Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.Erstes Buch. §. 67. Grenz-Commissionen und Grenzverträgen; 1 ist die wahre Grenzenicht mehr zu ermitteln, so muß das zweifelhafte Gebiet entweder getheilt oder in gemeinschaftlichem Besitz behalten werden, oder man erklärt es für neutral bis zur ferneren Entscheidung. 2 Bei Grenz- flüssen ist die Mittellinie derselben die eigentliche Grenze, wofern nicht andere Bestimmungen dieserhalb getroffen sind. 3 Verändert der Fluß von selbst seinen Lauf, so bleibt es dennoch bei der bis- herigen Grenzlinie in dem alten Fluß. Wegen der Rechte, welche der nun von dem neuen Flußbett ausgeschlossene Nachbarstaat auf die Benutzung des Flusses, namentlich in Betreff der Schiffahrt hatte, werden wegen Veränderung der Umstände nach Beschaffen- heit derselben neue Regulirungen nöthig. 4 Von Landseen an den Staatsgrenzen gilt Aehnliches, ganz wie nach Civilrecht. 5 Grenzt ein Staat an das offene Meer, so finden die weiterhin (§. 73.) folgenden Grundsätze Anwendung. Bedeutung des Staatsgebietes. 67. Von Allem was sich in, unter und auf dem Staatsge- 1 Günther II, 176. 184 f., Bielfeld, institutions politiques II, 6, §. 22. 23. 2 So ist es der Fall mit dem an der Grenze Rheinpreußens und Belgiens gelegenen Grubendistrict Moresnet. S. auch Moser, Vers. V, 25. 354. Günther, II, 17. 181. 3 Groot, II, 3, 18. Vattel, I, 22, 266. v. Martens, §. 121. Günther, II, 20. Schmelzing, §. 220. Klüber, §. 133. Zuweilen ist der Thalweg zur Grenze genommen, wie auf dem Rhein u. 1809. zwischen Rußland u. Schweden. 4 Groot, II, 3, 17. Pufendorf, IV, 7, 11. Vattel, a. a. O. §. 270. Günther, II, 25. 198. 5 Günther, II, 55, 203. Besondere Bestimmungen finden sich über den Bodensee. S. schon Buder, de dominio maris Suevici. Jen. 1742. Moser, nachb. Staatsr. 440. 6 Die Wahrheit des Satzes ist unleugbar; Streit kann nur in concreto dar-
über obwalten, ob ein gewisses Territorium bereits ein abgeschlossenes sei. In sofern konnte Thomasius de inutilitate brocardici: Qu. i. t. e. e. e. d. t. schreiben. Erſtes Buch. §. 67. Grenz-Commiſſionen und Grenzverträgen; 1 iſt die wahre Grenzenicht mehr zu ermitteln, ſo muß das zweifelhafte Gebiet entweder getheilt oder in gemeinſchaftlichem Beſitz behalten werden, oder man erklärt es für neutral bis zur ferneren Entſcheidung. 2 Bei Grenz- flüſſen iſt die Mittellinie derſelben die eigentliche Grenze, wofern nicht andere Beſtimmungen dieſerhalb getroffen ſind. 3 Verändert der Fluß von ſelbſt ſeinen Lauf, ſo bleibt es dennoch bei der bis- herigen Grenzlinie in dem alten Fluß. Wegen der Rechte, welche der nun von dem neuen Flußbett ausgeſchloſſene Nachbarſtaat auf die Benutzung des Fluſſes, namentlich in Betreff der Schiffahrt hatte, werden wegen Veränderung der Umſtände nach Beſchaffen- heit derſelben neue Regulirungen nöthig. 4 Von Landſeen an den Staatsgrenzen gilt Aehnliches, ganz wie nach Civilrecht. 5 Grenzt ein Staat an das offene Meer, ſo finden die weiterhin (§. 73.) folgenden Grundſätze Anwendung. Bedeutung des Staatsgebietes. 67. Von Allem was ſich in, unter und auf dem Staatsge- 1 Günther II, 176. 184 f., Bielfeld, institutions politiques II, 6, §. 22. 23. 2 So iſt es der Fall mit dem an der Grenze Rheinpreußens und Belgiens gelegenen Grubendiſtrict Moresnet. S. auch Moſer, Verſ. V, 25. 354. Günther, II, 17. 181. 3 Groot, II, 3, 18. Vattel, I, 22, 266. v. Martens, §. 121. Günther, II, 20. Schmelzing, §. 220. Klüber, §. 133. Zuweilen iſt der Thalweg zur Grenze genommen, wie auf dem Rhein u. 1809. zwiſchen Rußland u. Schweden. 4 Groot, II, 3, 17. Pufendorf, IV, 7, 11. Vattel, a. a. O. §. 270. Günther, II, 25. 198. 5 Günther, II, 55, 203. Beſondere Beſtimmungen finden ſich über den Bodenſee. S. ſchon Buder, de dominio maris Suevici. Jen. 1742. Moſer, nachb. Staatsr. 440. 6 Die Wahrheit des Satzes iſt unleugbar; Streit kann nur in concreto dar-
über obwalten, ob ein gewiſſes Territorium bereits ein abgeſchloſſenes ſei. In ſofern konnte Thomaſius de inutilitate brocardici: Qu. i. t. e. e. e. d. t. ſchreiben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0144" n="120"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſtes Buch</hi>. §. 67.</fw><lb/> Grenz-Commiſſionen und Grenzverträgen; <note place="foot" n="1">Günther <hi rendition="#aq">II,</hi> 176. 184 f., <hi rendition="#aq">Bielfeld, institutions politiques II,</hi> 6,<lb/> §. 22. 23.</note> iſt die wahre Grenze<lb/> nicht mehr zu ermitteln, ſo muß das zweifelhafte Gebiet entweder<lb/> getheilt oder in gemeinſchaftlichem Beſitz behalten werden, oder man<lb/> erklärt es für neutral bis zur ferneren Entſcheidung. <note place="foot" n="2">So iſt es der Fall mit dem an der Grenze Rheinpreußens und Belgiens<lb/> gelegenen Grubendiſtrict <hi rendition="#g">Moresnet</hi>. S. auch Moſer, Verſ. <hi rendition="#aq">V,</hi> 25. 354.<lb/> Günther, <hi rendition="#aq">II,</hi> 17. 181.</note> Bei Grenz-<lb/> flüſſen iſt die Mittellinie derſelben die eigentliche Grenze, wofern<lb/> nicht andere Beſtimmungen dieſerhalb getroffen ſind. <note place="foot" n="3">Groot, <hi rendition="#aq">II,</hi> 3, 18. Vattel, <hi rendition="#aq">I,</hi> 22, 266. v. Martens, §. 121. Günther,<lb/><hi rendition="#aq">II,</hi> 20. Schmelzing, §. 220. Klüber, §. 133. Zuweilen iſt der Thalweg zur<lb/> Grenze genommen, wie auf dem Rhein u. 1809. zwiſchen Rußland u. Schweden.</note> Verändert<lb/> der Fluß von ſelbſt ſeinen Lauf, ſo bleibt es dennoch bei der bis-<lb/> herigen Grenzlinie in dem alten Fluß. Wegen der Rechte, welche<lb/> der nun von dem neuen Flußbett ausgeſchloſſene Nachbarſtaat auf<lb/> die Benutzung des Fluſſes, namentlich in Betreff der Schiffahrt<lb/> hatte, werden wegen Veränderung der Umſtände nach Beſchaffen-<lb/> heit derſelben neue Regulirungen nöthig. <note place="foot" n="4">Groot, <hi rendition="#aq">II,</hi> 3, 17. Pufendorf, <hi rendition="#aq">IV,</hi> 7, 11. Vattel, a. a. O. §. 270.<lb/> Günther, <hi rendition="#aq">II,</hi> 25. 198.</note> Von Landſeen an den<lb/> Staatsgrenzen gilt Aehnliches, ganz wie nach Civilrecht. <note place="foot" n="5">Günther, <hi rendition="#aq">II,</hi> 55, 203. Beſondere Beſtimmungen finden ſich über den<lb/> Bodenſee. S. ſchon <hi rendition="#aq">Buder, de dominio maris Suevici. Jen.</hi> 1742.<lb/> Moſer, nachb. Staatsr. 440.</note> Grenzt<lb/> ein Staat an das offene Meer, ſo finden die weiterhin (§. 73.)<lb/> folgenden Grundſätze Anwendung.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>Bedeutung des Staatsgebietes.</head><lb/> <p>67. Von Allem was ſich in, unter und auf dem Staatsge-<lb/> biet befindet oder ereignet, gilt die Vermuthung, daß es auch der<lb/> dortigen Staatsgewalt unterworfen ſei. <hi rendition="#aq">Quicquid est in terri-<lb/> torio, est etiam de territorio.</hi> <note place="foot" n="6">Die Wahrheit des Satzes iſt unleugbar; Streit kann nur <hi rendition="#aq">in concreto</hi> dar-<lb/> über obwalten, ob ein gewiſſes Territorium bereits ein abgeſchloſſenes ſei.<lb/> In ſofern konnte Thomaſius <hi rendition="#aq">de inutilitate brocardici: Qu. i. t. e. e. e.<lb/> d. t.</hi> ſchreiben.</note> Die Staatsgrenze iſt aber auch<lb/> die Hoheitsgrenze, welche die einzelne Staatsgewalt durch ihre Re-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0144]
Erſtes Buch. §. 67.
Grenz-Commiſſionen und Grenzverträgen; 1 iſt die wahre Grenze
nicht mehr zu ermitteln, ſo muß das zweifelhafte Gebiet entweder
getheilt oder in gemeinſchaftlichem Beſitz behalten werden, oder man
erklärt es für neutral bis zur ferneren Entſcheidung. 2 Bei Grenz-
flüſſen iſt die Mittellinie derſelben die eigentliche Grenze, wofern
nicht andere Beſtimmungen dieſerhalb getroffen ſind. 3 Verändert
der Fluß von ſelbſt ſeinen Lauf, ſo bleibt es dennoch bei der bis-
herigen Grenzlinie in dem alten Fluß. Wegen der Rechte, welche
der nun von dem neuen Flußbett ausgeſchloſſene Nachbarſtaat auf
die Benutzung des Fluſſes, namentlich in Betreff der Schiffahrt
hatte, werden wegen Veränderung der Umſtände nach Beſchaffen-
heit derſelben neue Regulirungen nöthig. 4 Von Landſeen an den
Staatsgrenzen gilt Aehnliches, ganz wie nach Civilrecht. 5 Grenzt
ein Staat an das offene Meer, ſo finden die weiterhin (§. 73.)
folgenden Grundſätze Anwendung.
Bedeutung des Staatsgebietes.
67. Von Allem was ſich in, unter und auf dem Staatsge-
biet befindet oder ereignet, gilt die Vermuthung, daß es auch der
dortigen Staatsgewalt unterworfen ſei. Quicquid est in terri-
torio, est etiam de territorio. 6 Die Staatsgrenze iſt aber auch
die Hoheitsgrenze, welche die einzelne Staatsgewalt durch ihre Re-
1 Günther II, 176. 184 f., Bielfeld, institutions politiques II, 6,
§. 22. 23.
2 So iſt es der Fall mit dem an der Grenze Rheinpreußens und Belgiens
gelegenen Grubendiſtrict Moresnet. S. auch Moſer, Verſ. V, 25. 354.
Günther, II, 17. 181.
3 Groot, II, 3, 18. Vattel, I, 22, 266. v. Martens, §. 121. Günther,
II, 20. Schmelzing, §. 220. Klüber, §. 133. Zuweilen iſt der Thalweg zur
Grenze genommen, wie auf dem Rhein u. 1809. zwiſchen Rußland u. Schweden.
4 Groot, II, 3, 17. Pufendorf, IV, 7, 11. Vattel, a. a. O. §. 270.
Günther, II, 25. 198.
5 Günther, II, 55, 203. Beſondere Beſtimmungen finden ſich über den
Bodenſee. S. ſchon Buder, de dominio maris Suevici. Jen. 1742.
Moſer, nachb. Staatsr. 440.
6 Die Wahrheit des Satzes iſt unleugbar; Streit kann nur in concreto dar-
über obwalten, ob ein gewiſſes Territorium bereits ein abgeſchloſſenes ſei.
In ſofern konnte Thomaſius de inutilitate brocardici: Qu. i. t. e. e. e.
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