zerstörenden Ursache Erinnerungen thut. Es scheinet dieses was geringes zu sein; es hat aber allerdings viel zu sagen. Würde uns der Schmerz in Krankheiten nicht warnen, den Körper zu wenden, damit wir nicht die Last des ganzen Körpers beständig auf eine Stelle drükken liessen, so würde gewis in jeder Krankheit, der heisse Brand, weil die Bewegung des Blutes, und Nervensaftes an der gedrükkten Hautstelle gehemmt wird, entstehen und den- noch ist dieses Uebel selten genung. Es ist der ganze Körper mit einer sehr empfindlichen Bekleidung umgeben, damit wir uns auf allen Seiten für das Stossen an harte Körper, für verwundende Schneiden, für dem Gerinnen des Blutes im Froste, für das Brennen des Feuers hüten mögen. Die inwendigen Theile, die den äusserlichen Be- schädigungen schon nicht so ausgesezzt sind, schmerzen auch, z. E. wie die Eingeweide, schon weniger.
Zum Schmerz könnte man auch, ob es gleich kleine wirkliche Schmerzen voriger Art sind, dennoch den Hun- ger, welcher endlich zu einem wahren Schmerze werden würde, den Durst, die Aengstlichkeit (s*), welche von dem Blute herrührt, so durch die Lunge zu laufen unver- mögend ist, die Müdigkeit von den bewegten Muskeln, das Jukken und Kizzeln, noch rechnen, indem das erste, wie es scheint, ein gelindes Zeichen des entblösten Nerven, dieses aber schon ein heftiges Reizzen ist, welches sich end- lich in einen Krampf verwandelt: wozu man noch die un- angenehme Gerüche, Geschmakke und Töne sezzen könnte. Denn wir wünschen, alle diese körperliche Beschaffenhei- ten weit von uns.
§. 2 Die Lust.
Sie ist derjenige Zustand des Körpers, den man sich wünscht. Es läst sich nicht leicht sagen, was uns in den Nerven Wollust macht. Das sehen wir, daß sie eine
sanftere
(s*) Am Erhängten G. v. SWIETEN II. p. 198.
Der Wille. XVII. Buch.
zerſtoͤrenden Urſache Erinnerungen thut. Es ſcheinet dieſes was geringes zu ſein; es hat aber allerdings viel zu ſagen. Wuͤrde uns der Schmerz in Krankheiten nicht warnen, den Koͤrper zu wenden, damit wir nicht die Laſt des ganzen Koͤrpers beſtaͤndig auf eine Stelle druͤkken lieſſen, ſo wuͤrde gewis in jeder Krankheit, der heiſſe Brand, weil die Bewegung des Blutes, und Nervenſaftes an der gedruͤkkten Hautſtelle gehemmt wird, entſtehen und den- noch iſt dieſes Uebel ſelten genung. Es iſt der ganze Koͤrper mit einer ſehr empfindlichen Bekleidung umgeben, damit wir uns auf allen Seiten fuͤr das Stoſſen an harte Koͤrper, fuͤr verwundende Schneiden, fuͤr dem Gerinnen des Blutes im Froſte, fuͤr das Brennen des Feuers huͤten moͤgen. Die inwendigen Theile, die den aͤuſſerlichen Be- ſchaͤdigungen ſchon nicht ſo ausgeſezzt ſind, ſchmerzen auch, z. E. wie die Eingeweide, ſchon weniger.
Zum Schmerz koͤnnte man auch, ob es gleich kleine wirkliche Schmerzen voriger Art ſind, dennoch den Hun- ger, welcher endlich zu einem wahren Schmerze werden wuͤrde, den Durſt, die Aengſtlichkeit (s*), welche von dem Blute herruͤhrt, ſo durch die Lunge zu laufen unver- moͤgend iſt, die Muͤdigkeit von den bewegten Muſkeln, das Jukken und Kizzeln, noch rechnen, indem das erſte, wie es ſcheint, ein gelindes Zeichen des entbloͤſten Nerven, dieſes aber ſchon ein heftiges Reizzen iſt, welches ſich end- lich in einen Krampf verwandelt: wozu man noch die un- angenehme Geruͤche, Geſchmakke und Toͤne ſezzen koͤnnte. Denn wir wuͤnſchen, alle dieſe koͤrperliche Beſchaffenhei- ten weit von uns.
§. 2 Die Luſt.
Sie iſt derjenige Zuſtand des Koͤrpers, den man ſich wuͤnſcht. Es laͤſt ſich nicht leicht ſagen, was uns in den Nerven Wolluſt macht. Das ſehen wir, daß ſie eine
ſanftere
(s*) Am Erhaͤngten G. v. SWIETEN II. p. 198.
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Der Wille. XVII. Buch.
zerſtoͤrenden Urſache Erinnerungen thut. Es ſcheinet
dieſes was geringes zu ſein; es hat aber allerdings viel zu
ſagen. Wuͤrde uns der Schmerz in Krankheiten nicht
warnen, den Koͤrper zu wenden, damit wir nicht die Laſt
des ganzen Koͤrpers beſtaͤndig auf eine Stelle druͤkken
lieſſen, ſo wuͤrde gewis in jeder Krankheit, der heiſſe Brand,
weil die Bewegung des Blutes, und Nervenſaftes an der
gedruͤkkten Hautſtelle gehemmt wird, entſtehen und den-
noch iſt dieſes Uebel ſelten genung. Es iſt der ganze
Koͤrper mit einer ſehr empfindlichen Bekleidung umgeben,
damit wir uns auf allen Seiten fuͤr das Stoſſen an harte
Koͤrper, fuͤr verwundende Schneiden, fuͤr dem Gerinnen
des Blutes im Froſte, fuͤr das Brennen des Feuers huͤten
moͤgen. Die inwendigen Theile, die den aͤuſſerlichen Be-
ſchaͤdigungen ſchon nicht ſo ausgeſezzt ſind, ſchmerzen auch,
z. E. wie die Eingeweide, ſchon weniger.
Zum Schmerz koͤnnte man auch, ob es gleich kleine
wirkliche Schmerzen voriger Art ſind, dennoch den Hun-
ger, welcher endlich zu einem wahren Schmerze werden
wuͤrde, den Durſt, die Aengſtlichkeit (s*), welche von
dem Blute herruͤhrt, ſo durch die Lunge zu laufen unver-
moͤgend iſt, die Muͤdigkeit von den bewegten Muſkeln,
das Jukken und Kizzeln, noch rechnen, indem das erſte,
wie es ſcheint, ein gelindes Zeichen des entbloͤſten Nerven,
dieſes aber ſchon ein heftiges Reizzen iſt, welches ſich end-
lich in einen Krampf verwandelt: wozu man noch die un-
angenehme Geruͤche, Geſchmakke und Toͤne ſezzen koͤnnte.
Denn wir wuͤnſchen, alle dieſe koͤrperliche Beſchaffenhei-
ten weit von uns.
§. 2
Die Luſt.
Sie iſt derjenige Zuſtand des Koͤrpers, den man ſich
wuͤnſcht. Es laͤſt ſich nicht leicht ſagen, was uns in den
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(s*) Am Erhaͤngten G. v. SWIETEN II. p. 198.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1130>, abgerufen am 20.11.2024.
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