Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.der Kammerdiener ein paar Schritte gegen die Stubenthüre zurück, und sagte: "Verzeiht mir meinen Irrthum, ich habs etwas höher angeschlagen, sonst hätt ich nicht so viel herausgebracht." Das letzte Wort. Zwey Eheleute in einem Dorf an der Donau, her wärts Ulm, lebten miteinander, die waren nicht für einander gemacht, und ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch, und hatte eine Zunge wie ein Schwerdt; er war karg, was nicht etwa in den eigenen Mund und Magen gieng. Nannte er sie eine Vergeuderinn, so schimpfte sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer Stunde Vergeuderinn sagte, sagte sie hundert und einmal: du Knicker, und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fiengen sie es wieder mit einander an, als sie ins Bett giengen, und sollens getrieben haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die Augen zufielen, und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm und sagte noch einmal: du Knicker! Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur Häuslichkeit, und lief fort, so bald er konnte, und wohin? Ins Wirthshaus. Und was im Wirthshaus? Zuerst trinken, darnach spielen, endlich saufen, anfänglich um baares Geld, zuletzt auf die Kreide. Denn wenn die Frau nichts zu Rath hält, und der Mann nichts erwirbt, in einer solchen Tasche darf schon ein Loch seyn, es fällt nichts heraus. Als der Kammerdiener ein paar Schritte gegen die Stubenthüre zurück, und sagte: „Verzeiht mir meinen Irrthum, ich habs etwas höher angeschlagen, sonst hätt ich nicht so viel herausgebracht.“ Das letzte Wort. Zwey Eheleute in einem Dorf an der Donau, her wärts Ulm, lebten miteinander, die waren nicht für einander gemacht, und ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch, und hatte eine Zunge wie ein Schwerdt; er war karg, was nicht etwa in den eigenen Mund und Magen gieng. Nannte er sie eine Vergeuderinn, so schimpfte sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer Stunde Vergeuderinn sagte, sagte sie hundert und einmal: du Knicker, und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fiengen sie es wieder mit einander an, als sie ins Bett giengen, und sollens getrieben haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die Augen zufielen, und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm und sagte noch einmal: du Knicker! Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur Häuslichkeit, und lief fort, so bald er konnte, und wohin? Ins Wirthshaus. Und was im Wirthshaus? Zuerst trinken, darnach spielen, endlich saufen, anfänglich um baares Geld, zuletzt auf die Kreide. Denn wenn die Frau nichts zu Rath hält, und der Mann nichts erwirbt, in einer solchen Tasche darf schon ein Loch seyn, es fällt nichts heraus. Als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0242" n="234"/> der Kammerdiener ein paar Schritte gegen die Stubenthüre zurück, und sagte: „Verzeiht mir meinen Irrthum, ich habs etwas höher angeschlagen, sonst hätt ich nicht so viel herausgebracht.“</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> <div n="1"> <head>Das letzte Wort.</head><lb/> <p>Zwey Eheleute in einem Dorf an der Donau, her wärts Ulm, lebten miteinander, die waren nicht für einander gemacht, und ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch, und hatte eine Zunge wie ein Schwerdt; er war karg, was nicht etwa in den eigenen Mund und Magen gieng. Nannte er sie eine <hi rendition="#g">Vergeuderinn</hi>, so schimpfte sie ihn einen <hi rendition="#g">Knicker</hi>, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer Stunde <hi rendition="#g">Vergeuderinn</hi> sagte, sagte sie hundert und einmal: <hi rendition="#g">du Knicker</hi>, und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fiengen sie es wieder mit einander an, als sie ins Bett giengen, und sollens getrieben haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die Augen zufielen, und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm und sagte noch einmal: <hi rendition="#g">du Knicker</hi>! Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur Häuslichkeit, und lief fort, so bald er konnte, und wohin? Ins Wirthshaus. Und was im Wirthshaus? Zuerst trinken, darnach spielen, endlich saufen, anfänglich um baares Geld, zuletzt auf die Kreide. Denn wenn die Frau nichts zu Rath hält, und der Mann nichts erwirbt, in einer solchen Tasche darf schon ein Loch seyn, es fällt nichts heraus. Als </p> </div> </body> </text> </TEI> [234/0242]
der Kammerdiener ein paar Schritte gegen die Stubenthüre zurück, und sagte: „Verzeiht mir meinen Irrthum, ich habs etwas höher angeschlagen, sonst hätt ich nicht so viel herausgebracht.“
Das letzte Wort.
Zwey Eheleute in einem Dorf an der Donau, her wärts Ulm, lebten miteinander, die waren nicht für einander gemacht, und ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch, und hatte eine Zunge wie ein Schwerdt; er war karg, was nicht etwa in den eigenen Mund und Magen gieng. Nannte er sie eine Vergeuderinn, so schimpfte sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer Stunde Vergeuderinn sagte, sagte sie hundert und einmal: du Knicker, und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fiengen sie es wieder mit einander an, als sie ins Bett giengen, und sollens getrieben haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die Augen zufielen, und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm und sagte noch einmal: du Knicker! Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur Häuslichkeit, und lief fort, so bald er konnte, und wohin? Ins Wirthshaus. Und was im Wirthshaus? Zuerst trinken, darnach spielen, endlich saufen, anfänglich um baares Geld, zuletzt auf die Kreide. Denn wenn die Frau nichts zu Rath hält, und der Mann nichts erwirbt, in einer solchen Tasche darf schon ein Loch seyn, es fällt nichts heraus. Als
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Zitationshilfe: | Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/242>, abgerufen am 22.02.2025. |