Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.Wie man aus Barmherzigkeit rasirt wird. In eine Barbierstube kommt ein armer Mann mit einem starken schwarzen Bart, und statt eines Stücklein Brodes bittet er, der Meister soll so gut seyn, und ihm den Bart abnehmen um Gotteswillen, daß er doch auch wieder aussehe wie ein Christ. Der Meister nimmt das schlechteste Messer, wo er hat, denn er dachte: Was soll ich ein gutes daran stumpf hacken für nichts und wieder nichts? Während er an dem armen Tropfen hackt und schabt, und er darf nichts sagen, weils ihm der Schinder umsonst thut, heult der Hund auf dem Hof. Der Meister sagt: Was fehlt dem Mopper, daß er so winselt und heult? Der Christoph sagt: ich weiß nicht. Der Hans Frieder sagt: ich weiß auch nicht. Der arme Mann unter dem Messer aber sagt: "Er wird vermuthlich auch um Gotteswillen barbirt, wie ich." Der Zirkelschmidt. In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz, daß, wer sich an einem verheiratheten Mann vergreift, und gibt ihm eine Ohrfeige, der muß 5 Gulden Buße bezahlen, und kommt 24 Stunden lang in den Thurm. Deswegen dachte am Andreastag ein verarmter Zirkelschmidt im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen Namenstag ein gutes Mittagessen im goldenen Lamm bekommen, wenn ich schon keinen rothen Heller hier und daheim habe, und seit 2 Jahren nimmer weiß, ob die bayrischen Thaler rund oder eckig sind. Darauf hin läßt er sich vom Lammwirth ein gutes Essen auftragen, und trinkt Wie man aus Barmherzigkeit rasirt wird. In eine Barbierstube kommt ein armer Mann mit einem starken schwarzen Bart, und statt eines Stücklein Brodes bittet er, der Meister soll so gut seyn, und ihm den Bart abnehmen um Gotteswillen, daß er doch auch wieder aussehe wie ein Christ. Der Meister nimmt das schlechteste Messer, wo er hat, denn er dachte: Was soll ich ein gutes daran stumpf hacken für nichts und wieder nichts? Während er an dem armen Tropfen hackt und schabt, und er darf nichts sagen, weils ihm der Schinder umsonst thut, heult der Hund auf dem Hof. Der Meister sagt: Was fehlt dem Mopper, daß er so winselt und heult? Der Christoph sagt: ich weiß nicht. Der Hans Frieder sagt: ich weiß auch nicht. Der arme Mann unter dem Messer aber sagt: „Er wird vermuthlich auch um Gotteswillen barbirt, wie ich.“ Der Zirkelschmidt. In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz, daß, wer sich an einem verheiratheten Mann vergreift, und gibt ihm eine Ohrfeige, der muß 5 Gulden Buße bezahlen, und kommt 24 Stunden lang in den Thurm. Deswegen dachte am Andreastag ein verarmter Zirkelschmidt im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen Namenstag ein gutes Mittagessen im goldenen Lamm bekommen, wenn ich schon keinen rothen Heller hier und daheim habe, und seit 2 Jahren nimmer weiß, ob die bayrischen Thaler rund oder eckig sind. Darauf hin läßt er sich vom Lammwirth ein gutes Essen auftragen, und trinkt <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0233" n="225"/> <div n="1"> <head>Wie man aus Barmherzigkeit rasirt wird.</head><lb/> <p>In eine Barbierstube kommt ein armer Mann mit einem starken schwarzen Bart, und statt eines Stücklein Brodes bittet er, der Meister soll so gut seyn, und ihm den Bart abnehmen um Gotteswillen, daß er doch auch wieder aussehe wie ein Christ. Der Meister nimmt das schlechteste Messer, wo er hat, denn er dachte: Was soll ich ein gutes daran stumpf hacken für nichts und wieder nichts? Während er an dem armen Tropfen hackt und schabt, und er darf nichts sagen, weils ihm der Schinder umsonst thut, heult der Hund auf dem Hof. Der Meister sagt: Was fehlt dem Mopper, daß er so winselt und heult? Der Christoph sagt: ich weiß nicht. Der Hans Frieder sagt: ich weiß auch nicht. Der arme Mann unter dem Messer aber sagt: „Er wird vermuthlich auch um Gotteswillen barbirt, wie ich.“</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> <div n="1"> <head>Der Zirkelschmidt.</head><lb/> <p>In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz, daß, wer sich an einem verheiratheten Mann vergreift, und gibt ihm eine Ohrfeige, der muß 5 Gulden Buße bezahlen, und kommt 24 Stunden lang in den Thurm. Deswegen dachte am Andreastag ein verarmter Zirkelschmidt im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen Namenstag ein gutes Mittagessen im goldenen Lamm bekommen, wenn ich schon keinen rothen Heller hier und daheim habe, und seit 2 Jahren nimmer weiß, ob die bayrischen Thaler rund oder eckig sind. Darauf hin läßt er sich vom Lammwirth ein gutes Essen auftragen, und trinkt </p> </div> </body> </text> </TEI> [225/0233]
Wie man aus Barmherzigkeit rasirt wird.
In eine Barbierstube kommt ein armer Mann mit einem starken schwarzen Bart, und statt eines Stücklein Brodes bittet er, der Meister soll so gut seyn, und ihm den Bart abnehmen um Gotteswillen, daß er doch auch wieder aussehe wie ein Christ. Der Meister nimmt das schlechteste Messer, wo er hat, denn er dachte: Was soll ich ein gutes daran stumpf hacken für nichts und wieder nichts? Während er an dem armen Tropfen hackt und schabt, und er darf nichts sagen, weils ihm der Schinder umsonst thut, heult der Hund auf dem Hof. Der Meister sagt: Was fehlt dem Mopper, daß er so winselt und heult? Der Christoph sagt: ich weiß nicht. Der Hans Frieder sagt: ich weiß auch nicht. Der arme Mann unter dem Messer aber sagt: „Er wird vermuthlich auch um Gotteswillen barbirt, wie ich.“
Der Zirkelschmidt.
In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz, daß, wer sich an einem verheiratheten Mann vergreift, und gibt ihm eine Ohrfeige, der muß 5 Gulden Buße bezahlen, und kommt 24 Stunden lang in den Thurm. Deswegen dachte am Andreastag ein verarmter Zirkelschmidt im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen Namenstag ein gutes Mittagessen im goldenen Lamm bekommen, wenn ich schon keinen rothen Heller hier und daheim habe, und seit 2 Jahren nimmer weiß, ob die bayrischen Thaler rund oder eckig sind. Darauf hin läßt er sich vom Lammwirth ein gutes Essen auftragen, und trinkt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-12-03T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-12-03T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-12-03T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |