§. 31. Noch viel weniger die Chineser oder Perser.
Andre Schriftsteller, die besonders in Ansehung frem- der Sachen ziemlich spizfündig sind, haben die Ehre der Erfindung einer Sache, die dem gelehrten Griechenlan- de unbekannt blieb, lieber auf ein weit von uns entlege- nes Volk bringen wollen. Es ist allerdings richtig, daß die Chineser (d) ich weiß nicht was vor einen unförmli- chen Blutlauf auf eine so fabelhafte Art beschrieben, daß man sogleich offenbar erkennen kann, er sey lediglich aus einer seltsamen Einbildungskraft entstanden. Sie verstehen überdem so wenig von der Zergliederungskunst, daß man viel eher von einer jeglichen andern Nation sich die Erläuterung einer annoch verborgenen Verrichtung des belebten menschlichen Körpers versprechen könnte, als von denen Chinesern.
Man muß sich auch billig über dasjenige wundern, was mir ohnlängst der so gelehrte Arzt, Franz Thierry, in einem Schreiben eröfnet, und ich nachhero, da ich den Chardin nachschlug (e), allerdings der Warheit ge- mäs befunden habe. Die Persische Aerzte haben sich, in Gegenwart dieses Mannes, der in allen Stükken sehr behutsam war, die Ehre angemaßt, daß ihnen der Um- lauf des Blutes schon vorlängst sey bekannt gewesen: denn es hätten alle ihre Beurtheiler der wichtigsten Fäl- le diejenigen Thiere für unrein erklärt, in welchen das Blut keinen Umlauf hätte, und man habe daher einen Unterschied gemacht, zwischen denen, die ein umlaufen- des Blut bekommen haben, und denen andern, vornäm- lich denen Jnsekten, bei welchen kein Umlauf des Blu-
tes
(d)[Spaltenumbruch]cleyer Specim. Medicin. Sinic. S. 84. u. folg.
(e)[Spaltenumbruch]
Jn seiner Reisebeschreibung T. V. S. 292. der Pariser Ausga- be 1723.
Drittes Buch. Der Umlauf des Blutes
§. 31. Noch viel weniger die Chineſer oder Perſer.
Andre Schriftſteller, die beſonders in Anſehung frem- der Sachen ziemlich ſpizfuͤndig ſind, haben die Ehre der Erfindung einer Sache, die dem gelehrten Griechenlan- de unbekannt blieb, lieber auf ein weit von uns entlege- nes Volk bringen wollen. Es iſt allerdings richtig, daß die Chineſer (d) ich weiß nicht was vor einen unfoͤrmli- chen Blutlauf auf eine ſo fabelhafte Art beſchrieben, daß man ſogleich offenbar erkennen kann, er ſey lediglich aus einer ſeltſamen Einbildungskraft entſtanden. Sie verſtehen uͤberdem ſo wenig von der Zergliederungskunſt, daß man viel eher von einer jeglichen andern Nation ſich die Erlaͤuterung einer annoch verborgenen Verrichtung des belebten menſchlichen Koͤrpers verſprechen koͤnnte, als von denen Chineſern.
Man muß ſich auch billig uͤber dasjenige wundern, was mir ohnlaͤngſt der ſo gelehrte Arzt, Franz Thierry, in einem Schreiben eroͤfnet, und ich nachhero, da ich den Chardin nachſchlug (e), allerdings der Warheit ge- maͤs befunden habe. Die Perſiſche Aerzte haben ſich, in Gegenwart dieſes Mannes, der in allen Stuͤkken ſehr behutſam war, die Ehre angemaßt, daß ihnen der Um- lauf des Blutes ſchon vorlaͤngſt ſey bekannt geweſen: denn es haͤtten alle ihre Beurtheiler der wichtigſten Faͤl- le diejenigen Thiere fuͤr unrein erklaͤrt, in welchen das Blut keinen Umlauf haͤtte, und man habe daher einen Unterſchied gemacht, zwiſchen denen, die ein umlaufen- des Blut bekommen haben, und denen andern, vornaͤm- lich denen Jnſekten, bei welchen kein Umlauf des Blu-
tes
(d)[Spaltenumbruch]cleyer Specim. Medicin. Sinic. S. 84. u. folg.
(e)[Spaltenumbruch]
Jn ſeiner Reiſebeſchreibung T. V. S. 292. der Pariſer Ausga- be 1723.
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Drittes Buch. Der Umlauf des Blutes
§. 31.
Noch viel weniger die Chineſer oder Perſer.
Andre Schriftſteller, die beſonders in Anſehung frem-
der Sachen ziemlich ſpizfuͤndig ſind, haben die Ehre der
Erfindung einer Sache, die dem gelehrten Griechenlan-
de unbekannt blieb, lieber auf ein weit von uns entlege-
nes Volk bringen wollen. Es iſt allerdings richtig, daß
die Chineſer (d) ich weiß nicht was vor einen unfoͤrmli-
chen Blutlauf auf eine ſo fabelhafte Art beſchrieben,
daß man ſogleich offenbar erkennen kann, er ſey lediglich
aus einer ſeltſamen Einbildungskraft entſtanden. Sie
verſtehen uͤberdem ſo wenig von der Zergliederungskunſt,
daß man viel eher von einer jeglichen andern Nation ſich
die Erlaͤuterung einer annoch verborgenen Verrichtung
des belebten menſchlichen Koͤrpers verſprechen koͤnnte, als
von denen Chineſern.
Man muß ſich auch billig uͤber dasjenige wundern,
was mir ohnlaͤngſt der ſo gelehrte Arzt, Franz Thierry,
in einem Schreiben eroͤfnet, und ich nachhero, da ich
den Chardin nachſchlug (e), allerdings der Warheit ge-
maͤs befunden habe. Die Perſiſche Aerzte haben ſich, in
Gegenwart dieſes Mannes, der in allen Stuͤkken ſehr
behutſam war, die Ehre angemaßt, daß ihnen der Um-
lauf des Blutes ſchon vorlaͤngſt ſey bekannt geweſen:
denn es haͤtten alle ihre Beurtheiler der wichtigſten Faͤl-
le diejenigen Thiere fuͤr unrein erklaͤrt, in welchen das
Blut keinen Umlauf haͤtte, und man habe daher einen
Unterſchied gemacht, zwiſchen denen, die ein umlaufen-
des Blut bekommen haben, und denen andern, vornaͤm-
lich denen Jnſekten, bei welchen kein Umlauf des Blu-
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/524>, abgerufen am 20.11.2024.
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