch von mir sehr hochgeschätzte Carus. Ich wünschte sehr, nicht bekennen zu müssen, dass dessen Psychologie mich die darin gesuchten Aufklärungen hat vermissen lassen. Was ich gefunden, brauche ich hier nicht zu beurtheilen, da meine Ansicht sehr leicht aus demjenigen kann geschlos- sen werden, was bereits über die Seelenvermögen, und die auf sie gedeuteten Abstracta, ist gesagt worden.
Von den noch Lebenden werde ich mir nur erlau- ben, die Herren Professoren Hoffbauer, Fries und Weiss zu nennen.
Der Grundriss der Erfahrungsseelenlehre von Hoff- bauer kann meiner Meinung nach nicht bloss als Bey- spiel, sondern beynahe als Muster einer klaren und ver- ständig geordneten Uebersicht bisheriger Psychologie be- trachtet werden. Das Streben, sich vor Erschleichungen zu hüten, ist in sorgfältiger Wahl der Ausdrücke über- all sichtbar. Als Methode wird sogleich im §. 10. die Induction angegeben. Auffallend aber ist es, dass nun gleichwohl das ganze Buch den gewöhnlichen Weg vom Allgemeinen zum Besondern hinabsteigt, während die Induction den gerade entgegengesetzten Gang erfordert. Sollen Leser und Zuhörer von den letzten Resultaten zu der Erkenntnissquelle geführt werden? Sollen sie mit dem Glauben anfangen, und mit dem Schauen endigen? So giebt es auch Vorträge der Chemie, worin mit dem Sauer- stoff angefangen, mit den bekannten und sichtbaren Kör- pern geendigt wird; anstatt dem Zuhörer zuerst die Ex- perimente bekannt zu machen, aus welchen auf den Sauer- stoff und seines Gleichen zu schliessen ist. -- Aber ich
I. E
weitläuftigen Untersuchung, auf deren Bahn uns Fichte geholfen hat; ein nicht genug zu schätzendes Verdienst, zu dessen Anerkennung ich durch das gegenwärtige Buch etwas beyzutragen wünsche.
§. 21.
Unter den Psychologen, welche jünger sind als Kant, befindet sich Einer, der leider schon zu den Verstor- benen gehört. Es ist der vortreftliche, auch von mir sehr hochgeschätzte Carus. Ich wünschte sehr, nicht bekennen zu müssen, daſs dessen Psychologie mich die darin gesuchten Aufklärungen hat vermissen lassen. Was ich gefunden, brauche ich hier nicht zu beurtheilen, da meine Ansicht sehr leicht aus demjenigen kann geschlos- sen werden, was bereits über die Seelenvermögen, und die auf sie gedeuteten Abstracta, ist gesagt worden.
Von den noch Lebenden werde ich mir nur erlau- ben, die Herren Professoren Hoffbauer, Fries und Weiſs zu nennen.
Der Grundriſs der Erfahrungsseelenlehre von Hoff- bauer kann meiner Meinung nach nicht bloſs als Bey- spiel, sondern beynahe als Muster einer klaren und ver- ständig geordneten Uebersicht bisheriger Psychologie be- trachtet werden. Das Streben, sich vor Erschleichungen zu hüten, ist in sorgfältiger Wahl der Ausdrücke über- all sichtbar. Als Methode wird sogleich im §. 10. die Induction angegeben. Auffallend aber ist es, daſs nun gleichwohl das ganze Buch den gewöhnlichen Weg vom Allgemeinen zum Besondern hinabsteigt, während die Induction den gerade entgegengesetzten Gang erfordert. Sollen Leser und Zuhörer von den letzten Resultaten zu der Erkenntniſsquelle geführt werden? Sollen sie mit dem Glauben anfangen, und mit dem Schauen endigen? So giebt es auch Vorträge der Chemie, worin mit dem Sauer- stoff angefangen, mit den bekannten und sichtbaren Kör- pern geendigt wird; anstatt dem Zuhörer zuerst die Ex- perimente bekannt zu machen, aus welchen auf den Sauer- stoff und seines Gleichen zu schlieſsen ist. — Aber ich
I. E
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0085"n="65"/>
weitläuftigen Untersuchung, auf deren Bahn uns <hirendition="#g">Fichte</hi><lb/>
geholfen hat; ein nicht genug zu schätzendes Verdienst,<lb/>
zu dessen Anerkennung ich durch das gegenwärtige Buch<lb/>
etwas beyzutragen wünsche.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 21.</head><lb/><p>Unter den Psychologen, welche jünger sind als <hirendition="#g">Kant</hi>,<lb/>
befindet sich Einer, der leider schon zu den Verstor-<lb/>
benen gehört. Es ist der vortreftliche, auch von mir<lb/>
sehr hochgeschätzte <hirendition="#g">Carus</hi>. Ich wünschte sehr, nicht<lb/>
bekennen zu müssen, daſs dessen Psychologie mich die<lb/>
darin gesuchten Aufklärungen hat vermissen lassen. Was<lb/>
ich gefunden, brauche ich hier nicht zu beurtheilen, da<lb/>
meine Ansicht sehr leicht aus demjenigen kann geschlos-<lb/>
sen werden, was bereits über die Seelenvermögen, und<lb/>
die auf sie gedeuteten Abstracta, ist gesagt worden.</p><lb/><p>Von den noch Lebenden werde ich mir nur erlau-<lb/>
ben, die Herren Professoren <hirendition="#g">Hoffbauer, Fries</hi> und<lb/><hirendition="#g">Weiſs</hi> zu nennen.</p><lb/><p>Der Grundriſs der Erfahrungsseelenlehre von <hirendition="#g">Hoff-<lb/>
bauer</hi> kann meiner Meinung nach nicht bloſs als Bey-<lb/>
spiel, sondern beynahe als Muster einer klaren und ver-<lb/>
ständig geordneten Uebersicht bisheriger Psychologie be-<lb/>
trachtet werden. Das Streben, sich vor Erschleichungen<lb/>
zu hüten, ist in sorgfältiger Wahl der Ausdrücke über-<lb/>
all sichtbar. Als Methode wird sogleich im §. 10. die<lb/><hirendition="#g">Induction</hi> angegeben. Auffallend aber ist es, daſs nun<lb/>
gleichwohl das ganze Buch den gewöhnlichen Weg vom<lb/>
Allgemeinen zum Besondern hinabsteigt, während die<lb/>
Induction den gerade entgegengesetzten Gang erfordert.<lb/>
Sollen Leser und Zuhörer von den letzten Resultaten zu<lb/>
der Erkenntniſsquelle geführt werden? Sollen sie mit dem<lb/>
Glauben anfangen, und mit dem Schauen endigen? So<lb/>
giebt es auch Vorträge der Chemie, worin mit dem Sauer-<lb/>
stoff angefangen, mit den bekannten und sichtbaren Kör-<lb/>
pern geendigt wird; anstatt dem Zuhörer zuerst die Ex-<lb/>
perimente bekannt zu machen, aus welchen auf den Sauer-<lb/>
stoff und seines Gleichen zu schlieſsen ist. — Aber ich<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">I.</hi> E</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[65/0085]
weitläuftigen Untersuchung, auf deren Bahn uns Fichte
geholfen hat; ein nicht genug zu schätzendes Verdienst,
zu dessen Anerkennung ich durch das gegenwärtige Buch
etwas beyzutragen wünsche.
§. 21.
Unter den Psychologen, welche jünger sind als Kant,
befindet sich Einer, der leider schon zu den Verstor-
benen gehört. Es ist der vortreftliche, auch von mir
sehr hochgeschätzte Carus. Ich wünschte sehr, nicht
bekennen zu müssen, daſs dessen Psychologie mich die
darin gesuchten Aufklärungen hat vermissen lassen. Was
ich gefunden, brauche ich hier nicht zu beurtheilen, da
meine Ansicht sehr leicht aus demjenigen kann geschlos-
sen werden, was bereits über die Seelenvermögen, und
die auf sie gedeuteten Abstracta, ist gesagt worden.
Von den noch Lebenden werde ich mir nur erlau-
ben, die Herren Professoren Hoffbauer, Fries und
Weiſs zu nennen.
Der Grundriſs der Erfahrungsseelenlehre von Hoff-
bauer kann meiner Meinung nach nicht bloſs als Bey-
spiel, sondern beynahe als Muster einer klaren und ver-
ständig geordneten Uebersicht bisheriger Psychologie be-
trachtet werden. Das Streben, sich vor Erschleichungen
zu hüten, ist in sorgfältiger Wahl der Ausdrücke über-
all sichtbar. Als Methode wird sogleich im §. 10. die
Induction angegeben. Auffallend aber ist es, daſs nun
gleichwohl das ganze Buch den gewöhnlichen Weg vom
Allgemeinen zum Besondern hinabsteigt, während die
Induction den gerade entgegengesetzten Gang erfordert.
Sollen Leser und Zuhörer von den letzten Resultaten zu
der Erkenntniſsquelle geführt werden? Sollen sie mit dem
Glauben anfangen, und mit dem Schauen endigen? So
giebt es auch Vorträge der Chemie, worin mit dem Sauer-
stoff angefangen, mit den bekannten und sichtbaren Kör-
pern geendigt wird; anstatt dem Zuhörer zuerst die Ex-
perimente bekannt zu machen, aus welchen auf den Sauer-
stoff und seines Gleichen zu schlieſsen ist. — Aber ich
I. E
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/85>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.