die Seele, so lange sie das Glied vollständig beherrschte, die Empfindung vom Finger vermittelst des Nerven, welcher zum Gehirn in die Höhe geht, wahrnahm.
Eben dieses Grundes bedient sich auch der berümte Godart. Er erinnert nämlich, daß sich das Gedächt- niß den Eindruck einer Empfindung, die von einem Glie- de gefühlt worden, noch immer vorstelle, wenn das Werkzeug gleich bereits verloren gegangen [Spaltenumbruch]e.
§. 17. Ob die Empfindung vielmehr in den Gehirnhäuten ihren Sitz habe?
Ob dieses alles gleich durchgängig ausgemacht zu sein scheinet, und kein Zweifel weiter statt zu finden das Ansehen hat, daß nicht die Nerven das Gefühl des be- rührenden Körpers ins Gehirn übertragen sollten, wel- ches sich in dieser Gegend der Seelen abbildet; so ver- statten dennoch einige berümte Männer, sonderlich von den Nachfolgern des Stahls nicht, daß wir uns dieser Erweise bedienen können. Sie sagen nämlich, es em- pfinde die Membran des Gehirns, hingegen sei das Ge- hirn selbst ohne Gefühl, und es lasse sich dasselbe ohne alle Schmerzen des Thiers beschädigen. Wir müssen also die Versuche hören, welche von berümten Männern vorgetragen werden, und wir wollen zuerst von den Ge- hirnhäuten, hierauf aber vom Gehirne, selbst handeln.
Man hat demnach bei Kopfschmerzen die Gefässe der Gehirnhäute mit einem schwarzen Blute erfüllt f, entzündet [Spaltenumbruch]g und verhärtet gefunden h, oder es war die dünne Gehirnhaut in einem rauhen und ungleichen Ge- schwulste mit der harten Gehirnhaut zusammen gewach-
sen,
eDe l'ame p. 54.
fCollins p. 1161. Willis anim. brut. p. 210.
gBoehmer praef. ad obs. fasc. 1. p. XVI. Chiflet obs. 7.
hle Clerc. malad. des. os. p. 18.
Das Gehirn und die Nerven. X. Buch.
die Seele, ſo lange ſie das Glied vollſtaͤndig beherrſchte, die Empfindung vom Finger vermittelſt des Nerven, welcher zum Gehirn in die Hoͤhe geht, wahrnahm.
Eben dieſes Grundes bedient ſich auch der beruͤmte Godart. Er erinnert naͤmlich, daß ſich das Gedaͤcht- niß den Eindruck einer Empfindung, die von einem Glie- de gefuͤhlt worden, noch immer vorſtelle, wenn das Werkzeug gleich bereits verloren gegangen [Spaltenumbruch]e.
§. 17. Ob die Empfindung vielmehr in den Gehirnhaͤuten ihren Sitz habe?
Ob dieſes alles gleich durchgaͤngig ausgemacht zu ſein ſcheinet, und kein Zweifel weiter ſtatt zu finden das Anſehen hat, daß nicht die Nerven das Gefuͤhl des be- ruͤhrenden Koͤrpers ins Gehirn uͤbertragen ſollten, wel- ches ſich in dieſer Gegend der Seelen abbildet; ſo ver- ſtatten dennoch einige beruͤmte Maͤnner, ſonderlich von den Nachfolgern des Stahls nicht, daß wir uns dieſer Erweiſe bedienen koͤnnen. Sie ſagen naͤmlich, es em- pfinde die Membran des Gehirns, hingegen ſei das Ge- hirn ſelbſt ohne Gefuͤhl, und es laſſe ſich daſſelbe ohne alle Schmerzen des Thiers beſchaͤdigen. Wir muͤſſen alſo die Verſuche hoͤren, welche von beruͤmten Maͤnnern vorgetragen werden, und wir wollen zuerſt von den Ge- hirnhaͤuten, hierauf aber vom Gehirne, ſelbſt handeln.
Man hat demnach bei Kopfſchmerzen die Gefaͤſſe der Gehirnhaͤute mit einem ſchwarzen Blute erfuͤllt f, entzuͤndet [Spaltenumbruch]g und verhaͤrtet gefunden h, oder es war die duͤnne Gehirnhaut in einem rauhen und ungleichen Ge- ſchwulſte mit der harten Gehirnhaut zuſammen gewach-
ſen,
eDe l’ame p. 54.
fCollins p. 1161. Willis anim. brut. p. 210.
gBoehmer praef. ad obſ. faſc. 1. p. XVI. Chiflet obſ. 7.
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Das Gehirn und die Nerven. X. Buch.
die Seele, ſo lange ſie das Glied vollſtaͤndig beherrſchte,
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welcher zum Gehirn in die Hoͤhe geht, wahrnahm.
Eben dieſes Grundes bedient ſich auch der beruͤmte
Godart. Er erinnert naͤmlich, daß ſich das Gedaͤcht-
niß den Eindruck einer Empfindung, die von einem Glie-
de gefuͤhlt worden, noch immer vorſtelle, wenn das
Werkzeug gleich bereits verloren gegangen
e.
§. 17.
Ob die Empfindung vielmehr in den
Gehirnhaͤuten ihren Sitz habe?
Ob dieſes alles gleich durchgaͤngig ausgemacht zu
ſein ſcheinet, und kein Zweifel weiter ſtatt zu finden das
Anſehen hat, daß nicht die Nerven das Gefuͤhl des be-
ruͤhrenden Koͤrpers ins Gehirn uͤbertragen ſollten, wel-
ches ſich in dieſer Gegend der Seelen abbildet; ſo ver-
ſtatten dennoch einige beruͤmte Maͤnner, ſonderlich von
den Nachfolgern des Stahls nicht, daß wir uns dieſer
Erweiſe bedienen koͤnnen. Sie ſagen naͤmlich, es em-
pfinde die Membran des Gehirns, hingegen ſei das Ge-
hirn ſelbſt ohne Gefuͤhl, und es laſſe ſich daſſelbe ohne
alle Schmerzen des Thiers beſchaͤdigen. Wir muͤſſen
alſo die Verſuche hoͤren, welche von beruͤmten Maͤnnern
vorgetragen werden, und wir wollen zuerſt von den Ge-
hirnhaͤuten, hierauf aber vom Gehirne, ſelbſt handeln.
Man hat demnach bei Kopfſchmerzen die Gefaͤſſe
der Gehirnhaͤute mit einem ſchwarzen Blute erfuͤllt f,
entzuͤndet
g und verhaͤrtet gefunden h, oder es war die
duͤnne Gehirnhaut in einem rauhen und ungleichen Ge-
ſchwulſte mit der harten Gehirnhaut zuſammen gewach-
ſen,
e De l’ame p. 54.
f Collins p. 1161. Willis anim.
brut. p. 210.
g Boehmer praef. ad obſ. faſc.
1. p. XVI. Chiflet obſ. 7.
h le Clerc. malad. des. os. p. 18.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/516>, abgerufen am 20.11.2024.
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