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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 107. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
thatkräftigen Willen der Betheiligten; kein anderes Forum, als die
eigne Gewissenhaftigkeit und die öffentliche Meinung. Es gebührt
demnach zunächst den Betheiligten, sich unter Einander über die
Entscheidung zu verständigen, oder, dafern eine Vereinigung nicht
zu bewirken wäre, sich durch eigene Kraft in dem einseitig erkann-
ten Recht zu behaupten oder dasselbe zu erstreben. Das äußerste
Mittel zur Erhaltung, Wiedererlangung oder Durchsetzung des
Rechts gegen Widerspruch ist demnach Gewalt oder Selbsthilfe,
und zwar entweder eine defensive gegen bevorstehende Gefähr-
dungen des Rechts oder der ganzen Existenz, oder eine aggres-
sive Selbsthilfe
wegen Rechtsverweigerung. Die Erstere geht
ihrer Natur nach lediglich auf Abwendung der Gefahr und Siche-
rung gegen fernere Beeinträchtigung, die Letztere auf Erlangung
vollständiger Genugthuung. Sogar die völlige Vernichtung des
Gegners ist bis zur Erreichung dieser Zwecke nicht ausgeschlossen,
wiewohl dieselbe nie als das sofortige unmittelbare Ziel mit Recht
betrachtet werden darf. Das Dasein eines hinreichenden Grundes
zur Selbsthilfe und die Beobachtung der richtigen Grenzen, welche
durch den Zweck bestimmt werden, entscheidet zugleich über die Ge-
rechtigkeit der Selbsthilfe. Außerdem ist sie eine tadelnswerthe und
unrechte. Tadelnswerth erscheint sie insbesondere, wenn außer dem
Fall unmittelbarer Gefahr ohne Versuch gütlicher Mittel, ohne
Vorbringung und gehörige Unterstützung eines vermeintlichen An-
spruchs sogleich zu dem letzten Mittel gegriffen wird. Denn es ist
dieses an und für sich ein unzulässiges Mittel, gerecht nur als
Noth mittel.

Gütliche Versuche.

107. Zweckdienliche Mittel um den Andern von seinem Unrecht
zu überzeugen und zur Nachgiebigkeit zu bestimmen, welche auch
nicht unversucht bleiben dürfen, so lange keine unmittelbare Gefahr
eines Rechtsverlustes bevorsteht, sind diese:

zuerst diplomatische Unterhandlungen mit dem andern Theile
oder mit dritten Mächten, deren Stimme von Einfluß sein
kann, namentlich auch Mittheilung von entscheidenden Ac-
tenstücken und daraus hergenommenen Rechtsausführungen;
sodann öffentliche Verbreitung von Deductionen oder Memoi-
res mit ausdrücklichem oder selbstverstandenem Anruf der

§. 107. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
thatkräftigen Willen der Betheiligten; kein anderes Forum, als die
eigne Gewiſſenhaftigkeit und die öffentliche Meinung. Es gebührt
demnach zunächſt den Betheiligten, ſich unter Einander über die
Entſcheidung zu verſtändigen, oder, dafern eine Vereinigung nicht
zu bewirken wäre, ſich durch eigene Kraft in dem einſeitig erkann-
ten Recht zu behaupten oder daſſelbe zu erſtreben. Das äußerſte
Mittel zur Erhaltung, Wiedererlangung oder Durchſetzung des
Rechts gegen Widerſpruch iſt demnach Gewalt oder Selbſthilfe,
und zwar entweder eine defenſive gegen bevorſtehende Gefähr-
dungen des Rechts oder der ganzen Exiſtenz, oder eine aggreſ-
ſive Selbſthilfe
wegen Rechtsverweigerung. Die Erſtere geht
ihrer Natur nach lediglich auf Abwendung der Gefahr und Siche-
rung gegen fernere Beeinträchtigung, die Letztere auf Erlangung
vollſtändiger Genugthuung. Sogar die völlige Vernichtung des
Gegners iſt bis zur Erreichung dieſer Zwecke nicht ausgeſchloſſen,
wiewohl dieſelbe nie als das ſofortige unmittelbare Ziel mit Recht
betrachtet werden darf. Das Daſein eines hinreichenden Grundes
zur Selbſthilfe und die Beobachtung der richtigen Grenzen, welche
durch den Zweck beſtimmt werden, entſcheidet zugleich über die Ge-
rechtigkeit der Selbſthilfe. Außerdem iſt ſie eine tadelnswerthe und
unrechte. Tadelnswerth erſcheint ſie insbeſondere, wenn außer dem
Fall unmittelbarer Gefahr ohne Verſuch gütlicher Mittel, ohne
Vorbringung und gehörige Unterſtützung eines vermeintlichen An-
ſpruchs ſogleich zu dem letzten Mittel gegriffen wird. Denn es iſt
dieſes an und für ſich ein unzuläſſiges Mittel, gerecht nur als
Noth mittel.

Gütliche Verſuche.

107. Zweckdienliche Mittel um den Andern von ſeinem Unrecht
zu überzeugen und zur Nachgiebigkeit zu beſtimmen, welche auch
nicht unverſucht bleiben dürfen, ſo lange keine unmittelbare Gefahr
eines Rechtsverluſtes bevorſteht, ſind dieſe:

zuerſt diplomatiſche Unterhandlungen mit dem andern Theile
oder mit dritten Mächten, deren Stimme von Einfluß ſein
kann, namentlich auch Mittheilung von entſcheidenden Ac-
tenſtücken und daraus hergenommenen Rechtsausführungen;
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[185/0209] §. 107. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. thatkräftigen Willen der Betheiligten; kein anderes Forum, als die eigne Gewiſſenhaftigkeit und die öffentliche Meinung. Es gebührt demnach zunächſt den Betheiligten, ſich unter Einander über die Entſcheidung zu verſtändigen, oder, dafern eine Vereinigung nicht zu bewirken wäre, ſich durch eigene Kraft in dem einſeitig erkann- ten Recht zu behaupten oder daſſelbe zu erſtreben. Das äußerſte Mittel zur Erhaltung, Wiedererlangung oder Durchſetzung des Rechts gegen Widerſpruch iſt demnach Gewalt oder Selbſthilfe, und zwar entweder eine defenſive gegen bevorſtehende Gefähr- dungen des Rechts oder der ganzen Exiſtenz, oder eine aggreſ- ſive Selbſthilfe wegen Rechtsverweigerung. Die Erſtere geht ihrer Natur nach lediglich auf Abwendung der Gefahr und Siche- rung gegen fernere Beeinträchtigung, die Letztere auf Erlangung vollſtändiger Genugthuung. Sogar die völlige Vernichtung des Gegners iſt bis zur Erreichung dieſer Zwecke nicht ausgeſchloſſen, wiewohl dieſelbe nie als das ſofortige unmittelbare Ziel mit Recht betrachtet werden darf. Das Daſein eines hinreichenden Grundes zur Selbſthilfe und die Beobachtung der richtigen Grenzen, welche durch den Zweck beſtimmt werden, entſcheidet zugleich über die Ge- rechtigkeit der Selbſthilfe. Außerdem iſt ſie eine tadelnswerthe und unrechte. Tadelnswerth erſcheint ſie insbeſondere, wenn außer dem Fall unmittelbarer Gefahr ohne Verſuch gütlicher Mittel, ohne Vorbringung und gehörige Unterſtützung eines vermeintlichen An- ſpruchs ſogleich zu dem letzten Mittel gegriffen wird. Denn es iſt dieſes an und für ſich ein unzuläſſiges Mittel, gerecht nur als Noth mittel. Gütliche Verſuche. 107. Zweckdienliche Mittel um den Andern von ſeinem Unrecht zu überzeugen und zur Nachgiebigkeit zu beſtimmen, welche auch nicht unverſucht bleiben dürfen, ſo lange keine unmittelbare Gefahr eines Rechtsverluſtes bevorſteht, ſind dieſe: zuerſt diplomatiſche Unterhandlungen mit dem andern Theile oder mit dritten Mächten, deren Stimme von Einfluß ſein kann, namentlich auch Mittheilung von entſcheidenden Ac- tenſtücken und daraus hergenommenen Rechtsausführungen; ſodann öffentliche Verbreitung von Deductionen oder Memoi- res mit ausdrücklichem oder ſelbſtverſtandenem Anruf der

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/209>, abgerufen am 21.11.2024.