Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Abschnitt. an sich.
tigkeit am meisten beunruhige. Sie reissen die Nägel
aus, um die an den Nägeln hängende lange Wärzchen
zugleich mit zu zerreissen; oder sie schlagen die männliche
Ruthe mit einer Keule entzwei, welche sie langsam regieren.
Davon entstehen die Schmerzen des Wurms am Fin-
ger (x).

Jch erfahre es oft, und auch jezo an mir selbst, daß
ein Mensch niemals ganz von Schmerzen frei ist, und daß
er nie so weich sizt oder liegt, daß er nicht an seinem ge-
bognen oder gedrükten Gliede einige unangenehme Em-
pfindung oder dergleichen verspüren sollte. Doch wir
lassen dieses leicht wieder aus der Acht, und es ist dieses
eine von den Sinnlichkeiten, deren wir uns nicht bewust
sind. So bald wir das Gemüth aufmerksam machen, so
wird unser ganzer Körper, an dem wir nichts empfanden,
ganz Sinn, und wir verspüren fast allenthalben Unge-
mächlichkeit. Es ist dieses die Ursache, warum der Kör-
per oft seine Lage verändern mus, und warum wir uns
im Bette herumwerfen.

§. 5.
Die Oberhaut.

Um die Gewaltsamkeit des Fühlens zu mäßigen, hat
die Natur die Oberhaut gemacht. Man nehme dieselbe
von einem noch so kleinen Theilchen weg, so wird alsdenn
das ganze Leben des Menschen zu einer Folter. Es ver-
trägt nämlich die Haut, wenn solche durch die Kraft der
Blasenpflaster von der Oberhaut entblöst ist, weder ein
Kleid, noch die Luft mehr. Nun aber raubt die Ober-
haut, und zwar an allen und jeden Stellen, von der
allzulebhaften Empfindlichkeit der Wärzchen so viel, als
es sich zum Gebrauche des Lebens rauben lies: sie entzieht

der
(x) [Spaltenumbruch] Nicht von den Sehnen, denn
diese haben keine Empfindung,
[Spaltenumbruch] HEUERMANN T. III. pag.
242.

III. Abſchnitt. an ſich.
tigkeit am meiſten beunruhige. Sie reiſſen die Naͤgel
aus, um die an den Naͤgeln haͤngende lange Waͤrzchen
zugleich mit zu zerreiſſen; oder ſie ſchlagen die maͤnnliche
Ruthe mit einer Keule entzwei, welche ſie langſam regieren.
Davon entſtehen die Schmerzen des Wurms am Fin-
ger (x).

Jch erfahre es oft, und auch jezo an mir ſelbſt, daß
ein Menſch niemals ganz von Schmerzen frei iſt, und daß
er nie ſo weich ſizt oder liegt, daß er nicht an ſeinem ge-
bognen oder gedruͤkten Gliede einige unangenehme Em-
pfindung oder dergleichen verſpuͤren ſollte. Doch wir
laſſen dieſes leicht wieder aus der Acht, und es iſt dieſes
eine von den Sinnlichkeiten, deren wir uns nicht bewuſt
ſind. So bald wir das Gemuͤth aufmerkſam machen, ſo
wird unſer ganzer Koͤrper, an dem wir nichts empfanden,
ganz Sinn, und wir verſpuͤren faſt allenthalben Unge-
maͤchlichkeit. Es iſt dieſes die Urſache, warum der Koͤr-
per oft ſeine Lage veraͤndern mus, und warum wir uns
im Bette herumwerfen.

§. 5.
Die Oberhaut.

Um die Gewaltſamkeit des Fuͤhlens zu maͤßigen, hat
die Natur die Oberhaut gemacht. Man nehme dieſelbe
von einem noch ſo kleinen Theilchen weg, ſo wird alsdenn
das ganze Leben des Menſchen zu einer Folter. Es ver-
traͤgt naͤmlich die Haut, wenn ſolche durch die Kraft der
Blaſenpflaſter von der Oberhaut entbloͤſt iſt, weder ein
Kleid, noch die Luft mehr. Nun aber raubt die Ober-
haut, und zwar an allen und jeden Stellen, von der
allzulebhaften Empfindlichkeit der Waͤrzchen ſo viel, als
es ſich zum Gebrauche des Lebens rauben lies: ſie entzieht

der
(x) [Spaltenumbruch] Nicht von den Sehnen, denn
dieſe haben keine Empfindung,
[Spaltenumbruch] HEUERMANN T. III. pag.
242.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0401" n="383"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Ab&#x017F;chnitt. an &#x017F;ich.</hi></fw><lb/>
tigkeit am mei&#x017F;ten beunruhige. Sie rei&#x017F;&#x017F;en die Na&#x0364;gel<lb/>
aus, um die an den Na&#x0364;geln ha&#x0364;ngende lange Wa&#x0364;rzchen<lb/>
zugleich mit zu zerrei&#x017F;&#x017F;en; oder &#x017F;ie &#x017F;chlagen die ma&#x0364;nnliche<lb/>
Ruthe mit einer Keule entzwei, welche &#x017F;ie lang&#x017F;am regieren.<lb/>
Davon ent&#x017F;tehen die Schmerzen des Wurms am Fin-<lb/>
ger <note place="foot" n="(x)"><cb/>
Nicht von den Sehnen, denn<lb/>
die&#x017F;e haben keine Empfindung,<lb/><cb/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">HEUERMANN</hi> T. III. pag.</hi><lb/>
242.</note>.</p><lb/>
            <p>Jch erfahre es oft, und auch jezo an mir &#x017F;elb&#x017F;t, daß<lb/>
ein Men&#x017F;ch niemals ganz von Schmerzen frei i&#x017F;t, und daß<lb/>
er nie &#x017F;o weich &#x017F;izt oder liegt, daß er nicht an &#x017F;einem ge-<lb/>
bognen oder gedru&#x0364;kten Gliede einige unangenehme Em-<lb/>
pfindung oder dergleichen ver&#x017F;pu&#x0364;ren &#x017F;ollte. Doch wir<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;es leicht wieder aus der Acht, und es i&#x017F;t die&#x017F;es<lb/>
eine von den Sinnlichkeiten, deren wir uns nicht bewu&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ind. So bald wir das Gemu&#x0364;th aufmerk&#x017F;am machen, &#x017F;o<lb/>
wird un&#x017F;er ganzer Ko&#x0364;rper, an dem wir nichts empfanden,<lb/>
ganz Sinn, und wir ver&#x017F;pu&#x0364;ren fa&#x017F;t allenthalben Unge-<lb/>
ma&#x0364;chlichkeit. Es i&#x017F;t die&#x017F;es die Ur&#x017F;ache, warum der Ko&#x0364;r-<lb/>
per oft &#x017F;eine Lage vera&#x0364;ndern mus, und warum wir uns<lb/>
im Bette herumwerfen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 5.<lb/>
Die Oberhaut.</head><lb/>
            <p>Um die Gewalt&#x017F;amkeit des Fu&#x0364;hlens zu ma&#x0364;ßigen, hat<lb/>
die Natur die Oberhaut gemacht. Man nehme die&#x017F;elbe<lb/>
von einem noch &#x017F;o kleinen Theilchen weg, &#x017F;o wird alsdenn<lb/>
das ganze Leben des Men&#x017F;chen zu einer Folter. Es ver-<lb/>
tra&#x0364;gt na&#x0364;mlich die Haut, wenn &#x017F;olche durch die Kraft der<lb/>
Bla&#x017F;enpfla&#x017F;ter von der Oberhaut entblo&#x0364;&#x017F;t i&#x017F;t, weder ein<lb/>
Kleid, noch die Luft mehr. Nun aber raubt die Ober-<lb/>
haut, und zwar an allen und jeden Stellen, von der<lb/>
allzulebhaften Empfindlichkeit der Wa&#x0364;rzchen &#x017F;o viel, als<lb/>
es &#x017F;ich zum Gebrauche des Lebens rauben lies: &#x017F;ie entzieht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[383/0401] III. Abſchnitt. an ſich. tigkeit am meiſten beunruhige. Sie reiſſen die Naͤgel aus, um die an den Naͤgeln haͤngende lange Waͤrzchen zugleich mit zu zerreiſſen; oder ſie ſchlagen die maͤnnliche Ruthe mit einer Keule entzwei, welche ſie langſam regieren. Davon entſtehen die Schmerzen des Wurms am Fin- ger (x). Jch erfahre es oft, und auch jezo an mir ſelbſt, daß ein Menſch niemals ganz von Schmerzen frei iſt, und daß er nie ſo weich ſizt oder liegt, daß er nicht an ſeinem ge- bognen oder gedruͤkten Gliede einige unangenehme Em- pfindung oder dergleichen verſpuͤren ſollte. Doch wir laſſen dieſes leicht wieder aus der Acht, und es iſt dieſes eine von den Sinnlichkeiten, deren wir uns nicht bewuſt ſind. So bald wir das Gemuͤth aufmerkſam machen, ſo wird unſer ganzer Koͤrper, an dem wir nichts empfanden, ganz Sinn, und wir verſpuͤren faſt allenthalben Unge- maͤchlichkeit. Es iſt dieſes die Urſache, warum der Koͤr- per oft ſeine Lage veraͤndern mus, und warum wir uns im Bette herumwerfen. §. 5. Die Oberhaut. Um die Gewaltſamkeit des Fuͤhlens zu maͤßigen, hat die Natur die Oberhaut gemacht. Man nehme dieſelbe von einem noch ſo kleinen Theilchen weg, ſo wird alsdenn das ganze Leben des Menſchen zu einer Folter. Es ver- traͤgt naͤmlich die Haut, wenn ſolche durch die Kraft der Blaſenpflaſter von der Oberhaut entbloͤſt iſt, weder ein Kleid, noch die Luft mehr. Nun aber raubt die Ober- haut, und zwar an allen und jeden Stellen, von der allzulebhaften Empfindlichkeit der Waͤrzchen ſo viel, als es ſich zum Gebrauche des Lebens rauben lies: ſie entzieht der (x) Nicht von den Sehnen, denn dieſe haben keine Empfindung, HEUERMANN T. III. pag. 242.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/401
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/401>, abgerufen am 21.12.2024.