terschiede, daß sich in den Schlagadern die Luft (der Le- bensgeist), in den Blutadern aber das nährende Blut, bis zu den äussersten Grenzen aller Gefässe und durch den ganzen Thierkörper bewegen muste. Durch dieses merk- würdige Beispiel eines durchgängig von allen Aerzten angenommenen Jrrthums erhalten wir die gute Erinne- rung, eine Sache nicht aus der Ursache vor wahr zu hal- ten, weil man sie als wahr angenommen hat, sondern daß wir uns um solche Versuche bewerben müssen, die unsere Meinungen bestätigen und glaubwürdig machen können.
§. 2. Dieses wird durch die Klappen bewiesen.
Man mus demnach zeigen, daß das Blut allerdings in den Blutadern einen ganz andern Weg nimmt, und durch diese Art von Gefässen, aus den kleinsten Kanäl- chen und dem ganzen Umfange des Körpers, wieder nach dem Herzen zurükkehre. Diese Wahrheit hätte be- reits vorlängst, und schon zu den Zeiten des Hieron. Fa- bricius, da sie von so grosser Wichtigkeit ist, durch die blosse Klappen in den Blutadern ausser allen Zweifel kön- nen gesezzet werden, und es ist dieses ein deutliches Beispiel von der grossen Macht der einmal gefasseten Vorurtheile, daß dieser Mann gedachte Klappen unter dem am Arm an- gelegten Bande als aufgeschwollen habe abzeichnen kön- nen (i), ohne sich darauf zu besinnen, wie es unmöglich sey, daß sie aufschwellen könnten, wofern das Blut durch dieselbe vom Herzen herkäme: denn es hätte die Schnur, nach seiner Hipothese, das Blut nothwendig von der Hand zurükweisen sollen. Er hatte einen Ver- such angestellet, und an dem Arme eines lebendigen Men-
schen
(i)De venar. ostiolis, Tom. II. f. 1
Drittes Buch. Der Umlauf des Blutes.
terſchiede, daß ſich in den Schlagadern die Luft (der Le- bensgeiſt), in den Blutadern aber das naͤhrende Blut, bis zu den aͤuſſerſten Grenzen aller Gefaͤſſe und durch den ganzen Thierkoͤrper bewegen muſte. Durch dieſes merk- wuͤrdige Beiſpiel eines durchgaͤngig von allen Aerzten angenommenen Jrrthums erhalten wir die gute Erinne- rung, eine Sache nicht aus der Urſache vor wahr zu hal- ten, weil man ſie als wahr angenommen hat, ſondern daß wir uns um ſolche Verſuche bewerben muͤſſen, die unſere Meinungen beſtaͤtigen und glaubwuͤrdig machen koͤnnen.
§. 2. Dieſes wird durch die Klappen bewieſen.
Man mus demnach zeigen, daß das Blut allerdings in den Blutadern einen ganz andern Weg nimmt, und durch dieſe Art von Gefaͤſſen, aus den kleinſten Kanaͤl- chen und dem ganzen Umfange des Koͤrpers, wieder nach dem Herzen zuruͤkkehre. Dieſe Wahrheit haͤtte be- reits vorlaͤngſt, und ſchon zu den Zeiten des Hieron. Fa- bricius, da ſie von ſo groſſer Wichtigkeit iſt, durch die bloſſe Klappen in den Blutadern auſſer allen Zweifel koͤn- nen geſezzet werden, und es iſt dieſes ein deutliches Beiſpiel von der groſſen Macht der einmal gefaſſeten Vorurtheile, daß dieſer Mann gedachte Klappen unter dem am Arm an- gelegten Bande als aufgeſchwollen habe abzeichnen koͤn- nen (i), ohne ſich darauf zu beſinnen, wie es unmoͤglich ſey, daß ſie aufſchwellen koͤnnten, wofern das Blut durch dieſelbe vom Herzen herkaͤme: denn es haͤtte die Schnur, nach ſeiner Hipotheſe, das Blut nothwendig von der Hand zuruͤkweiſen ſollen. Er hatte einen Ver- ſuch angeſtellet, und an dem Arme eines lebendigen Men-
ſchen
(i)De venar. oſtiolis, Tom. II. f. 1
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0440"n="384"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Drittes Buch. Der Umlauf des Blutes.</hi></fw><lb/>
terſchiede, daß ſich in den Schlagadern die Luft (der Le-<lb/>
bensgeiſt), in den Blutadern aber das naͤhrende Blut,<lb/>
bis zu den aͤuſſerſten Grenzen aller Gefaͤſſe und durch den<lb/>
ganzen Thierkoͤrper bewegen muſte. Durch dieſes merk-<lb/>
wuͤrdige Beiſpiel eines durchgaͤngig von allen Aerzten<lb/>
angenommenen Jrrthums erhalten wir die gute Erinne-<lb/>
rung, eine Sache nicht aus der Urſache vor wahr zu hal-<lb/>
ten, weil man ſie als wahr angenommen hat, ſondern<lb/>
daß wir uns um ſolche Verſuche bewerben muͤſſen, die<lb/>
unſere Meinungen beſtaͤtigen und glaubwuͤrdig machen<lb/>
koͤnnen.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 2.<lb/>
Dieſes wird durch die Klappen<lb/>
bewieſen.</head><lb/><p>Man mus demnach zeigen, daß das Blut allerdings<lb/>
in den Blutadern einen ganz andern Weg nimmt, und<lb/>
durch dieſe Art von Gefaͤſſen, aus den kleinſten Kanaͤl-<lb/>
chen und dem ganzen Umfange des Koͤrpers, wieder<lb/>
nach dem Herzen zuruͤkkehre. Dieſe Wahrheit haͤtte be-<lb/>
reits vorlaͤngſt, und ſchon zu den Zeiten des Hieron. <hirendition="#fr">Fa-<lb/>
bricius,</hi> da ſie von ſo groſſer Wichtigkeit iſt, durch die<lb/>
bloſſe Klappen in den Blutadern auſſer allen Zweifel koͤn-<lb/>
nen geſezzet werden, und es iſt dieſes ein deutliches Beiſpiel<lb/>
von der groſſen Macht der einmal gefaſſeten Vorurtheile,<lb/>
daß dieſer Mann gedachte Klappen unter dem am Arm an-<lb/>
gelegten Bande als aufgeſchwollen habe abzeichnen koͤn-<lb/>
nen <noteplace="foot"n="(i)"><hirendition="#aq">De venar. oſtiolis, Tom. II. f. 1</hi></note>, ohne ſich darauf zu beſinnen, wie es unmoͤglich<lb/>ſey, daß ſie aufſchwellen koͤnnten, wofern das Blut<lb/>
durch dieſelbe vom Herzen herkaͤme: denn es haͤtte die<lb/>
Schnur, nach ſeiner Hipotheſe, das Blut nothwendig<lb/>
von der Hand zuruͤkweiſen ſollen. Er hatte einen Ver-<lb/>ſuch angeſtellet, und an dem Arme eines lebendigen Men-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſchen</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[384/0440]
Drittes Buch. Der Umlauf des Blutes.
terſchiede, daß ſich in den Schlagadern die Luft (der Le-
bensgeiſt), in den Blutadern aber das naͤhrende Blut,
bis zu den aͤuſſerſten Grenzen aller Gefaͤſſe und durch den
ganzen Thierkoͤrper bewegen muſte. Durch dieſes merk-
wuͤrdige Beiſpiel eines durchgaͤngig von allen Aerzten
angenommenen Jrrthums erhalten wir die gute Erinne-
rung, eine Sache nicht aus der Urſache vor wahr zu hal-
ten, weil man ſie als wahr angenommen hat, ſondern
daß wir uns um ſolche Verſuche bewerben muͤſſen, die
unſere Meinungen beſtaͤtigen und glaubwuͤrdig machen
koͤnnen.
§. 2.
Dieſes wird durch die Klappen
bewieſen.
Man mus demnach zeigen, daß das Blut allerdings
in den Blutadern einen ganz andern Weg nimmt, und
durch dieſe Art von Gefaͤſſen, aus den kleinſten Kanaͤl-
chen und dem ganzen Umfange des Koͤrpers, wieder
nach dem Herzen zuruͤkkehre. Dieſe Wahrheit haͤtte be-
reits vorlaͤngſt, und ſchon zu den Zeiten des Hieron. Fa-
bricius, da ſie von ſo groſſer Wichtigkeit iſt, durch die
bloſſe Klappen in den Blutadern auſſer allen Zweifel koͤn-
nen geſezzet werden, und es iſt dieſes ein deutliches Beiſpiel
von der groſſen Macht der einmal gefaſſeten Vorurtheile,
daß dieſer Mann gedachte Klappen unter dem am Arm an-
gelegten Bande als aufgeſchwollen habe abzeichnen koͤn-
nen (i), ohne ſich darauf zu beſinnen, wie es unmoͤglich
ſey, daß ſie aufſchwellen koͤnnten, wofern das Blut
durch dieſelbe vom Herzen herkaͤme: denn es haͤtte die
Schnur, nach ſeiner Hipotheſe, das Blut nothwendig
von der Hand zuruͤkweiſen ſollen. Er hatte einen Ver-
ſuch angeſtellet, und an dem Arme eines lebendigen Men-
ſchen
(i) De venar. oſtiolis, Tom. II. f. 1
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/440>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.