Nach einigen Tagen Scirocco, der Regen in Wolkenbrüchen ergoß, hat sich heute wieder eine klare Tramontana eingestellt; Hügel und Thä- ler und Gebirge schweben weit und breit in lau- ter erquickendem Himmel, und ein leichter Aether hebt von der Erd' empor und von dan- nen. Dieß sind meine letzten Stunden im Va- tikan; ich will, ich muß nun scheiden. Ach, scheiden von der Kunst überhaupt! sie ist meine Bestimmung nicht; ich habe mich nur jugend- lich getäuscht. Nach dem geheimen Gefühl, daß der Endzweck aller Existenz ist, gut zu seyn, und Schönheit zu genießen; und daß Gott selbst keine andre Glückseeligkeit habe: wähnt ich, am ersten meine Beruhigung in der Mahlerey zu finden; und arbeitete mich herum mit Traum und Schatten. Mein Herz und Geist trachtet nach einer kräftigern Nahrung, und findet diese
allein
Rom, Dezember.
Nach einigen Tagen Scirocco, der Regen in Wolkenbruͤchen ergoß, hat ſich heute wieder eine klare Tramontana eingeſtellt; Huͤgel und Thaͤ- ler und Gebirge ſchweben weit und breit in lau- ter erquickendem Himmel, und ein leichter Aether hebt von der Erd’ empor und von dan- nen. Dieß ſind meine letzten Stunden im Va- tikan; ich will, ich muß nun ſcheiden. Ach, ſcheiden von der Kunſt uͤberhaupt! ſie iſt meine Beſtimmung nicht; ich habe mich nur jugend- lich getaͤuſcht. Nach dem geheimen Gefuͤhl, daß der Endzweck aller Exiſtenz iſt, gut zu ſeyn, und Schoͤnheit zu genießen; und daß Gott ſelbſt keine andre Gluͤckſeeligkeit habe: waͤhnt ich, am erſten meine Beruhigung in der Mahlerey zu finden; und arbeitete mich herum mit Traum und Schatten. Mein Herz und Geiſt trachtet nach einer kraͤftigern Nahrung, und findet dieſe
allein
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[62/0070]
Rom, Dezember.
Nach einigen Tagen Scirocco, der Regen in
Wolkenbruͤchen ergoß, hat ſich heute wieder eine
klare Tramontana eingeſtellt; Huͤgel und Thaͤ-
ler und Gebirge ſchweben weit und breit in lau-
ter erquickendem Himmel, und ein leichter
Aether hebt von der Erd’ empor und von dan-
nen. Dieß ſind meine letzten Stunden im Va-
tikan; ich will, ich muß nun ſcheiden. Ach,
ſcheiden von der Kunſt uͤberhaupt! ſie iſt meine
Beſtimmung nicht; ich habe mich nur jugend-
lich getaͤuſcht. Nach dem geheimen Gefuͤhl,
daß der Endzweck aller Exiſtenz iſt, gut zu ſeyn,
und Schoͤnheit zu genießen; und daß Gott ſelbſt
keine andre Gluͤckſeeligkeit habe: waͤhnt ich,
am erſten meine Beruhigung in der Mahlerey
zu finden; und arbeitete mich herum mit Traum
und Schatten. Mein Herz und Geiſt trachtet
nach einer kraͤftigern Nahrung, und findet dieſe
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/70>, abgerufen am 21.12.2024.
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