Das Werden ist auf diese Weise in gedoppelter Be- stimmung; als anfangend vom Nichts, das sich auf das Seyn bezieht, das heißt, in dasselbe übergeht, oder vom Seyn, das in das Nichts übergeht, -- Entstehen und Vergehen.
Aber diese so unterschiedenen Richtungen durchdrin- gen und paralysiren sich gegenseitig. Die eine ist Ver- gehen; Seyn geht in Nichts über, aber Nichts ist eben so sehr das Gegentheil seiner selbst und vielmehr das Uebergehen in Seyn, oder Entstehen. Diß Ent- stehen ist die andere Richtung; Nichts geht in Seyn über, aber Seyn hebt eben so sehr sich selbst auf und ist viel- mehr das Uebergehen in Nichts, oder Vergehen.
Entstehen und Vergehen sind daher nicht ein ver- schiedenes Werden, sondern unmittelbar Eines und das- selbe: Sie heben sich auch nicht gegenseitig, nicht das eine äusserlich das andere auf; sondern jedes hebt sich an sich selbst auf, und ist an ihm selbst das Gegentheil seiner.
3. Aufheben des Werdens.
Das Gleichgewicht, worein sich Entstehen und Ver- gehen setzen, ist zunächst das Werden selbst. Aber die- ses geht eben so in ruhige Einheit zusammen. Seyn und Nichts sind in ihm nur als verschwindende; aber das Werden als solches ist nur durch die Unter- schiedenheit derselben. Ihr Verschwinden ist daher das Verschwinden des Werdens, oder Verschwinden des Verschwindens selbst. Das Werden ist also eine hal- tungslose Unruhe, die in ein ruhiges Resultat zusammen- sinkt.
Diß
Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Das Werden iſt auf dieſe Weiſe in gedoppelter Be- ſtimmung; als anfangend vom Nichts, das ſich auf das Seyn bezieht, das heißt, in daſſelbe uͤbergeht, oder vom Seyn, das in das Nichts uͤbergeht, — Entſtehen und Vergehen.
Aber dieſe ſo unterſchiedenen Richtungen durchdrin- gen und paralyſiren ſich gegenſeitig. Die eine iſt Ver- gehen; Seyn geht in Nichts uͤber, aber Nichts iſt eben ſo ſehr das Gegentheil ſeiner ſelbſt und vielmehr das Uebergehen in Seyn, oder Entſtehen. Diß Ent- ſtehen iſt die andere Richtung; Nichts geht in Seyn uͤber, aber Seyn hebt eben ſo ſehr ſich ſelbſt auf und iſt viel- mehr das Uebergehen in Nichts, oder Vergehen.
Entſtehen und Vergehen ſind daher nicht ein ver- ſchiedenes Werden, ſondern unmittelbar Eines und daſ- ſelbe: Sie heben ſich auch nicht gegenſeitig, nicht das eine aͤuſſerlich das andere auf; ſondern jedes hebt ſich an ſich ſelbſt auf, und iſt an ihm ſelbſt das Gegentheil ſeiner.
3. Aufheben des Werdens.
Das Gleichgewicht, worein ſich Entſtehen und Ver- gehen ſetzen, iſt zunaͤchſt das Werden ſelbſt. Aber die- ſes geht eben ſo in ruhige Einheit zuſammen. Seyn und Nichts ſind in ihm nur als verſchwindende; aber das Werden als ſolches iſt nur durch die Unter- ſchiedenheit derſelben. Ihr Verſchwinden iſt daher das Verſchwinden des Werdens, oder Verſchwinden des Verſchwindens ſelbſt. Das Werden iſt alſo eine hal- tungsloſe Unruhe, die in ein ruhiges Reſultat zuſammen- ſinkt.
Diß
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Erſtes Buch. I. Abſchnitt.
Das Werden iſt auf dieſe Weiſe in gedoppelter Be-
ſtimmung; als anfangend vom Nichts, das ſich auf das
Seyn bezieht, das heißt, in daſſelbe uͤbergeht, oder vom
Seyn, das in das Nichts uͤbergeht, — Entſtehen
und Vergehen.
Aber dieſe ſo unterſchiedenen Richtungen durchdrin-
gen und paralyſiren ſich gegenſeitig. Die eine iſt Ver-
gehen; Seyn geht in Nichts uͤber, aber Nichts iſt
eben ſo ſehr das Gegentheil ſeiner ſelbſt und vielmehr
das Uebergehen in Seyn, oder Entſtehen. Diß Ent-
ſtehen iſt die andere Richtung; Nichts geht in Seyn uͤber,
aber Seyn hebt eben ſo ſehr ſich ſelbſt auf und iſt viel-
mehr das Uebergehen in Nichts, oder Vergehen.
Entſtehen und Vergehen ſind daher nicht ein ver-
ſchiedenes Werden, ſondern unmittelbar Eines und daſ-
ſelbe: Sie heben ſich auch nicht gegenſeitig, nicht das
eine aͤuſſerlich das andere auf; ſondern jedes hebt ſich
an ſich ſelbſt auf, und iſt an ihm ſelbſt das Gegentheil
ſeiner.
3.
Aufheben des Werdens.
Das Gleichgewicht, worein ſich Entſtehen und Ver-
gehen ſetzen, iſt zunaͤchſt das Werden ſelbſt. Aber die-
ſes geht eben ſo in ruhige Einheit zuſammen.
Seyn und Nichts ſind in ihm nur als verſchwindende;
aber das Werden als ſolches iſt nur durch die Unter-
ſchiedenheit derſelben. Ihr Verſchwinden iſt daher das
Verſchwinden des Werdens, oder Verſchwinden des
Verſchwindens ſelbſt. Das Werden iſt alſo eine hal-
tungsloſe Unruhe, die in ein ruhiges Reſultat zuſammen-
ſinkt.
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/92>, abgerufen am 22.02.2025.
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