Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

rungen -- Was ist die Liebe? Hat keiner ihr
Wesen ergründet? hat keiner das Räthsel gelöst?
Vielleicht bringt solche Lösung größere Qual als
das Räthsel selbst, und das Herz erschrickt und
erstarrt darob, wie beim Anblick der Medusa.
Schlangen ringeln sich um das schreckliche Wort,
das dieses Räthsel auflöst -- O, ich will dieses
Auflösungswort niemals wissen, das brennende
Elend in meinem Herzen ist mir immer noch
lieber als kalte Erstarrung. O, sprecht es nicht
aus, Ihr gestorbenen Gestalten, die Ihr schmerz¬
los wie Stein, aber auch gefühllos wie Stein
durch die Rosengärten dieser Welt wandelt, und
mit bleichen Lippen auf den thörigten Gesellen
herablächelt, der den Duft der Rosen preist und
über Dornen klagt.

Wenn ich dir aber, lieber Leser, nicht zu
sagen vermag, was die Liebe eigentlich ist, so
könnte ich dir doch ganz ausführlich erzählen,
wie man sich gebehrdet und wie einem zu Muth

18

rungen — Was iſt die Liebe? Hat keiner ihr
Weſen ergruͤndet? hat keiner das Raͤthſel geloͤſt?
Vielleicht bringt ſolche Loͤſung groͤßere Qual als
das Raͤthſel ſelbſt, und das Herz erſchrickt und
erſtarrt darob, wie beim Anblick der Meduſa.
Schlangen ringeln ſich um das ſchreckliche Wort,
das dieſes Raͤthſel aufloͤſt — O, ich will dieſes
Aufloͤſungswort niemals wiſſen, das brennende
Elend in meinem Herzen iſt mir immer noch
lieber als kalte Erſtarrung. O, ſprecht es nicht
aus, Ihr geſtorbenen Geſtalten, die Ihr ſchmerz¬
los wie Stein, aber auch gefuͤhllos wie Stein
durch die Roſengaͤrten dieſer Welt wandelt, und
mit bleichen Lippen auf den thoͤrigten Geſellen
herablaͤchelt, der den Duft der Roſen preiſt und
uͤber Dornen klagt.

Wenn ich dir aber, lieber Leſer, nicht zu
ſagen vermag, was die Liebe eigentlich iſt, ſo
koͤnnte ich dir doch ganz ausfuͤhrlich erzaͤhlen,
wie man ſich gebehrdet und wie einem zu Muth

18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0297" n="289"/>
rungen &#x2014; Was i&#x017F;t die Liebe? Hat keiner ihr<lb/>
We&#x017F;en ergru&#x0364;ndet? hat keiner das Ra&#x0364;th&#x017F;el gelo&#x0364;&#x017F;t?<lb/>
Vielleicht bringt &#x017F;olche Lo&#x0364;&#x017F;ung gro&#x0364;ßere Qual als<lb/>
das Ra&#x0364;th&#x017F;el &#x017F;elb&#x017F;t, und das Herz er&#x017F;chrickt und<lb/>
er&#x017F;tarrt darob, wie beim Anblick der Medu&#x017F;a.<lb/>
Schlangen ringeln &#x017F;ich um das &#x017F;chreckliche Wort,<lb/>
das die&#x017F;es Ra&#x0364;th&#x017F;el auflo&#x0364;&#x017F;t &#x2014; O, ich will die&#x017F;es<lb/>
Auflo&#x0364;&#x017F;ungswort niemals wi&#x017F;&#x017F;en, das brennende<lb/>
Elend in meinem Herzen i&#x017F;t mir immer noch<lb/>
lieber als kalte Er&#x017F;tarrung. O, &#x017F;precht es nicht<lb/>
aus, Ihr ge&#x017F;torbenen Ge&#x017F;talten, die Ihr &#x017F;chmerz¬<lb/>
los wie Stein, aber auch gefu&#x0364;hllos wie Stein<lb/>
durch die Ro&#x017F;enga&#x0364;rten die&#x017F;er Welt wandelt, und<lb/>
mit bleichen Lippen auf den tho&#x0364;rigten Ge&#x017F;ellen<lb/>
herabla&#x0364;chelt, der den Duft der Ro&#x017F;en prei&#x017F;t und<lb/>
u&#x0364;ber Dornen klagt.</p><lb/>
          <p>Wenn ich dir aber, lieber Le&#x017F;er, nicht zu<lb/>
&#x017F;agen vermag, was die Liebe eigentlich i&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
ko&#x0364;nnte ich dir doch ganz ausfu&#x0364;hrlich erza&#x0364;hlen,<lb/>
wie man &#x017F;ich gebehrdet und wie einem zu Muth<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">18<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0297] rungen — Was iſt die Liebe? Hat keiner ihr Weſen ergruͤndet? hat keiner das Raͤthſel geloͤſt? Vielleicht bringt ſolche Loͤſung groͤßere Qual als das Raͤthſel ſelbſt, und das Herz erſchrickt und erſtarrt darob, wie beim Anblick der Meduſa. Schlangen ringeln ſich um das ſchreckliche Wort, das dieſes Raͤthſel aufloͤſt — O, ich will dieſes Aufloͤſungswort niemals wiſſen, das brennende Elend in meinem Herzen iſt mir immer noch lieber als kalte Erſtarrung. O, ſprecht es nicht aus, Ihr geſtorbenen Geſtalten, die Ihr ſchmerz¬ los wie Stein, aber auch gefuͤhllos wie Stein durch die Roſengaͤrten dieſer Welt wandelt, und mit bleichen Lippen auf den thoͤrigten Geſellen herablaͤchelt, der den Duft der Roſen preiſt und uͤber Dornen klagt. Wenn ich dir aber, lieber Leſer, nicht zu ſagen vermag, was die Liebe eigentlich iſt, ſo koͤnnte ich dir doch ganz ausfuͤhrlich erzaͤhlen, wie man ſich gebehrdet und wie einem zu Muth 18

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/297
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/297>, abgerufen am 21.11.2024.