Einen durch entgegenstehende Rechte und Exceptionen von der Ter- ritorialgewalt durchbrochen war. 1
Alle Staatsgebiete sind in ihrer Ausdehnung etwas künstli- ches, natürlich nur in ihrem Kern. Wie weit sich jene naturge- mäß für jede geschlossene Nationalität erstrecke, ist bisher noch nicht gelungen zu bestimmen. Ein fremdes Clima, eine fremde Tel- lus kann ein Volk denationalisiren. Auch sind Uebergangsstaaten unter scharf geschnittenen Nationalitäten natürlich und indicirt, wie Belgien und die Schweiz zwischen Deutschen und Franzosen, die Nord-Niederlande zwischen Deutschland und Britannien. Dies sind natürliche Barrieren. 2
Grenzen der Staatsgebiete.
66. Die Grenzen eines Territoriums oder die Staatsgren- zen3 sind theils physische, theils intellectuelle. Zu jenen gehören allein freie Meere, unübersteigbare Berge, Steppen, Sandbänke, sofern sie nicht rings von demselben Gebiet umschlossen sind; 4 die intellectuellen Grenzen bestehen in bloß gedachten Linien, welche aber meist durch äußere Zeichen, wenigstens punctweise, kenntlich gemacht werden, z. B. durch Pfähle, Erdhaufen, Graben, befestigte Tonnen, Dämme und dergl. Sie beruhen theils auf ausdrücklichen Verträgen mit den Grenznachbarn, theils auf unvordenklichem un- angefochtenen Besitz. Zweifelhafte Grenzen geben Veranlassung zu
1 Nur Deutschland kannte diesen Unterschied, der überdies mehr theoretisch als praktisch war. Die Umwälzungen dieses Jahrhunderts, besonders die Rheinb.-Acte Art. 34. haben ihn beseitigt. S. übr. Henr. Hildebrand, de territorio clauso et non clauso. Altorf. 1715. Klüber, öffentl. R. des t. Bundes §. 277.
2 Erörterungen über das Verhältniß der Nationalität zum Staatsgebiet ha- ben mit Montesquieu vorzüglich begonnen. Unter den Neueren vergl. Ideen über das polit. Gleichgew. Leipz. 1814. C. IV.
3 Die Literatur s. bei v. Kamptz §. 106. Günther, II, 170.
4 Flüsse sind keine natürlichen Grenzen. Sie sind vielmehr recht eigentlich die inneren Adern eines jeden Landes. Ist ein Flußufer zur Grenze ge- macht, so kann schwerlich der Fluß selbst noch zur Hälfte dazu gerechnet werden. Und eben so wenig wenn ein Fluß ganz dem Lande zugestanden ist, auch noch das jenseitige Ufer. Dennoch ist das Gegentheil behauptet worden. Günther, II, 20. 21.
§. 66. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Einen durch entgegenſtehende Rechte und Exceptionen von der Ter- ritorialgewalt durchbrochen war. 1
Alle Staatsgebiete ſind in ihrer Ausdehnung etwas künſtli- ches, natürlich nur in ihrem Kern. Wie weit ſich jene naturge- mäß für jede geſchloſſene Nationalität erſtrecke, iſt bisher noch nicht gelungen zu beſtimmen. Ein fremdes Clima, eine fremde Tel- lus kann ein Volk denationaliſiren. Auch ſind Uebergangsſtaaten unter ſcharf geſchnittenen Nationalitäten natürlich und indicirt, wie Belgien und die Schweiz zwiſchen Deutſchen und Franzoſen, die Nord-Niederlande zwiſchen Deutſchland und Britannien. Dies ſind natürliche Barrièren. 2
Grenzen der Staatsgebiete.
66. Die Grenzen eines Territoriums oder die Staatsgren- zen3 ſind theils phyſiſche, theils intellectuelle. Zu jenen gehören allein freie Meere, unüberſteigbare Berge, Steppen, Sandbänke, ſofern ſie nicht rings von demſelben Gebiet umſchloſſen ſind; 4 die intellectuellen Grenzen beſtehen in bloß gedachten Linien, welche aber meiſt durch äußere Zeichen, wenigſtens punctweiſe, kenntlich gemacht werden, z. B. durch Pfähle, Erdhaufen, Graben, befeſtigte Tonnen, Dämme und dergl. Sie beruhen theils auf ausdrücklichen Verträgen mit den Grenznachbarn, theils auf unvordenklichem un- angefochtenen Beſitz. Zweifelhafte Grenzen geben Veranlaſſung zu
1 Nur Deutſchland kannte dieſen Unterſchied, der überdies mehr theoretiſch als praktiſch war. Die Umwälzungen dieſes Jahrhunderts, beſonders die Rheinb.-Acte Art. 34. haben ihn beſeitigt. S. übr. Henr. Hildebrand, de territorio clauso et non clauso. Altorf. 1715. Klüber, öffentl. R. des t. Bundes §. 277.
2 Erörterungen über das Verhältniß der Nationalität zum Staatsgebiet ha- ben mit Montesquieu vorzüglich begonnen. Unter den Neueren vergl. Ideen über das polit. Gleichgew. Leipz. 1814. C. IV.
3 Die Literatur ſ. bei v. Kamptz §. 106. Günther, II, 170.
4 Flüſſe ſind keine natürlichen Grenzen. Sie ſind vielmehr recht eigentlich die inneren Adern eines jeden Landes. Iſt ein Flußufer zur Grenze ge- macht, ſo kann ſchwerlich der Fluß ſelbſt noch zur Hälfte dazu gerechnet werden. Und eben ſo wenig wenn ein Fluß ganz dem Lande zugeſtanden iſt, auch noch das jenſeitige Ufer. Dennoch iſt das Gegentheil behauptet worden. Günther, II, 20. 21.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0143"n="119"/><fwplace="top"type="header">§. 66. <hirendition="#g">Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens</hi>.</fw><lb/>
Einen durch entgegenſtehende Rechte und Exceptionen von der Ter-<lb/>
ritorialgewalt durchbrochen war. <noteplace="foot"n="1">Nur Deutſchland kannte dieſen Unterſchied, der überdies mehr theoretiſch<lb/>
als praktiſch war. Die Umwälzungen dieſes Jahrhunderts, beſonders die<lb/>
Rheinb.-Acte Art. 34. haben ihn beſeitigt. S. übr. <hirendition="#aq">Henr. Hildebrand,<lb/>
de territorio clauso et non clauso. Altorf.</hi> 1715. Klüber, öffentl. R.<lb/>
des t. Bundes §. 277.</note></p><lb/><p>Alle Staatsgebiete ſind in ihrer Ausdehnung etwas künſtli-<lb/>
ches, natürlich nur in ihrem Kern. Wie weit ſich jene naturge-<lb/>
mäß für jede geſchloſſene Nationalität erſtrecke, iſt bisher noch<lb/>
nicht gelungen zu beſtimmen. Ein fremdes Clima, eine fremde Tel-<lb/>
lus kann ein Volk denationaliſiren. Auch ſind Uebergangsſtaaten<lb/>
unter ſcharf geſchnittenen Nationalitäten natürlich und indicirt, wie<lb/>
Belgien und die Schweiz zwiſchen Deutſchen und Franzoſen, die<lb/>
Nord-Niederlande zwiſchen Deutſchland und Britannien. Dies<lb/>ſind natürliche Barri<hirendition="#aq">è</hi>ren. <noteplace="foot"n="2">Erörterungen über das Verhältniß der Nationalität zum Staatsgebiet ha-<lb/>
ben mit Montesquieu vorzüglich begonnen. Unter den Neueren vergl. Ideen<lb/>
über das polit. Gleichgew. Leipz. 1814. C. <hirendition="#aq">IV.</hi></note></p></div><lb/><divn="3"><head>Grenzen der Staatsgebiete.</head><lb/><p>66. Die Grenzen eines Territoriums oder die <hirendition="#g">Staatsgren-<lb/>
zen</hi><noteplace="foot"n="3">Die Literatur ſ. bei v. Kamptz §. 106. Günther, <hirendition="#aq">II,</hi> 170.</note>ſind theils phyſiſche, theils intellectuelle. Zu jenen gehören<lb/>
allein freie Meere, unüberſteigbare Berge, Steppen, Sandbänke,<lb/>ſofern ſie nicht rings von demſelben Gebiet umſchloſſen ſind; <noteplace="foot"n="4">Flüſſe ſind keine natürlichen Grenzen. Sie ſind vielmehr recht eigentlich<lb/>
die inneren Adern eines jeden Landes. Iſt ein Flußufer zur Grenze ge-<lb/>
macht, ſo kann ſchwerlich der Fluß ſelbſt noch zur Hälfte dazu gerechnet<lb/>
werden. Und eben ſo wenig wenn ein Fluß ganz dem Lande zugeſtanden<lb/>
iſt, auch noch das jenſeitige Ufer. Dennoch iſt das Gegentheil behauptet<lb/>
worden. Günther, <hirendition="#aq">II,</hi> 20. 21.</note><lb/>
die intellectuellen Grenzen beſtehen in bloß gedachten Linien, welche<lb/>
aber meiſt durch äußere Zeichen, wenigſtens punctweiſe, kenntlich<lb/>
gemacht werden, z. B. durch Pfähle, Erdhaufen, Graben, befeſtigte<lb/>
Tonnen, Dämme und dergl. Sie beruhen theils auf ausdrücklichen<lb/>
Verträgen mit den Grenznachbarn, theils auf unvordenklichem un-<lb/>
angefochtenen Beſitz. Zweifelhafte Grenzen geben Veranlaſſung zu<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[119/0143]
§. 66. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Einen durch entgegenſtehende Rechte und Exceptionen von der Ter-
ritorialgewalt durchbrochen war. 1
Alle Staatsgebiete ſind in ihrer Ausdehnung etwas künſtli-
ches, natürlich nur in ihrem Kern. Wie weit ſich jene naturge-
mäß für jede geſchloſſene Nationalität erſtrecke, iſt bisher noch
nicht gelungen zu beſtimmen. Ein fremdes Clima, eine fremde Tel-
lus kann ein Volk denationaliſiren. Auch ſind Uebergangsſtaaten
unter ſcharf geſchnittenen Nationalitäten natürlich und indicirt, wie
Belgien und die Schweiz zwiſchen Deutſchen und Franzoſen, die
Nord-Niederlande zwiſchen Deutſchland und Britannien. Dies
ſind natürliche Barrièren. 2
Grenzen der Staatsgebiete.
66. Die Grenzen eines Territoriums oder die Staatsgren-
zen 3 ſind theils phyſiſche, theils intellectuelle. Zu jenen gehören
allein freie Meere, unüberſteigbare Berge, Steppen, Sandbänke,
ſofern ſie nicht rings von demſelben Gebiet umſchloſſen ſind; 4
die intellectuellen Grenzen beſtehen in bloß gedachten Linien, welche
aber meiſt durch äußere Zeichen, wenigſtens punctweiſe, kenntlich
gemacht werden, z. B. durch Pfähle, Erdhaufen, Graben, befeſtigte
Tonnen, Dämme und dergl. Sie beruhen theils auf ausdrücklichen
Verträgen mit den Grenznachbarn, theils auf unvordenklichem un-
angefochtenen Beſitz. Zweifelhafte Grenzen geben Veranlaſſung zu
1 Nur Deutſchland kannte dieſen Unterſchied, der überdies mehr theoretiſch
als praktiſch war. Die Umwälzungen dieſes Jahrhunderts, beſonders die
Rheinb.-Acte Art. 34. haben ihn beſeitigt. S. übr. Henr. Hildebrand,
de territorio clauso et non clauso. Altorf. 1715. Klüber, öffentl. R.
des t. Bundes §. 277.
2 Erörterungen über das Verhältniß der Nationalität zum Staatsgebiet ha-
ben mit Montesquieu vorzüglich begonnen. Unter den Neueren vergl. Ideen
über das polit. Gleichgew. Leipz. 1814. C. IV.
3 Die Literatur ſ. bei v. Kamptz §. 106. Günther, II, 170.
4 Flüſſe ſind keine natürlichen Grenzen. Sie ſind vielmehr recht eigentlich
die inneren Adern eines jeden Landes. Iſt ein Flußufer zur Grenze ge-
macht, ſo kann ſchwerlich der Fluß ſelbſt noch zur Hälfte dazu gerechnet
werden. Und eben ſo wenig wenn ein Fluß ganz dem Lande zugeſtanden
iſt, auch noch das jenſeitige Ufer. Dennoch iſt das Gegentheil behauptet
worden. Günther, II, 20. 21.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/143>, abgerufen am 07.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.