Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

drinnen, dacht' ich, muß sich's recht lieb und
innig leben lassen, und die alte Großmutter er¬
zählt gewiß die heimlichsten Geschichten. Während
der Wagen unerbittlich vorbeifuhr, schaut' ich
noch oft zurück, um die bläulichen Rauchsäulen
aus den kleinen Schornsteinen steigen zu sehen,
und es regnete dann immer stärker, außer mir
und in mir, daß mir fast die Tropfen aus den
Augen herauskamen.

Oft hob sich auch mein Herz, und trotz dem
schlechten Wetter klomm es zu den Leuten, die
ganz oben auf den Bergen wohnen, und vielleicht
kaum einmal im Leben herabkommen, und wenig
erfahren von dem, was hier unten geschieht.
Sie sind deshalb um nichts minder fromm und
glücklich. Von der Politik wissen sie nichts, als
daß sie einen Kaiser haben, der einen weißen
Rock und rothe Hosen trägt; das hat ihnen der
alte Ohm erzählt, der es selbst in Insbruck ge¬

drinnen, dacht' ich, muß ſich's recht lieb und
innig leben laſſen, und die alte Großmutter er¬
zaͤhlt gewiß die heimlichſten Geſchichten. Waͤhrend
der Wagen unerbittlich vorbeifuhr, ſchaut' ich
noch oft zuruͤck, um die blaͤulichen Rauchſaͤulen
aus den kleinen Schornſteinen ſteigen zu ſehen,
und es regnete dann immer ſtaͤrker, außer mir
und in mir, daß mir faſt die Tropfen aus den
Augen herauskamen.

Oft hob ſich auch mein Herz, und trotz dem
ſchlechten Wetter klomm es zu den Leuten, die
ganz oben auf den Bergen wohnen, und vielleicht
kaum einmal im Leben herabkommen, und wenig
erfahren von dem, was hier unten geſchieht.
Sie ſind deshalb um nichts minder fromm und
gluͤcklich. Von der Politik wiſſen ſie nichts, als
daß ſie einen Kaiſer haben, der einen weißen
Rock und rothe Hoſen traͤgt; das hat ihnen der
alte Ohm erzaͤhlt, der es ſelbſt in Insbruck ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0083" n="75"/>
drinnen, dacht' ich, muß &#x017F;ich's recht lieb und<lb/>
innig leben la&#x017F;&#x017F;en, und die alte Großmutter er¬<lb/>
za&#x0364;hlt gewiß die heimlich&#x017F;ten Ge&#x017F;chichten. Wa&#x0364;hrend<lb/>
der Wagen unerbittlich vorbeifuhr, &#x017F;chaut' ich<lb/>
noch oft zuru&#x0364;ck, um die bla&#x0364;ulichen Rauch&#x017F;a&#x0364;ulen<lb/>
aus den kleinen Schorn&#x017F;teinen &#x017F;teigen zu &#x017F;ehen,<lb/>
und es regnete dann immer &#x017F;ta&#x0364;rker, außer mir<lb/>
und in mir, daß mir fa&#x017F;t die Tropfen aus den<lb/>
Augen herauskamen.</p><lb/>
          <p>Oft hob &#x017F;ich auch mein Herz, und trotz dem<lb/>
&#x017F;chlechten Wetter klomm es zu den Leuten, die<lb/>
ganz oben auf den Bergen wohnen, und vielleicht<lb/>
kaum einmal im Leben herabkommen, und wenig<lb/>
erfahren von dem, was hier unten ge&#x017F;chieht.<lb/>
Sie &#x017F;ind deshalb um nichts minder fromm und<lb/>
glu&#x0364;cklich. Von der Politik wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie nichts, als<lb/>
daß &#x017F;ie einen Kai&#x017F;er haben, der einen weißen<lb/>
Rock und rothe Ho&#x017F;en tra&#x0364;gt; das hat ihnen der<lb/>
alte Ohm erza&#x0364;hlt, der es &#x017F;elb&#x017F;t in Insbruck ge¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0083] drinnen, dacht' ich, muß ſich's recht lieb und innig leben laſſen, und die alte Großmutter er¬ zaͤhlt gewiß die heimlichſten Geſchichten. Waͤhrend der Wagen unerbittlich vorbeifuhr, ſchaut' ich noch oft zuruͤck, um die blaͤulichen Rauchſaͤulen aus den kleinen Schornſteinen ſteigen zu ſehen, und es regnete dann immer ſtaͤrker, außer mir und in mir, daß mir faſt die Tropfen aus den Augen herauskamen. Oft hob ſich auch mein Herz, und trotz dem ſchlechten Wetter klomm es zu den Leuten, die ganz oben auf den Bergen wohnen, und vielleicht kaum einmal im Leben herabkommen, und wenig erfahren von dem, was hier unten geſchieht. Sie ſind deshalb um nichts minder fromm und gluͤcklich. Von der Politik wiſſen ſie nichts, als daß ſie einen Kaiſer haben, der einen weißen Rock und rothe Hoſen traͤgt; das hat ihnen der alte Ohm erzaͤhlt, der es ſelbſt in Insbruck ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/83
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/83>, abgerufen am 30.12.2024.