andern ein Stück Landes wegzunehmen und sich dessen Besitzes zu bemächtigen. Sind die Ursachen dazu nicht sehr triftig, so ist dies eine offenbare Beleidigung der Eigenthumsrechte a]. Ausser der bereits erwähnten Theilung von Polen giebt die russische Einnahme der Krim eins der neusten Beispiele hiervon. Diese solte iedoch, dem Vorgeben nach, nicht aus Vergrösserungs- sucht, sondern aus Nothwendigkeit die Grenzen des Landes zu sichern, geschehen seyn, weil solche von einer Rotte Räuber bewohnt würde, die wider alles Völker- recht Räubereyen und Mordthaten in der Nachbarn Land zu treiben für Pflicht hielten b].
a]Schrodt Syst. I. G. P. II. c. 2. §. 3.
b]Polit. Journal October 1788. S. 1026. u. ff.
§. 22. Abfall einer Provinz und Unterwerfung an eine andere Nazion.
Eine Nazion kann auch ein Stück Landes verlieren, wenn eine Provinz durch Empörung sich losreißt und entweder einen neuen Staat bildet, [wovon im ersten Kapitel des ersten Buchs §. 4. bereits gehandelt wor- den] oder sich einem andern Volke und Regenten un- terwirft und dadurch deren Lande erweitert a]. So wenig eine dergleichen rebellirende Provinz, wenn sie einen eignen abgesonderten Staatskörper bilden will, eher für ein freies Volk anzusehn und zu behandeln ist, als bis der vorige Oberherr sie von dem ihm schuldigen Gehorsam losgezählt und als frey erkant hat, eben so wenig kann eine Erwerbung auf diese Art als recht- mässig angesehen werden, bevor die erstere Nazion ihre Einwilligung dazu gegeben hat. Ob solche Trennun- gen wohl den übrigen Mächten selten gleichgültig seyn
können b]
Von Erlangung des Eigenthums von andern
andern ein Stuͤck Landes wegzunehmen und ſich deſſen Beſitzes zu bemaͤchtigen. Sind die Urſachen dazu nicht ſehr triftig, ſo iſt dies eine offenbare Beleidigung der Eigenthumsrechte a]. Auſſer der bereits erwaͤhnten Theilung von Polen giebt die ruſſiſche Einnahme der Krim eins der neuſten Beiſpiele hiervon. Dieſe ſolte iedoch, dem Vorgeben nach, nicht aus Vergroͤſſerungs- ſucht, ſondern aus Nothwendigkeit die Grenzen des Landes zu ſichern, geſchehen ſeyn, weil ſolche von einer Rotte Raͤuber bewohnt wuͤrde, die wider alles Voͤlker- recht Raͤubereyen und Mordthaten in der Nachbarn Land zu treiben fuͤr Pflicht hielten b].
a]Schrodt Syſt. I. G. P. II. c. 2. §. 3.
b]Polit. Journal October 1788. S. 1026. u. ff.
§. 22. Abfall einer Provinz und Unterwerfung an eine andere Nazion.
Eine Nazion kann auch ein Stuͤck Landes verlieren, wenn eine Provinz durch Empoͤrung ſich losreißt und entweder einen neuen Staat bildet, [wovon im erſten Kapitel des erſten Buchs §. 4. bereits gehandelt wor- den] oder ſich einem andern Volke und Regenten un- terwirft und dadurch deren Lande erweitert a]. So wenig eine dergleichen rebellirende Provinz, wenn ſie einen eignen abgeſonderten Staatskoͤrper bilden will, eher fuͤr ein freies Volk anzuſehn und zu behandeln iſt, als bis der vorige Oberherr ſie von dem ihm ſchuldigen Gehorſam losgezaͤhlt und als frey erkant hat, eben ſo wenig kann eine Erwerbung auf dieſe Art als recht- maͤſſig angeſehen werden, bevor die erſtere Nazion ihre Einwilligung dazu gegeben hat. Ob ſolche Trennun- gen wohl den uͤbrigen Maͤchten ſelten gleichguͤltig ſeyn
koͤnnen b]
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Von Erlangung des Eigenthums von andern
andern ein Stuͤck Landes wegzunehmen und ſich deſſen
Beſitzes zu bemaͤchtigen. Sind die Urſachen dazu nicht
ſehr triftig, ſo iſt dies eine offenbare Beleidigung der
Eigenthumsrechte a]. Auſſer der bereits erwaͤhnten
Theilung von Polen giebt die ruſſiſche Einnahme der
Krim eins der neuſten Beiſpiele hiervon. Dieſe ſolte
iedoch, dem Vorgeben nach, nicht aus Vergroͤſſerungs-
ſucht, ſondern aus Nothwendigkeit die Grenzen des
Landes zu ſichern, geſchehen ſeyn, weil ſolche von einer
Rotte Raͤuber bewohnt wuͤrde, die wider alles Voͤlker-
recht Raͤubereyen und Mordthaten in der Nachbarn
Land zu treiben fuͤr Pflicht hielten b].
a] Schrodt Syſt. I. G. P. II. c. 2. §. 3.
b] Polit. Journal October 1788. S. 1026. u. ff.
§. 22.
Abfall einer Provinz und Unterwerfung
an eine andere Nazion.
Eine Nazion kann auch ein Stuͤck Landes verlieren,
wenn eine Provinz durch Empoͤrung ſich losreißt und
entweder einen neuen Staat bildet, [wovon im erſten
Kapitel des erſten Buchs §. 4. bereits gehandelt wor-
den] oder ſich einem andern Volke und Regenten un-
terwirft und dadurch deren Lande erweitert a]. So
wenig eine dergleichen rebellirende Provinz, wenn ſie
einen eignen abgeſonderten Staatskoͤrper bilden will,
eher fuͤr ein freies Volk anzuſehn und zu behandeln iſt,
als bis der vorige Oberherr ſie von dem ihm ſchuldigen
Gehorſam losgezaͤhlt und als frey erkant hat, eben ſo
wenig kann eine Erwerbung auf dieſe Art als recht-
maͤſſig angeſehen werden, bevor die erſtere Nazion ihre
Einwilligung dazu gegeben hat. Ob ſolche Trennun-
gen wohl den uͤbrigen Maͤchten ſelten gleichguͤltig ſeyn
koͤnnen b]
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/128>, abgerufen am 01.03.2025.
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