Die Kinder vom ersten Alter sollen sowohl wegen ihrer zärtlichen Leibesconstitution, als auch wegen ihres noch unreifen Verstandes, nicht mit allzuvielen oder schweren Begriffen überladen, noch minder mit Strenge zum Ler- nen angehalten werden, damit ihnen nicht gleich anfangs dasselbe verleidet werde, und sie eine Abneigung dafür bekommen: vielmehr soll man ihnen durch Freundlichkeit, Sanftmuth und Versprechungen Lust dazu machen. Vor al- lem soll man in ihnen einen Trieb zum Zeich- nen und Bücherlesen zu erregen suchen.
Da nicht alle Kinder gleiche Fähigkeit be- sitzen, sondern einige etwas geschwinde, an- dre aber langsam, fassen: so soll auch dieser Unterschied sowohl als ihre übrige Geisteskräfte genau bemerket werden, damit man mit den trägen Köpfen nicht mürrisch oder feindselig verfahre.
Der Müßiggang ist aller Laster Anfang: daher sollen die Lehrerinnen und Lehrer auf die angebohrne Neigungen und Fähigkeit der Kinder, die durch ihre Progressen, ihren Fleis, oder ihre Faulheit sichtbar werden, genau Acht haben, und ihre Masregeln darnach nehmen. Um hievon desto sicherere und ordentlichere Nach-
richten
N 3
Kayſerinn von Rußland.
§. 18.
Die Kinder vom erſten Alter ſollen ſowohl wegen ihrer zaͤrtlichen Leibesconſtitution, als auch wegen ihres noch unreifen Verſtandes, nicht mit allzuvielen oder ſchweren Begriffen uͤberladen, noch minder mit Strenge zum Ler- nen angehalten werden, damit ihnen nicht gleich anfangs daſſelbe verleidet werde, und ſie eine Abneigung dafuͤr bekommen: vielmehr ſoll man ihnen durch Freundlichkeit, Sanftmuth und Verſprechungen Luſt dazu machen. Vor al- lem ſoll man in ihnen einen Trieb zum Zeich- nen und Buͤcherleſen zu erregen ſuchen.
Da nicht alle Kinder gleiche Faͤhigkeit be- ſitzen, ſondern einige etwas geſchwinde, an- dre aber langſam, faſſen: ſo ſoll auch dieſer Unterſchied ſowohl als ihre uͤbrige Geiſteskraͤfte genau bemerket werden, damit man mit den traͤgen Koͤpfen nicht muͤrriſch oder feindſelig verfahre.
Der Muͤßiggang iſt aller Laſter Anfang: daher ſollen die Lehrerinnen und Lehrer auf die angebohrne Neigungen und Faͤhigkeit der Kinder, die durch ihre Progreſſen, ihren Fleis, oder ihre Faulheit ſichtbar werden, genau Acht haben, und ihre Masregeln darnach nehmen. Um hievon deſto ſicherere und ordentlichere Nach-
richten
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Kayſerinn von Rußland.
§. 18.
Die Kinder vom erſten Alter ſollen ſowohl
wegen ihrer zaͤrtlichen Leibesconſtitution, als
auch wegen ihres noch unreifen Verſtandes,
nicht mit allzuvielen oder ſchweren Begriffen
uͤberladen, noch minder mit Strenge zum Ler-
nen angehalten werden, damit ihnen nicht gleich
anfangs daſſelbe verleidet werde, und ſie eine
Abneigung dafuͤr bekommen: vielmehr ſoll man
ihnen durch Freundlichkeit, Sanftmuth und
Verſprechungen Luſt dazu machen. Vor al-
lem ſoll man in ihnen einen Trieb zum Zeich-
nen und Buͤcherleſen zu erregen ſuchen.
Da nicht alle Kinder gleiche Faͤhigkeit be-
ſitzen, ſondern einige etwas geſchwinde, an-
dre aber langſam, faſſen: ſo ſoll auch dieſer
Unterſchied ſowohl als ihre uͤbrige Geiſteskraͤfte
genau bemerket werden, damit man mit den
traͤgen Koͤpfen nicht muͤrriſch oder feindſelig
verfahre.
Der Muͤßiggang iſt aller Laſter Anfang:
daher ſollen die Lehrerinnen und Lehrer auf
die angebohrne Neigungen und Faͤhigkeit der
Kinder, die durch ihre Progreſſen, ihren Fleis,
oder ihre Faulheit ſichtbar werden, genau Acht
haben, und ihre Masregeln darnach nehmen.
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[Schlözer, August Ludwig von]: Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland. Bd. 1. Riga u. a., 1767, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland01_1767/221>, abgerufen am 22.02.2025.
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