Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.Morgen. Wenn sich Abends dein Auge zum erquicklichen Schlummer schliesset: gute Nacht. Wenn du mit gesundem Appetit dich zur Mahlzeit setzest, sagt er: wohl bekomms. Wenn du eine Gefahr noch zu rechter Zeit entdeckst, so sagt er: Nimm dich in Acht, junges Kind, oder altes Kind und kehre lieber wieder um. Wenn du am schönen Maitag im Blüthenduft und Lerchengesang spatzieren gehst, und es ist dir wohl, sagt er: Sey willkommen in meinem Schloßgarten. Oder du denkst an nichts und es wird dir auf einmal wunderlich im Herzen, und naß in den Augen, und denkst, ich will doch anders werden, als ich bin, so sagt er: Merkst du wer bey dir ist? Oder du gehst an einem offnen Grab vorbey, und es schauert dich, so denkt er just nicht daran, daß du lutherisch oder reformirt bist, und sagt: Gelobt sey Jesus Christ! Also grüßt Gott manchen, der ihm nicht antwortet und nicht dankt. 3. Man muß mit den Wölfen heulen. Das heißt: Wenn man zu unvernünftigen Leuten kommt, muß man auch unvernünftig thun, wie sie. Merke: Nein! Sondern erstlich, du sollst dich nicht unter die Wölfe mischen, sondern ihnen aus dem Weg gehen. Zweitens, wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen: Ich bin ein Mensch, und kein Wolf. Ich kann nicht so schön heulen, wie ihr. Drittens: Wenn du meynst, es sey nimmer anders von ihnen loszukommen, so will der Hausfreund erlauben, ein oder zweimal mit zu bellen, aber du sollst nicht mit ihnen beißen, und andrer Leute Schafe fressen. Sonst Morgen. Wenn sich Abends dein Auge zum erquicklichen Schlummer schliesset: gute Nacht. Wenn du mit gesundem Appetit dich zur Mahlzeit setzest, sagt er: wohl bekomms. Wenn du eine Gefahr noch zu rechter Zeit entdeckst, so sagt er: Nimm dich in Acht, junges Kind, oder altes Kind und kehre lieber wieder um. Wenn du am schönen Maitag im Blüthenduft und Lerchengesang spatzieren gehst, und es ist dir wohl, sagt er: Sey willkommen in meinem Schloßgarten. Oder du denkst an nichts und es wird dir auf einmal wunderlich im Herzen, und naß in den Augen, und denkst, ich will doch anders werden, als ich bin, so sagt er: Merkst du wer bey dir ist? Oder du gehst an einem offnen Grab vorbey, und es schauert dich, so denkt er just nicht daran, daß du lutherisch oder reformirt bist, und sagt: Gelobt sey Jesus Christ! Also grüßt Gott manchen, der ihm nicht antwortet und nicht dankt. 3. Man muß mit den Wölfen heulen. Das heißt: Wenn man zu unvernünftigen Leuten kommt, muß man auch unvernünftig thun, wie sie. Merke: Nein! Sondern erstlich, du sollst dich nicht unter die Wölfe mischen, sondern ihnen aus dem Weg gehen. Zweitens, wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen: Ich bin ein Mensch, und kein Wolf. Ich kann nicht so schön heulen, wie ihr. Drittens: Wenn du meynst, es sey nimmer anders von ihnen loszukommen, so will der Hausfreund erlauben, ein oder zweimal mit zu bellen, aber du sollst nicht mit ihnen beißen, und andrer Leute Schafe fressen. Sonst <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0278" n="270"/> Morgen</hi>. Wenn sich Abends dein Auge zum erquicklichen Schlummer schliesset: <hi rendition="#g">gute Nacht</hi>. Wenn du mit gesundem Appetit dich zur Mahlzeit setzest, sagt er: <hi rendition="#g">wohl bekomms</hi>. Wenn du eine Gefahr noch zu rechter Zeit entdeckst, so sagt er: <hi rendition="#g">Nimm dich in Acht, junges Kind, oder altes Kind und kehre lieber wieder um</hi>. Wenn du am schönen Maitag im Blüthenduft und Lerchengesang spatzieren gehst, und es ist dir wohl, sagt er: <hi rendition="#g">Sey willkommen in meinem Schloßgarten</hi>. Oder du denkst an nichts und es wird dir auf einmal wunderlich im Herzen, und naß in den Augen, und denkst, ich will doch anders werden, als ich bin, so sagt er: <hi rendition="#g">Merkst du wer bey dir ist</hi>? Oder du gehst an einem offnen Grab vorbey, und es schauert dich, so denkt er just nicht daran, daß du lutherisch oder reformirt bist, und sagt: <hi rendition="#g">Gelobt sey Jesus Christ</hi>! Also grüßt Gott manchen, der ihm nicht antwortet und nicht dankt.</p> </div> <div n="2"> <head>3.</head><lb/> <p><hi rendition="#g">Man muß mit den Wölfen heulen</hi>. Das heißt: Wenn man zu unvernünftigen Leuten kommt, muß man auch unvernünftig thun, wie sie. Merke: <hi rendition="#g">Nein</hi>! Sondern <hi rendition="#g">erstlich</hi>, du sollst dich nicht unter die Wölfe mischen, sondern ihnen aus dem Weg gehen. <hi rendition="#g">Zweitens</hi>, wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen: Ich bin ein Mensch, und kein Wolf. Ich kann nicht so schön heulen, wie ihr. <hi rendition="#g">Drittens</hi>: Wenn du meynst, es sey nimmer anders von ihnen loszukommen, so will der Hausfreund erlauben, ein oder zweimal mit zu bellen, aber du sollst nicht mit ihnen beißen, und andrer Leute Schafe fressen. Sonst </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [270/0278]
Morgen. Wenn sich Abends dein Auge zum erquicklichen Schlummer schliesset: gute Nacht. Wenn du mit gesundem Appetit dich zur Mahlzeit setzest, sagt er: wohl bekomms. Wenn du eine Gefahr noch zu rechter Zeit entdeckst, so sagt er: Nimm dich in Acht, junges Kind, oder altes Kind und kehre lieber wieder um. Wenn du am schönen Maitag im Blüthenduft und Lerchengesang spatzieren gehst, und es ist dir wohl, sagt er: Sey willkommen in meinem Schloßgarten. Oder du denkst an nichts und es wird dir auf einmal wunderlich im Herzen, und naß in den Augen, und denkst, ich will doch anders werden, als ich bin, so sagt er: Merkst du wer bey dir ist? Oder du gehst an einem offnen Grab vorbey, und es schauert dich, so denkt er just nicht daran, daß du lutherisch oder reformirt bist, und sagt: Gelobt sey Jesus Christ! Also grüßt Gott manchen, der ihm nicht antwortet und nicht dankt.
3.
Man muß mit den Wölfen heulen. Das heißt: Wenn man zu unvernünftigen Leuten kommt, muß man auch unvernünftig thun, wie sie. Merke: Nein! Sondern erstlich, du sollst dich nicht unter die Wölfe mischen, sondern ihnen aus dem Weg gehen. Zweitens, wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen: Ich bin ein Mensch, und kein Wolf. Ich kann nicht so schön heulen, wie ihr. Drittens: Wenn du meynst, es sey nimmer anders von ihnen loszukommen, so will der Hausfreund erlauben, ein oder zweimal mit zu bellen, aber du sollst nicht mit ihnen beißen, und andrer Leute Schafe fressen. Sonst
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-12-03T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-12-03T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-12-03T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |