Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.Buch lesen kann, in diesem Psalter, und ließt darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Strasse ist, und wenn ihn die Finsterniß verführen will, etwas Böses zu thun, er kann nimmer. Also will jezt der Hausfreund eine Predigt halten, zuerst über die Erde und über die Sonne, darnach über den Mond, darnach über die Sterne. Die Erde und die Sonne. Nach dem Augenschein und nach dem allgemeinen Glauben wäre die Erde mit allen ihren Bergen und Thälern eine große runde Fläche gleich einer ungheuer großen Scheibe. Am Rande derselben weiter hinaus kommt nichts mehr, dort ist gleichsam der Himmel an sie angefügt, der wie eine große hohle Halbkugel über ihr steht und sie bedeckt. Dort geht am Tag die Sonne auf und unter, bald früher, bald später, bald links an einem gewissen bekannten Berg oder Haus, bald rechts, und bringt Tag und Nacht, Sommer und Winter, und bey Nacht den Mond und die Sterne, und sie scheinen nicht gar entsetzlich hoch über unsern Häuptern zu stehen. Das wäre nun alles gut, wenn's niemand besser wüßte, aber wir Sternseher und Kalendermacher wissen's besser. Denn erstlich, wenn einer daheim weggeht, und will reisen bis an's Ende der Erde, an den Rand, wo man einen aufgehenden Stern mit der Hand weghaschen und in die Tasche stecken kann, und er geht am 1. April von Hause aus, so hat er den rechten Tag gewählt. Denn er kann reisen, wenn Buch lesen kann, in diesem Psalter, und ließt darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Strasse ist, und wenn ihn die Finsterniß verführen will, etwas Böses zu thun, er kann nimmer. Also will jezt der Hausfreund eine Predigt halten, zuerst über die Erde und über die Sonne, darnach über den Mond, darnach über die Sterne. Die Erde und die Sonne. Nach dem Augenschein und nach dem allgemeinen Glauben wäre die Erde mit allen ihren Bergen und Thälern eine große runde Fläche gleich einer ungheuer großen Scheibe. Am Rande derselben weiter hinaus kommt nichts mehr, dort ist gleichsam der Himmel an sie angefügt, der wie eine große hohle Halbkugel über ihr steht und sie bedeckt. Dort geht am Tag die Sonne auf und unter, bald früher, bald später, bald links an einem gewissen bekannten Berg oder Haus, bald rechts, und bringt Tag und Nacht, Sommer und Winter, und bey Nacht den Mond und die Sterne, und sie scheinen nicht gar entsetzlich hoch über unsern Häuptern zu stehen. Das wäre nun alles gut, wenn’s niemand besser wüßte, aber wir Sternseher und Kalendermacher wissen’s besser. Denn erstlich, wenn einer daheim weggeht, und will reisen bis an’s Ende der Erde, an den Rand, wo man einen aufgehenden Stern mit der Hand weghaschen und in die Tasche stecken kann, und er geht am 1. April von Hause aus, so hat er den rechten Tag gewählt. Denn er kann reisen, wenn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0010" n="2"/> Buch lesen kann, in diesem Psalter, und ließt darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Strasse ist, und wenn ihn die Finsterniß verführen will, etwas Böses zu thun, er kann nimmer.</p> <p>Also will jezt der Hausfreund eine Predigt halten, zuerst über die Erde und über die Sonne, darnach über den Mond, darnach über die Sterne.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> <div n="1"> <head>Die Erde und die Sonne.</head><lb/> <p>Nach dem Augenschein und nach dem allgemeinen Glauben wäre die Erde mit allen ihren Bergen und Thälern eine große runde Fläche gleich einer ungheuer großen Scheibe. Am Rande derselben weiter hinaus kommt nichts mehr, dort ist gleichsam der Himmel an sie angefügt, der wie eine große hohle Halbkugel über ihr steht und sie bedeckt. Dort geht am Tag die Sonne auf und unter, bald früher, bald später, bald links an einem gewissen bekannten Berg oder Haus, bald rechts, und bringt Tag und Nacht, Sommer und Winter, und bey Nacht den Mond und die Sterne, und sie scheinen nicht gar entsetzlich hoch über unsern Häuptern zu stehen.</p> <p>Das wäre nun alles gut, wenn’s niemand besser wüßte, aber wir Sternseher und Kalendermacher wissen’s besser. Denn <hi rendition="#g">erstlich</hi>, wenn einer daheim weggeht, und will reisen bis an’s Ende der Erde, an den Rand, wo man einen aufgehenden Stern mit der Hand weghaschen und in die Tasche stecken kann, und er geht am 1. April von Hause aus, so hat er den rechten Tag gewählt. Denn er kann reisen, wenn </p> </div> </body> </text> </TEI> [2/0010]
Buch lesen kann, in diesem Psalter, und ließt darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Strasse ist, und wenn ihn die Finsterniß verführen will, etwas Böses zu thun, er kann nimmer.
Also will jezt der Hausfreund eine Predigt halten, zuerst über die Erde und über die Sonne, darnach über den Mond, darnach über die Sterne.
Die Erde und die Sonne.
Nach dem Augenschein und nach dem allgemeinen Glauben wäre die Erde mit allen ihren Bergen und Thälern eine große runde Fläche gleich einer ungheuer großen Scheibe. Am Rande derselben weiter hinaus kommt nichts mehr, dort ist gleichsam der Himmel an sie angefügt, der wie eine große hohle Halbkugel über ihr steht und sie bedeckt. Dort geht am Tag die Sonne auf und unter, bald früher, bald später, bald links an einem gewissen bekannten Berg oder Haus, bald rechts, und bringt Tag und Nacht, Sommer und Winter, und bey Nacht den Mond und die Sterne, und sie scheinen nicht gar entsetzlich hoch über unsern Häuptern zu stehen.
Das wäre nun alles gut, wenn’s niemand besser wüßte, aber wir Sternseher und Kalendermacher wissen’s besser. Denn erstlich, wenn einer daheim weggeht, und will reisen bis an’s Ende der Erde, an den Rand, wo man einen aufgehenden Stern mit der Hand weghaschen und in die Tasche stecken kann, und er geht am 1. April von Hause aus, so hat er den rechten Tag gewählt. Denn er kann reisen, wenn
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