Vor gethan und nach bedacht, hat manchen in grosses Leid gebracht.
Traue schaue, wem?
89. Die Erzähler oder das Geschichtemachen.
Eine Jugendgesellschaft, die in ihrer Geistes- bildung schon ziemliche Fortschritte gemacht hat, sitzt im Kreise umher, und jeder verpflich- tet sich, wenn die Reihe an ihn kommt, etwas zu erzählen. Der Gegenstand der Erzählung bleibt seiner Wahl überlassen; aber er ist ver- bunden gewisse Wörter in die Erzählung zu ver- flechten, welche ihm von den andern gegeben sind; ja er muss sie selbst in der Ordnung vor- bringen, in welcher sie ihm sind gegeben wor- den. Er kann mithin keine schon gehörte oder gelesene Erzählung gebrauchen, sondern muss aus dem Stegreife ein Geschichtchen erfinden, und jene Wörter auf eine ungezwungene Art hin- einweben. Hierzu gehört Nachdenken, und Erfindungskraft, genauer genommen, dichten- de Phantasie und Witz, um die Wörter gehörig und zwar schnell miteinander in gewisse Ver- hältnisse zu schieben, und sie vortheilhaft mit-
Vor gethan und nach bedacht, hat manchen in groſses Leid gebracht.
Traue ſchaue, wem?
89. Die Erzähler oder das Geſchichtemachen.
Eine Jugendgeſellſchaft, die in ihrer Geiſtes- bildung ſchon ziemliche Fortſchritte gemacht hat, ſitzt im Kreiſe umher, und jeder verpflich- tet ſich, wenn die Reihe an ihn kommt, etwas zu erzählen. Der Gegenſtand der Erzählung bleibt ſeiner Wahl überlaſſen; aber er iſt ver- bunden gewiſſe Wörter in die Erzählung zu ver- flechten, welche ihm von den andern gegeben ſind; ja er muſs ſie ſelbſt in der Ordnung vor- bringen, in welcher ſie ihm ſind gegeben wor- den. Er kann mithin keine ſchon gehörte oder geleſene Erzählung gebrauchen, ſondern muſs aus dem Stegreife ein Geſchichtchen erfinden, und jene Wörter auf eine ungezwungene Art hin- einweben. Hierzu gehört Nachdenken, und Erfindungskraft, genauer genommen, dichten- de Phantaſie und Witz, um die Wörter gehörig und zwar ſchnell miteinander in gewiſſe Ver- hältniſſe zu ſchieben, und ſie vortheilhaft mit-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><list><pbfacs="#f0400"n="368"/><item>Vor gethan und nach bedacht, hat manchen in<lb/>
groſses Leid gebracht.</item><lb/><item>Traue ſchaue, wem?</item></list></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="4"><head>89. Die Erzähler<lb/>
oder das<lb/><hirendition="#g">Geſchichtemachen</hi>.</head><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>ine Jugendgeſellſchaft, die in ihrer Geiſtes-<lb/>
bildung ſchon ziemliche Fortſchritte gemacht<lb/>
hat, ſitzt im Kreiſe umher, und jeder verpflich-<lb/>
tet ſich, wenn die Reihe an ihn kommt, etwas<lb/>
zu erzählen. Der Gegenſtand der Erzählung<lb/>
bleibt ſeiner Wahl überlaſſen; aber er iſt ver-<lb/>
bunden <hirendition="#i">gewiſſe Wörter</hi> in die Erzählung zu ver-<lb/>
flechten, welche ihm von den andern gegeben<lb/>ſind; ja er muſs ſie ſelbſt in der Ordnung vor-<lb/>
bringen, in welcher ſie ihm ſind gegeben wor-<lb/>
den. Er kann mithin keine ſchon gehörte oder<lb/>
geleſene Erzählung gebrauchen, ſondern muſs<lb/>
aus dem Stegreife ein Geſchichtchen erfinden,<lb/>
und <hirendition="#i">jene Wörter</hi> auf eine ungezwungene Art hin-<lb/>
einweben. Hierzu gehört Nachdenken, und<lb/>
Erfindungskraft, genauer genommen, dichten-<lb/>
de Phantaſie und Witz, um die Wörter gehörig<lb/>
und zwar ſchnell miteinander in gewiſſe Ver-<lb/>
hältniſſe zu ſchieben, und ſie vortheilhaft mit-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[368/0400]
Vor gethan und nach bedacht, hat manchen in
groſses Leid gebracht.
Traue ſchaue, wem?
89. Die Erzähler
oder das
Geſchichtemachen.
Eine Jugendgeſellſchaft, die in ihrer Geiſtes-
bildung ſchon ziemliche Fortſchritte gemacht
hat, ſitzt im Kreiſe umher, und jeder verpflich-
tet ſich, wenn die Reihe an ihn kommt, etwas
zu erzählen. Der Gegenſtand der Erzählung
bleibt ſeiner Wahl überlaſſen; aber er iſt ver-
bunden gewiſſe Wörter in die Erzählung zu ver-
flechten, welche ihm von den andern gegeben
ſind; ja er muſs ſie ſelbſt in der Ordnung vor-
bringen, in welcher ſie ihm ſind gegeben wor-
den. Er kann mithin keine ſchon gehörte oder
geleſene Erzählung gebrauchen, ſondern muſs
aus dem Stegreife ein Geſchichtchen erfinden,
und jene Wörter auf eine ungezwungene Art hin-
einweben. Hierzu gehört Nachdenken, und
Erfindungskraft, genauer genommen, dichten-
de Phantaſie und Witz, um die Wörter gehörig
und zwar ſchnell miteinander in gewiſſe Ver-
hältniſſe zu ſchieben, und ſie vortheilhaft mit-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796/400>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.