Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

eben so wenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch deine Ueberzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben, und was gerade ist, nicht krumm machen. Es sey dann, daß dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren.


Der fremde Herr.

Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln ein wenig verrostet, und die Scheere zusammengewachsen, also nährt er sich, so gut er kann. Gevatter sagt zu ihm der Peruckenmacher, ihr tragt nicht gerne schwer; wollt ihr nicht dem Herrn Dechant von Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel? Sie ist leicht, und er zahlt euch den Gang. - Gevatter, sagt der Schneider, es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die Kleider, die euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der euch angeschmiert hat, so stell ich auf dem Jahrmarkt etwas vor.

Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drey Stunden im Revier einen Markt weiß, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von dem Hausfreund wohl bezahlt, so giebt er dem Jahrmarkt viel zu lösen für neue weltliche Lieder und feine Damascener Maultrommeln. Also saß jezt der Adjunkt auch zu Brassenheim im wilden Mann und musterte die Lieder: Erstes Lied: Ein Lämmlein trank vom frischen etc. Zweites Lied: Schönstes Hirschlein über die Massen etc. Drittes Lied: Kein schöner Leben auf Erden etc. und probirte die

eben so wenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch deine Ueberzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben, und was gerade ist, nicht krumm machen. Es sey dann, daß dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren.


Der fremde Herr.

Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln ein wenig verrostet, und die Scheere zusammengewachsen, also nährt er sich, so gut er kann. Gevatter sagt zu ihm der Peruckenmacher, ihr tragt nicht gerne schwer; wollt ihr nicht dem Herrn Dechant von Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel? Sie ist leicht, und er zahlt euch den Gang. – Gevatter, sagt der Schneider, es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die Kleider, die euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der euch angeschmiert hat, so stell ich auf dem Jahrmarkt etwas vor.

Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drey Stunden im Revier einen Markt weiß, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von dem Hausfreund wohl bezahlt, so giebt er dem Jahrmarkt viel zu lösen für neue weltliche Lieder und feine Damascener Maultrommeln. Also saß jezt der Adjunkt auch zu Brassenheim im wilden Mann und musterte die Lieder: Erstes Lied: Ein Lämmlein trank vom frischen etc. Zweites Lied: Schönstes Hirschlein über die Massen etc. Drittes Lied: Kein schöner Leben auf Erden etc. und probirte die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0285" n="277"/>
eben so wenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch deine Ueberzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben, und was gerade ist, nicht krumm machen. Es sey dann, daß dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren.</p>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head>Der fremde Herr.</head><lb/>
        <p>Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln ein wenig verrostet, und die Scheere zusammengewachsen, also nährt er sich, so gut er kann. Gevatter sagt zu ihm der Peruckenmacher, ihr tragt nicht gerne schwer; wollt ihr nicht dem Herrn Dechant von Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel? Sie ist leicht, und er zahlt euch den Gang. &#x2013; Gevatter, sagt der Schneider, es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die Kleider, die euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der euch angeschmiert hat, so stell ich auf dem Jahrmarkt etwas vor.</p>
        <p>Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drey Stunden im Revier einen Markt weiß, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von dem Hausfreund wohl bezahlt, so giebt er dem Jahrmarkt viel zu lösen für neue weltliche Lieder und feine Damascener Maultrommeln. Also saß jezt der Adjunkt auch zu Brassenheim im wilden Mann und musterte die Lieder: Erstes Lied: <hi rendition="#g">Ein Lämmlein trank vom frischen etc.</hi> Zweites Lied: <hi rendition="#g">Schönstes Hirschlein über die Massen etc.</hi> Drittes Lied: <hi rendition="#g">Kein schöner Leben auf Erden etc.</hi> und probirte die
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0285] eben so wenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch deine Ueberzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben, und was gerade ist, nicht krumm machen. Es sey dann, daß dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren. Der fremde Herr. Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln ein wenig verrostet, und die Scheere zusammengewachsen, also nährt er sich, so gut er kann. Gevatter sagt zu ihm der Peruckenmacher, ihr tragt nicht gerne schwer; wollt ihr nicht dem Herrn Dechant von Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel? Sie ist leicht, und er zahlt euch den Gang. – Gevatter, sagt der Schneider, es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die Kleider, die euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der euch angeschmiert hat, so stell ich auf dem Jahrmarkt etwas vor. Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drey Stunden im Revier einen Markt weiß, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von dem Hausfreund wohl bezahlt, so giebt er dem Jahrmarkt viel zu lösen für neue weltliche Lieder und feine Damascener Maultrommeln. Also saß jezt der Adjunkt auch zu Brassenheim im wilden Mann und musterte die Lieder: Erstes Lied: Ein Lämmlein trank vom frischen etc. Zweites Lied: Schönstes Hirschlein über die Massen etc. Drittes Lied: Kein schöner Leben auf Erden etc. und probirte die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-03T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-03T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-03T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/285
Zitationshilfe: Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/285>, abgerufen am 22.12.2024.