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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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die Stärke des augenblicklichen Anwachses des Vorstel-
lens, oder [Formel 1] .

§. 95.

Aus dem Vorigen versteht sich von selbst, dass eine
Vorstellung, die nicht gerade die erste ihrer Classe ist,
für das vorstellende Wesen, schon andere entgegenge-
setzte im Bewusstseyn antreffen wird; und dass sie von
der Hemmung durch dieselben zu leiden hat, schon wäh-
rend der Zeit ihrer allmähligen Erzeugung. Dieses er-
giebt die wichtige Folge, dass die successiv erzeug-
ten Elemente des Vorstellens nicht vollständig
verschmelzen können; dass also die aus ihnen
entspringende Totalkraft bey weitem nicht
gleich kommt der ganzen Summe des Vorstel-
lens
.

Und hiemit haben wir nun den Gegenstand unsrer
nächsten Untersuchung. Es fragt sich nämlich: wie gross
ist am Ende der Zeit t der eigentliche Gewinn der Wahr-
nehmung, die aus den unendlich kleinen Elementen er-
wachsene endliche Stärke der gegebenen Vorstellung? --
Um dieses zu beantworten, müssen wir vor Allem den
Verlauf der Hemmung des Wahrgenommenen während
der Wahrnehmung, näher betrachten.

Zunächst ist die veränderliche Hemmungssumme zu
bestimmen. Dieselbe sey =n, so nimmt sie im Zeittheil-
chen dt, wegen der wirklichen Hemmung ab um ndt. Sie
nimmt aber auch zu um pbphe-- bt dt, wenn p der Hem-
mungsgrad des Wahrgenommenen gegen die schon vor-
handenen Vorstellungen. Denn bphe--bt ist die Stärke
des augenblicklichen Anwachsens (§. 94.), und es ist kein
Zweifel, dass die erst entstehende Vorstellung, welche,
Anfangs wenigstens, die schwächste von allen ist, selbst
mit in die Hemmungssumme eingehe; obgleich dieses
weiterhin sich ändern kann. (Man vergleiche §. 52.)
Demnach

die Stärke des augenblicklichen Anwachses des Vorstel-
lens, oder [Formel 1] .

§. 95.

Aus dem Vorigen versteht sich von selbst, daſs eine
Vorstellung, die nicht gerade die erste ihrer Classe ist,
für das vorstellende Wesen, schon andere entgegenge-
setzte im Bewuſstseyn antreffen wird; und daſs sie von
der Hemmung durch dieselben zu leiden hat, schon wäh-
rend der Zeit ihrer allmähligen Erzeugung. Dieses er-
giebt die wichtige Folge, daſs die successiv erzeug-
ten Elemente des Vorstellens nicht vollständig
verschmelzen können; daſs also die aus ihnen
entspringende Totalkraft bey weitem nicht
gleich kommt der ganzen Summe des Vorstel-
lens
.

Und hiemit haben wir nun den Gegenstand unsrer
nächsten Untersuchung. Es fragt sich nämlich: wie groſs
ist am Ende der Zeit t der eigentliche Gewinn der Wahr-
nehmung, die aus den unendlich kleinen Elementen er-
wachsene endliche Stärke der gegebenen Vorstellung? —
Um dieses zu beantworten, müssen wir vor Allem den
Verlauf der Hemmung des Wahrgenommenen während
der Wahrnehmung, näher betrachten.

Zunächst ist die veränderliche Hemmungssumme zu
bestimmen. Dieselbe sey =ν, so nimmt sie im Zeittheil-
chen dt, wegen der wirklichen Hemmung ab um νdt. Sie
nimmt aber auch zu um πβφeβt dt, wenn π der Hem-
mungsgrad des Wahrgenommenen gegen die schon vor-
handenen Vorstellungen. Denn βφeβt ist die Stärke
des augenblicklichen Anwachsens (§. 94.), und es ist kein
Zweifel, daſs die erst entstehende Vorstellung, welche,
Anfangs wenigstens, die schwächste von allen ist, selbst
mit in die Hemmungssumme eingehe; obgleich dieses
weiterhin sich ändern kann. (Man vergleiche §. 52.)
Demnach

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[319/0339] die Stärke des augenblicklichen Anwachses des Vorstel- lens, oder [FORMEL]. §. 95. Aus dem Vorigen versteht sich von selbst, daſs eine Vorstellung, die nicht gerade die erste ihrer Classe ist, für das vorstellende Wesen, schon andere entgegenge- setzte im Bewuſstseyn antreffen wird; und daſs sie von der Hemmung durch dieselben zu leiden hat, schon wäh- rend der Zeit ihrer allmähligen Erzeugung. Dieses er- giebt die wichtige Folge, daſs die successiv erzeug- ten Elemente des Vorstellens nicht vollständig verschmelzen können; daſs also die aus ihnen entspringende Totalkraft bey weitem nicht gleich kommt der ganzen Summe des Vorstel- lens. Und hiemit haben wir nun den Gegenstand unsrer nächsten Untersuchung. Es fragt sich nämlich: wie groſs ist am Ende der Zeit t der eigentliche Gewinn der Wahr- nehmung, die aus den unendlich kleinen Elementen er- wachsene endliche Stärke der gegebenen Vorstellung? — Um dieses zu beantworten, müssen wir vor Allem den Verlauf der Hemmung des Wahrgenommenen während der Wahrnehmung, näher betrachten. Zunächst ist die veränderliche Hemmungssumme zu bestimmen. Dieselbe sey =ν, so nimmt sie im Zeittheil- chen dt, wegen der wirklichen Hemmung ab um νdt. Sie nimmt aber auch zu um πβφe— βt dt, wenn π der Hem- mungsgrad des Wahrgenommenen gegen die schon vor- handenen Vorstellungen. Denn βφe—βt ist die Stärke des augenblicklichen Anwachsens (§. 94.), und es ist kein Zweifel, daſs die erst entstehende Vorstellung, welche, Anfangs wenigstens, die schwächste von allen ist, selbst mit in die Hemmungssumme eingehe; obgleich dieses weiterhin sich ändern kann. (Man vergleiche §. 52.) Demnach

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/339>, abgerufen am 21.11.2024.