Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Verstand. XVII. Buch.
beibehält, indessen zu gleicher Zeit alle Sinne ruhen und
aufhören (e***). Der Ursprung stekkt davon gemeinig-
lich in der Liebe (e+), oder in andren Anstrengungen (e++),
und in der Devotion (e+++), die gemeiniglich ein Werk
des Aberglaubens ist.

§. 12.
Die Urtheilskraft.

Es zeiget die Vergleichung zwoer Jdeen (f), entweder
daß sie einerlei, oder daß sie verschieden sind. So oft
also die Jdeen complex sind, so mus man sie nach ihren
einzelnen einfachen Notionen vergleichen, und es kann
diese Operation überhaupt subtil sein, wenn man entwe-
der viele besondre Notionen untersuchen, oder wahrschein-
liche Begriffe abwägen mus. Wahrscheinlich nennen wir
aber diejenigen, welche einige Merkmaale von Wahrheit,
doch in so fern an sich haben, daß man noch andre ver-
langt, von denen es nicht bekannt ist.

Da aber der Jrrthum gemeiniglich darinnen stekkt,
daß wir zwo Jdeen für einerlei annehmen, welche aber
doch wirklich von einander unterschieden sind, so erhellet,
daß das, was wir Urtheilskraft nennen, eine langsame,
schwere Sache von grosser Aufmerksamkeit, und von viel-
facher Erkenntnis, den einzeln Stükken nach sei. Jhre
Vollkommenheit beruhet auf einer genauen Vergleichung
der besondern Begriffe, woraus der ganze Begriff zusam-
men gesezzt ist. Daher gebührt der langsamen Beurthei-
lungskraft vielmehr, als dem geschwinden Wizze der
Ruhm (f*), indem die erstere beide Jdeen nach ihren ein-
zelnen Theilchen untersucht.

Der Vernunftschluß ist eine Reihe von Urtheilen.

§. 13.
(e***) [Spaltenumbruch] FEHR absinth. pag. 59.
de HAEN l. c. Recueil d'obs. de
med. ibid.
(e+) SCHILLING aeg. catalept.
TULP l. obs
22.
(e++) SCHURIG chylol. p. 225.
(e+++) [Spaltenumbruch] FONTAN anal. c. 13.
(f) BONNET c. 187.
(f*) Kluge werden, weil sie Be-
trachtungen anstellen, vor dumm
gehalten ARETAEUS II. duit. c. 6.

Der Verſtand. XVII. Buch.
beibehaͤlt, indeſſen zu gleicher Zeit alle Sinne ruhen und
aufhoͤren (e***). Der Urſprung ſtekkt davon gemeinig-
lich in der Liebe (e†), oder in andren Anſtrengungen (e††),
und in der Devotion (e†††), die gemeiniglich ein Werk
des Aberglaubens iſt.

§. 12.
Die Urtheilskraft.

Es zeiget die Vergleichung zwoer Jdeen (f), entweder
daß ſie einerlei, oder daß ſie verſchieden ſind. So oft
alſo die Jdeen complex ſind, ſo mus man ſie nach ihren
einzelnen einfachen Notionen vergleichen, und es kann
dieſe Operation uͤberhaupt ſubtil ſein, wenn man entwe-
der viele beſondre Notionen unterſuchen, oder wahrſchein-
liche Begriffe abwaͤgen mus. Wahrſcheinlich nennen wir
aber diejenigen, welche einige Merkmaale von Wahrheit,
doch in ſo fern an ſich haben, daß man noch andre ver-
langt, von denen es nicht bekannt iſt.

Da aber der Jrrthum gemeiniglich darinnen ſtekkt,
daß wir zwo Jdeen fuͤr einerlei annehmen, welche aber
doch wirklich von einander unterſchieden ſind, ſo erhellet,
daß das, was wir Urtheilskraft nennen, eine langſame,
ſchwere Sache von groſſer Aufmerkſamkeit, und von viel-
facher Erkenntnis, den einzeln Stuͤkken nach ſei. Jhre
Vollkommenheit beruhet auf einer genauen Vergleichung
der beſondern Begriffe, woraus der ganze Begriff zuſam-
men geſezzt iſt. Daher gebuͤhrt der langſamen Beurthei-
lungskraft vielmehr, als dem geſchwinden Wizze der
Ruhm (f*), indem die erſtere beide Jdeen nach ihren ein-
zelnen Theilchen unterſucht.

Der Vernunftſchluß iſt eine Reihe von Urtheilen.

§. 13.
(e***) [Spaltenumbruch] FEHR abſinth. pag. 59.
de HAEN l. c. Recueil d’obſ. de
méd. ibid.
(e†) SCHILLING æg. catalept.
TULP l. obſ
22.
(e††) SCHURIG chylol. p. 225.
(e†††) [Spaltenumbruch] FONTAN anal. c. 13.
(f) BONNET c. 187.
(f*) Kluge werden, weil ſie Be-
trachtungen anſtellen, vor dumm
gehalten ARETAEUS II. duit. c. 6.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f1102" n="1084"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Ver&#x017F;tand. <hi rendition="#aq">XVII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
beibeha&#x0364;lt, inde&#x017F;&#x017F;en zu gleicher Zeit alle Sinne ruhen und<lb/>
aufho&#x0364;ren <note place="foot" n="(e***)"><cb/><hi rendition="#aq">FEHR ab&#x017F;inth. pag. 59.<lb/>
de HAEN l. c. Recueil d&#x2019;ob&#x017F;. de<lb/>
méd. ibid.</hi></note>. Der Ur&#x017F;prung &#x017F;tekkt davon gemeinig-<lb/>
lich in der Liebe <note place="foot" n="(e&#x2020;)"><hi rendition="#aq">SCHILLING æg. catalept.<lb/>
TULP l. ob&#x017F;</hi> 22.</note>, oder in andren An&#x017F;trengungen <note place="foot" n="(e&#x2020;&#x2020;)"><hi rendition="#aq">SCHURIG chylol. p.</hi> 225.</note>,<lb/>
und in der Devotion <note place="foot" n="(e&#x2020;&#x2020;&#x2020;)"><cb/><hi rendition="#aq">FONTAN anal. c.</hi> 13.</note>, die gemeiniglich ein Werk<lb/>
des Aberglaubens i&#x017F;t.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">§. 12.<lb/><hi rendition="#g">Die Urtheilskraft.</hi></hi> </head><lb/>
            <p>Es zeiget die Vergleichung zwoer Jdeen <note place="foot" n="(f)"><hi rendition="#aq">BONNET c.</hi> 187.</note>, entweder<lb/>
daß &#x017F;ie einerlei, oder daß &#x017F;ie ver&#x017F;chieden &#x017F;ind. So oft<lb/>
al&#x017F;o die Jdeen complex &#x017F;ind, &#x017F;o mus man &#x017F;ie nach ihren<lb/>
einzelnen einfachen Notionen vergleichen, und es kann<lb/>
die&#x017F;e Operation u&#x0364;berhaupt &#x017F;ubtil &#x017F;ein, wenn man entwe-<lb/>
der viele be&#x017F;ondre Notionen unter&#x017F;uchen, oder wahr&#x017F;chein-<lb/>
liche Begriffe abwa&#x0364;gen mus. Wahr&#x017F;cheinlich nennen wir<lb/>
aber diejenigen, welche einige Merkmaale von Wahrheit,<lb/>
doch in &#x017F;o fern an &#x017F;ich haben, daß man noch andre ver-<lb/>
langt, von denen es nicht bekannt i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Da aber der Jrrthum gemeiniglich darinnen &#x017F;tekkt,<lb/>
daß wir zwo Jdeen fu&#x0364;r einerlei annehmen, welche aber<lb/>
doch wirklich von einander unter&#x017F;chieden &#x017F;ind, &#x017F;o erhellet,<lb/>
daß das, was wir <hi rendition="#fr">Urtheilskraft</hi> nennen, eine lang&#x017F;ame,<lb/>
&#x017F;chwere Sache von gro&#x017F;&#x017F;er Aufmerk&#x017F;amkeit, und von viel-<lb/>
facher Erkenntnis, den einzeln Stu&#x0364;kken nach &#x017F;ei. Jhre<lb/>
Vollkommenheit beruhet auf einer genauen Vergleichung<lb/>
der be&#x017F;ondern Begriffe, woraus der ganze Begriff zu&#x017F;am-<lb/>
men ge&#x017F;ezzt i&#x017F;t. Daher gebu&#x0364;hrt der lang&#x017F;amen Beurthei-<lb/>
lungskraft vielmehr, als dem ge&#x017F;chwinden Wizze der<lb/>
Ruhm <note place="foot" n="(f*)">Kluge werden, weil &#x017F;ie Be-<lb/>
trachtungen an&#x017F;tellen, vor dumm<lb/>
gehalten <hi rendition="#aq">ARETAEUS II. duit. c.</hi> 6.</note>, indem die er&#x017F;tere beide Jdeen nach ihren ein-<lb/>
zelnen Theilchen unter&#x017F;ucht.</p><lb/>
            <p>Der Vernunft&#x017F;chluß i&#x017F;t eine Reihe von Urtheilen.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">§. 13.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1084/1102] Der Verſtand. XVII. Buch. beibehaͤlt, indeſſen zu gleicher Zeit alle Sinne ruhen und aufhoͤren (e***). Der Urſprung ſtekkt davon gemeinig- lich in der Liebe (e†), oder in andren Anſtrengungen (e††), und in der Devotion (e†††), die gemeiniglich ein Werk des Aberglaubens iſt. §. 12. Die Urtheilskraft. Es zeiget die Vergleichung zwoer Jdeen (f), entweder daß ſie einerlei, oder daß ſie verſchieden ſind. So oft alſo die Jdeen complex ſind, ſo mus man ſie nach ihren einzelnen einfachen Notionen vergleichen, und es kann dieſe Operation uͤberhaupt ſubtil ſein, wenn man entwe- der viele beſondre Notionen unterſuchen, oder wahrſchein- liche Begriffe abwaͤgen mus. Wahrſcheinlich nennen wir aber diejenigen, welche einige Merkmaale von Wahrheit, doch in ſo fern an ſich haben, daß man noch andre ver- langt, von denen es nicht bekannt iſt. Da aber der Jrrthum gemeiniglich darinnen ſtekkt, daß wir zwo Jdeen fuͤr einerlei annehmen, welche aber doch wirklich von einander unterſchieden ſind, ſo erhellet, daß das, was wir Urtheilskraft nennen, eine langſame, ſchwere Sache von groſſer Aufmerkſamkeit, und von viel- facher Erkenntnis, den einzeln Stuͤkken nach ſei. Jhre Vollkommenheit beruhet auf einer genauen Vergleichung der beſondern Begriffe, woraus der ganze Begriff zuſam- men geſezzt iſt. Daher gebuͤhrt der langſamen Beurthei- lungskraft vielmehr, als dem geſchwinden Wizze der Ruhm (f*), indem die erſtere beide Jdeen nach ihren ein- zelnen Theilchen unterſucht. Der Vernunftſchluß iſt eine Reihe von Urtheilen. §. 13. (e***) FEHR abſinth. pag. 59. de HAEN l. c. Recueil d’obſ. de méd. ibid. (e†) SCHILLING æg. catalept. TULP l. obſ 22. (e††) SCHURIG chylol. p. 225. (e†††) FONTAN anal. c. 13. (f) BONNET c. 187. (f*) Kluge werden, weil ſie Be- trachtungen anſtellen, vor dumm gehalten ARETAEUS II. duit. c. 6.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1102
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1084. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1102>, abgerufen am 30.12.2024.