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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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erschrickt man, daß dieses Schnitzwerk aus un¬
widerlegbarem Marmor besteht. Die unzähligen
Heiligenbilder, die das ganze Gebäude bedecken,
die überall unter den gothischen Krondächlein her¬
vorgucken, und oben auf allen Spitzen gepflanzt
stehen, dieses steinerne Volk verwirrt einem fast
die Sinne. Betrachtet man das ganze Werk
etwas länger, so findet man es doch recht hübsch,
kolossal niedlich, ein Spielzeug für Riesenkinder.
Im mitternächtlichen Mondschein gewährt es
noch den besten Anblick, dann kommen all die
weißen Steinmenschen aus ihrer wimmelnden
Höhe herabgestiegen, und gehen mit einem über
die Piazza, und flüstern einem alte Geschichten
in's Ohr, putzig heilige, ganz geheime Geschichten
von Galeazzo Visconti, der den Dombau be¬
gonnen, und von Napoleon Buonaparte, der
ihn späterhin fortgesetzt.

Siehst du -- sagte mir ein gar seltsamer
Heiliger, der in der neuesten Zeit aus dem neue¬

erſchrickt man, daß dieſes Schnitzwerk aus un¬
widerlegbarem Marmor beſteht. Die unzaͤhligen
Heiligenbilder, die das ganze Gebaͤude bedecken,
die uͤberall unter den gothiſchen Krondaͤchlein her¬
vorgucken, und oben auf allen Spitzen gepflanzt
ſtehen, dieſes ſteinerne Volk verwirrt einem faſt
die Sinne. Betrachtet man das ganze Werk
etwas laͤnger, ſo findet man es doch recht huͤbſch,
koloſſal niedlich, ein Spielzeug fuͤr Rieſenkinder.
Im mitternaͤchtlichen Mondſchein gewaͤhrt es
noch den beſten Anblick, dann kommen all die
weißen Steinmenſchen aus ihrer wimmelnden
Hoͤhe herabgeſtiegen, und gehen mit einem uͤber
die Piazza, und fluͤſtern einem alte Geſchichten
in's Ohr, putzig heilige, ganz geheime Geſchichten
von Galeazzo Visconti, der den Dombau be¬
gonnen, und von Napoleon Buonaparte, der
ihn ſpaͤterhin fortgeſetzt.

Siehſt du — ſagte mir ein gar ſeltſamer
Heiliger, der in der neueſten Zeit aus dem neue¬

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[171/0179] erſchrickt man, daß dieſes Schnitzwerk aus un¬ widerlegbarem Marmor beſteht. Die unzaͤhligen Heiligenbilder, die das ganze Gebaͤude bedecken, die uͤberall unter den gothiſchen Krondaͤchlein her¬ vorgucken, und oben auf allen Spitzen gepflanzt ſtehen, dieſes ſteinerne Volk verwirrt einem faſt die Sinne. Betrachtet man das ganze Werk etwas laͤnger, ſo findet man es doch recht huͤbſch, koloſſal niedlich, ein Spielzeug fuͤr Rieſenkinder. Im mitternaͤchtlichen Mondſchein gewaͤhrt es noch den beſten Anblick, dann kommen all die weißen Steinmenſchen aus ihrer wimmelnden Hoͤhe herabgeſtiegen, und gehen mit einem uͤber die Piazza, und fluͤſtern einem alte Geſchichten in's Ohr, putzig heilige, ganz geheime Geſchichten von Galeazzo Visconti, der den Dombau be¬ gonnen, und von Napoleon Buonaparte, der ihn ſpaͤterhin fortgeſetzt. Siehſt du — ſagte mir ein gar ſeltſamer Heiliger, der in der neueſten Zeit aus dem neue¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/179>, abgerufen am 21.11.2024.