Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

ein, gieng bey der ersten Gelegenheit in ein vertrautes Schiff, und kam nach 80 Tagen glücklich in dem Seehafen von Philadelphia an. Als er aber hier an einem landfremden Orte mit schwerem Herzen wieder an das Ufer stieg; und als er eben bei sich selber dachte: "Wenn mir doch Gott auch nur einen einzigen Menschen entgegen führte, der mich kennt;" siehe da kam in armseliger Schiffskleidung der Condukteur. Aber so groß sonst die Freude des unverhoften Wiedersehens an einem solchen fremden Orte ist, so war doch hier der erste Willkomm schlecht genug. Denn der Condukteur, als er seinen Mann erkannte, gieng er mit geballter Faust auf ihn los: "Wo führt euch der Böse her, verdammter Nachtläufer? wißt ihr, daß ich wegen euch bin gepreßt worden?" Der Engländer aber sagte: "Goddam, ihr vermaledeiter Ueberall und Nirgends, wißt ihr, daß man wegen euch mich gehenkt hat?" hernach aber giengen sie miteinander ins Wirthshaus zu den 3 Cronen in Philadelphia, und erzählten sich ihr Schicksal. Und der junge Engländer, der in einem Handlungshaus gute Geschäfte machte, ruhte nachher nicht, bis er seinen guten Freund loskaufte und wieder nach London zurück schicken konnte.


Der unschuldig Gehenkte.

Folgende unglückliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart zugetragen. Mehrere Knaben hüteten mit einander an einer Berghalte unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister. In der Langweile trieben sie allerley, und ahmten unter einander, wie dieses Alter

ein, gieng bey der ersten Gelegenheit in ein vertrautes Schiff, und kam nach 80 Tagen glücklich in dem Seehafen von Philadelphia an. Als er aber hier an einem landfremden Orte mit schwerem Herzen wieder an das Ufer stieg; und als er eben bei sich selber dachte: „Wenn mir doch Gott auch nur einen einzigen Menschen entgegen führte, der mich kennt;“ siehe da kam in armseliger Schiffskleidung der Condukteur. Aber so groß sonst die Freude des unverhoften Wiedersehens an einem solchen fremden Orte ist, so war doch hier der erste Willkomm schlecht genug. Denn der Condukteur, als er seinen Mann erkannte, gieng er mit geballter Faust auf ihn los: „Wo führt euch der Böse her, verdammter Nachtläufer? wißt ihr, daß ich wegen euch bin gepreßt worden?“ Der Engländer aber sagte: „Goddam, ihr vermaledeiter Ueberall und Nirgends, wißt ihr, daß man wegen euch mich gehenkt hat?“ hernach aber giengen sie miteinander ins Wirthshaus zu den 3 Cronen in Philadelphia, und erzählten sich ihr Schicksal. Und der junge Engländer, der in einem Handlungshaus gute Geschäfte machte, ruhte nachher nicht, bis er seinen guten Freund loskaufte und wieder nach London zurück schicken konnte.


Der unschuldig Gehenkte.

Folgende unglückliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart zugetragen. Mehrere Knaben hüteten mit einander an einer Berghalte unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister. In der Langweile trieben sie allerley, und ahmten unter einander, wie dieses Alter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0208" n="200"/>
ein, gieng bey der ersten Gelegenheit in ein vertrautes Schiff, und kam nach 80 Tagen glücklich in dem Seehafen von Philadelphia an. Als er aber hier an einem landfremden Orte mit schwerem Herzen wieder an das Ufer stieg; und als er eben bei sich selber dachte: &#x201E;Wenn mir doch Gott auch nur einen einzigen Menschen entgegen führte, der mich kennt;&#x201C; siehe da kam in armseliger Schiffskleidung der Condukteur. Aber so groß sonst die Freude des unverhoften Wiedersehens an einem solchen fremden Orte ist, so war doch hier der erste Willkomm schlecht genug. Denn der Condukteur, als er seinen Mann erkannte, gieng er mit geballter Faust auf ihn los: &#x201E;<hi rendition="#g">Wo führt euch der Böse her, verdammter Nachtläufer? wißt ihr, daß ich wegen euch bin gepreßt worden?</hi>&#x201C; Der Engländer aber sagte: &#x201E;<hi rendition="#g">Goddam, ihr vermaledeiter Ueberall und Nirgends, wißt ihr, daß man wegen euch mich gehenkt hat</hi>?&#x201C; hernach aber giengen sie miteinander ins Wirthshaus zu den 3 Cronen in Philadelphia, und erzählten sich ihr Schicksal. Und der junge Engländer, der in einem Handlungshaus gute Geschäfte machte, ruhte nachher nicht, bis er seinen guten Freund loskaufte und wieder nach London zurück schicken konnte.</p>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head>Der unschuldig Gehenkte.</head><lb/>
        <p>Folgende unglückliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart zugetragen. Mehrere Knaben hüteten mit einander an einer Berghalte unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister. In der Langweile trieben sie allerley, und ahmten unter einander, wie dieses Alter
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0208] ein, gieng bey der ersten Gelegenheit in ein vertrautes Schiff, und kam nach 80 Tagen glücklich in dem Seehafen von Philadelphia an. Als er aber hier an einem landfremden Orte mit schwerem Herzen wieder an das Ufer stieg; und als er eben bei sich selber dachte: „Wenn mir doch Gott auch nur einen einzigen Menschen entgegen führte, der mich kennt;“ siehe da kam in armseliger Schiffskleidung der Condukteur. Aber so groß sonst die Freude des unverhoften Wiedersehens an einem solchen fremden Orte ist, so war doch hier der erste Willkomm schlecht genug. Denn der Condukteur, als er seinen Mann erkannte, gieng er mit geballter Faust auf ihn los: „Wo führt euch der Böse her, verdammter Nachtläufer? wißt ihr, daß ich wegen euch bin gepreßt worden?“ Der Engländer aber sagte: „Goddam, ihr vermaledeiter Ueberall und Nirgends, wißt ihr, daß man wegen euch mich gehenkt hat?“ hernach aber giengen sie miteinander ins Wirthshaus zu den 3 Cronen in Philadelphia, und erzählten sich ihr Schicksal. Und der junge Engländer, der in einem Handlungshaus gute Geschäfte machte, ruhte nachher nicht, bis er seinen guten Freund loskaufte und wieder nach London zurück schicken konnte. Der unschuldig Gehenkte. Folgende unglückliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart zugetragen. Mehrere Knaben hüteten mit einander an einer Berghalte unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister. In der Langweile trieben sie allerley, und ahmten unter einander, wie dieses Alter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-03T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-03T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-03T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/208
Zitationshilfe: Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/208>, abgerufen am 22.12.2024.