Die Nacht ist für die meisten Menschen fürchter- lich. Vernunft, Aufklärung, Geist und Muth schützen nur wenige gegen diese natürliche Furcht. Raisonneurs und starke Geister, Phi- losophen und Krieger sind am Tage unerschüt- terlich, und Zittern oft des Nachts, wenn sich ein Blättchen reget. Die Ursach liegt nicht in Ammenmährchen, sondern sie ist dieselbe, ver- möge welcher der Taube misstrauisch und das Volk abergläubisch ist; sie liegt in der Unkunde der Dinge und Ereignisse um uns her. Heilung ist nur durch Gewöhnung möglich, denn dieser unterliegt die Imagination. Es ist folglich ver- gebens, dem Furchtsamen vor zuraisonniren, wie eitel seine Furcht sey; wirksamer, als alle philo- sophischen Gründe ist es, ihn oft in die Finster- niss zu führen. Der Dachdecker wird nicht mehr schwindlicht, und wer sich an Finsterniss gewöhnt hat, empfindet dabey keine Furcht mehr. Um die Jugend dahin zu bringen, sind Spiele sehr bequem, aber sie müssen mit Lachen und Scherz verbun- den und gesellschaftlich seyn. Dadurch werden die Füsse eines so erzogenen Menschen sicher, die Hände, um mich so auszudrücken, verständi- ger. Seine Imagination mit angenehmen Bildern
Q 2
Nachtſpiele.
Die Nacht iſt für die meiſten Menſchen fürchter- lich. Vernunft, Aufklärung, Geiſt und Muth ſchützen nur wenige gegen dieſe natürliche Furcht. Raiſonneurs und ſtarke Geiſter, Phi- loſophen und Krieger ſind am Tage unerſchüt- terlich, und Zittern oft des Nachts, wenn ſich ein Blättchen reget. Die Urſach liegt nicht in Ammenmährchen, ſondern ſie iſt dieſelbe, ver- möge welcher der Taube miſstrauiſch und das Volk abergläubiſch iſt; ſie liegt in der Unkunde der Dinge und Ereigniſſe um uns her. Heilung iſt nur durch Gewöhnung möglich, denn dieſer unterliegt die Imagination. Es iſt folglich ver- gebens, dem Furchtſamen vor zuraiſonniren, wie eitel ſeine Furcht ſey; wirkſamer, als alle philo- ſophiſchen Gründe iſt es, ihn oft in die Finſter- niſs zu führen. Der Dachdecker wird nicht mehr ſchwindlicht, und wer ſich an Finſterniſs gewöhnt hat, empfindet dabey keine Furcht mehr. Um die Jugend dahin zu bringen, ſind Spiele ſehr bequem, aber ſie müſſen mit Lachen und Scherz verbun- den und geſellſchaftlich ſeyn. Dadurch werden die Füſse eines ſo erzogenen Menſchen ſicher, die Hände, um mich ſo auszudrücken, verſtändi- ger. Seine Imagination mit angenehmen Bildern
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Nachtſpiele.
Die Nacht iſt für die meiſten Menſchen fürchter-
lich. Vernunft, Aufklärung, Geiſt und Muth
ſchützen nur wenige gegen dieſe natürliche
Furcht. Raiſonneurs und ſtarke Geiſter, Phi-
loſophen und Krieger ſind am Tage unerſchüt-
terlich, und Zittern oft des Nachts, wenn ſich
ein Blättchen reget. Die Urſach liegt nicht in
Ammenmährchen, ſondern ſie iſt dieſelbe, ver-
möge welcher der Taube miſstrauiſch und das
Volk abergläubiſch iſt; ſie liegt in der Unkunde
der Dinge und Ereigniſſe um uns her. Heilung
iſt nur durch Gewöhnung möglich, denn dieſer
unterliegt die Imagination. Es iſt folglich ver-
gebens, dem Furchtſamen vor zuraiſonniren, wie
eitel ſeine Furcht ſey; wirkſamer, als alle philo-
ſophiſchen Gründe iſt es, ihn oft in die Finſter-
niſs zu führen. Der Dachdecker wird nicht mehr
ſchwindlicht, und wer ſich an Finſterniſs gewöhnt
hat, empfindet dabey keine Furcht mehr. Um die
Jugend dahin zu bringen, ſind Spiele ſehr bequem,
aber ſie müſſen mit Lachen und Scherz verbun-
den und geſellſchaftlich ſeyn. Dadurch werden
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Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796/275>, abgerufen am 21.11.2024.
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