Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Reimgedicht zusammenzubringen
solte lernen können: iedoch einer viel
glückseliger/ als der andere.

8. Es ist zwar nicht eines ieden Gele-
genheit/ Verse zu machen/ oder zu lesen;
noch weniger kostbare darzu erforder-
te Bücher zu erkauffen; so stehet es doch
wol/ und ist fast nohtwendig/ daß ein
Gelehrter seine Muttersprache gründ-
lich verstehe/ und derselben Poeterey
nicht unwissend sey; wie auch keiner sich
einer Sprache/ mit Fug/ rühmen kan/
wann er nicht in derselbigen die Vers-
kunst studiret/ und zum wenigsten die
vornemsten Poeten/ als die sinnreichsteu
Sprachmeister/ gelesen hat.

9. Lernen wir Hebreische/ Griechische
und Lateinische Verse machen/ warum
wollen wir es in dem Teutschen nit auch
so weit bringen/ daß wir zum wenigsten
von einem Gedicht urtheilen können. Ge-
wißlich/ einen teutschen Vers lesen/ und
nachkünstlen/ ist der Jugend eine nütz-
liche Abmüssigung von wichtigerem
Studiren. Man lernet dadurch zierlich
reden/ eine Sache mit vielen Worten nach-
drücklich vorbringen/ wolsetzen/ iede
Meinung richtig auf die anderebinden/

und

ein Reimgedicht zuſammenzubringen
ſolte lernen koͤnnen: iedoch einer viel
gluͤckſeliger/ als der andere.

8. Es iſt zwar nicht eines ieden Gele-
genheit/ Verſe zu machen/ oder zu leſen;
noch weniger koſtbare darzu erforder-
te Buͤcher zu erkauffen; ſo ſtehet es doch
wol/ und iſt faſt nohtwendig/ daß ein
Gelehrter ſeine Mutterſpꝛache gruͤnd-
lich verſtehe/ und derſelben Poëterey
nicht unwiſſend ſey; wie auch keiner ſich
einer Sprache/ mit Fug/ ruͤhmen kan/
wann er nicht in derſelbigen die Vers-
kunſt ſtudiret/ und zum wenigſten die
vornemſten Poëten/ als die ſiñreichſteu
Sprachmeiſter/ geleſen hat.

9. Lernen wir Hebreiſche/ Gꝛiechiſche
und Lateiniſche Verſe machen/ warum
wollen wir es in dem Teutſchen nit auch
ſo weit bringen/ daß wir zum wenigſten
von einem Gedicht urtheilen koͤñen. Ge-
wißlich/ einen teutſchen Vers leſen/ und
nachkuͤnſtlen/ iſt der Jugend eine nuͤtz-
liche Abmuͤſſigung von wichtigerem
Studiren. Man lernet dadurch zierlich
reden/ eine Sache mit vielẽ Wortẽ nach-
druͤcklich vorbringen/ wolſetzen/ iede
Meinung richtig auf die anderebinden/

und
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0010"/> <hi rendition="#fr">ein Reimgedicht zu&#x017F;ammenzubringen<lb/>
&#x017F;olte lernen ko&#x0364;nnen: iedoch einer viel<lb/>
glu&#x0364;ck&#x017F;eliger/ als der andere.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#fr">8. Es i&#x017F;t zwar nicht eines ieden Gele-<lb/>
genheit/ Ver&#x017F;e zu machen/ oder zu le&#x017F;en;<lb/>
noch weniger ko&#x017F;tbare darzu erforder-<lb/>
te Bu&#x0364;cher zu erkauffen; &#x017F;o &#x017F;tehet es doch<lb/>
wol/ und i&#x017F;t fa&#x017F;t nohtwendig/ daß ein<lb/>
Gelehrter &#x017F;eine Mutter&#x017F;p&#xA75B;ache gru&#x0364;nd-<lb/>
lich ver&#x017F;tehe/ und der&#x017F;elben Po<hi rendition="#aq">ë</hi>terey<lb/>
nicht unwi&#x017F;&#x017F;end &#x017F;ey; wie auch keiner &#x017F;ich<lb/>
einer Sprache/ mit Fug/ ru&#x0364;hmen kan/<lb/>
wann er nicht in der&#x017F;elbigen die Vers-<lb/>
kun&#x017F;t &#x017F;tudiret/ und zum wenig&#x017F;ten die<lb/>
vornem&#x017F;ten Po<hi rendition="#aq">ë</hi>ten/ als die &#x017F;in&#x0303;reich&#x017F;teu<lb/>
Sprachmei&#x017F;ter/ gele&#x017F;en hat.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#fr">9. Lernen wir Hebrei&#x017F;che/ G&#xA75B;iechi&#x017F;che<lb/>
und Lateini&#x017F;che Ver&#x017F;e machen/ warum<lb/>
wollen wir es in dem Teut&#x017F;chen nit auch<lb/>
&#x017F;o weit bringen/ daß wir zum wenig&#x017F;ten<lb/>
von einem Gedicht urtheilen ko&#x0364;n&#x0303;en. Ge-<lb/>
wißlich/ einen teut&#x017F;chen Vers le&#x017F;en/ und<lb/>
nachku&#x0364;n&#x017F;tlen/ i&#x017F;t der Jugend eine nu&#x0364;tz-<lb/>
liche Abmu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igung von wichtigerem<lb/>
Studiren. Man lernet dadurch zierlich<lb/>
reden/ eine Sache mit viele&#x0303; Worte&#x0303; nach-<lb/>
dru&#x0364;cklich vorbringen/ wol&#x017F;etzen/ iede<lb/>
Meinung richtig auf die anderebinden/</hi><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">und</hi> </fw><lb/>
        </p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0010] ein Reimgedicht zuſammenzubringen ſolte lernen koͤnnen: iedoch einer viel gluͤckſeliger/ als der andere. 8. Es iſt zwar nicht eines ieden Gele- genheit/ Verſe zu machen/ oder zu leſen; noch weniger koſtbare darzu erforder- te Buͤcher zu erkauffen; ſo ſtehet es doch wol/ und iſt faſt nohtwendig/ daß ein Gelehrter ſeine Mutterſpꝛache gruͤnd- lich verſtehe/ und derſelben Poëterey nicht unwiſſend ſey; wie auch keiner ſich einer Sprache/ mit Fug/ ruͤhmen kan/ wann er nicht in derſelbigen die Vers- kunſt ſtudiret/ und zum wenigſten die vornemſten Poëten/ als die ſiñreichſteu Sprachmeiſter/ geleſen hat. 9. Lernen wir Hebreiſche/ Gꝛiechiſche und Lateiniſche Verſe machen/ warum wollen wir es in dem Teutſchen nit auch ſo weit bringen/ daß wir zum wenigſten von einem Gedicht urtheilen koͤñen. Ge- wißlich/ einen teutſchen Vers leſen/ und nachkuͤnſtlen/ iſt der Jugend eine nuͤtz- liche Abmuͤſſigung von wichtigerem Studiren. Man lernet dadurch zierlich reden/ eine Sache mit vielẽ Wortẽ nach- druͤcklich vorbringen/ wolſetzen/ iede Meinung richtig auf die anderebinden/ und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/10
Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/10>, abgerufen am 26.04.2024.