Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.186. Die wahre Braut. Es war einmal ein Mädchen, das war jung und schön, aber seine Mutter war ihm früh gestorben, und die Stiefmutter that ihm alles gebrannte Herzeleid an. Wenn sie ihm eine Arbeit auftrug, sie mochte noch so schwer sein, so gieng es unverdrossen daran und that was in seinen Kräften stand. Aber es konnte damit das Herz der bösen Frau nicht rühren, immer war sie unzufrieden, immer war es nicht genug. Je fleißiger es arbeitete, je mehr ward ihm aufgelegt, und sie hatte keinen andern Gedanken, als wie sie ihm eine immer größere Last aufbürden und das Leben recht sauer machen wollte. Eines Tags sagte sie zu ihm 'da hast du zwölf Pfund Federn, die sollst du abschleißen, und wenn du nicht heute Abend damit fertig bist, so wartet eine Tracht Schläge auf dich. Meinst du, du könntest den ganzen Tag faullenzen?' Das arme Mädchen setzte sich zu der Arbeit nieder, aber die Thränen flossen ihm dabei über die Wangen herab, denn es sah wohl daß es unmöglich war mit der Arbeit in einem Tage zu Ende zu kommen. Wenn es ein Häufchen Federn vor sich liegen hatte und es seufzte oder schlug in seiner Angst die Hände zusammen, so stoben sie aus einander und es mußte sie wieder auflesen und von neuem anfangen. Da stützte es einmal die Elbogen auf den Tisch, legte sein Gesicht in beide Hände, und rief 'ist denn niemand auf Gottes Erdboden, der sich meiner erbarmt?' Jndem hörte es eine sanfte Stimme, die sprach 'tröste dich, mein Kind, ich bin gekommen dir zu helfen.' 186. Die wahre Braut. Es war einmal ein Mädchen, das war jung und schön, aber seine Mutter war ihm früh gestorben, und die Stiefmutter that ihm alles gebrannte Herzeleid an. Wenn sie ihm eine Arbeit auftrug, sie mochte noch so schwer sein, so gieng es unverdrossen daran und that was in seinen Kräften stand. Aber es konnte damit das Herz der bösen Frau nicht rühren, immer war sie unzufrieden, immer war es nicht genug. Je fleißiger es arbeitete, je mehr ward ihm aufgelegt, und sie hatte keinen andern Gedanken, als wie sie ihm eine immer größere Last aufbürden und das Leben recht sauer machen wollte. Eines Tags sagte sie zu ihm ‘da hast du zwölf Pfund Federn, die sollst du abschleißen, und wenn du nicht heute Abend damit fertig bist, so wartet eine Tracht Schläge auf dich. Meinst du, du könntest den ganzen Tag faullenzen?’ Das arme Mädchen setzte sich zu der Arbeit nieder, aber die Thränen flossen ihm dabei über die Wangen herab, denn es sah wohl daß es unmöglich war mit der Arbeit in einem Tage zu Ende zu kommen. Wenn es ein Häufchen Federn vor sich liegen hatte und es seufzte oder schlug in seiner Angst die Hände zusammen, so stoben sie aus einander und es mußte sie wieder auflesen und von neuem anfangen. Da stützte es einmal die Elbogen auf den Tisch, legte sein Gesicht in beide Hände, und rief ‘ist denn niemand auf Gottes Erdboden, der sich meiner erbarmt?’ Jndem hörte es eine sanfte Stimme, die sprach ‘tröste dich, mein Kind, ich bin gekommen dir zu helfen.’ <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0407" n="395"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">186.<lb/> Die wahre Braut.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein Mädchen, das war jung und schön, aber seine Mutter war ihm früh gestorben, und die Stiefmutter that ihm alles gebrannte Herzeleid an. Wenn sie ihm eine Arbeit auftrug, sie mochte noch so schwer sein, so gieng es unverdrossen daran und that was in seinen Kräften stand. Aber es konnte damit das Herz der bösen Frau nicht rühren, immer war sie unzufrieden, immer war es nicht genug. Je fleißiger es arbeitete, je mehr ward ihm aufgelegt, und sie hatte keinen andern Gedanken, als wie sie ihm eine immer größere Last aufbürden und das Leben recht sauer machen wollte.</p><lb/> <p>Eines Tags sagte sie zu ihm ‘da hast du zwölf Pfund Federn, die sollst du abschleißen, und wenn du nicht heute Abend damit fertig bist, so wartet eine Tracht Schläge auf dich. Meinst du, du könntest den ganzen Tag faullenzen?’ Das arme Mädchen setzte sich zu der Arbeit nieder, aber die Thränen flossen ihm dabei über die Wangen herab, denn es sah wohl daß es unmöglich war mit der Arbeit in einem Tage zu Ende zu kommen. Wenn es ein Häufchen Federn vor sich liegen hatte und es seufzte oder schlug in seiner Angst die Hände zusammen, so stoben sie aus einander und es mußte sie wieder <choice><sic>auflösen</sic><corr>auflesen</corr></choice> und von neuem anfangen. Da stützte es einmal die Elbogen auf den Tisch, legte sein Gesicht in beide Hände, und rief ‘ist denn niemand auf Gottes Erdboden, der sich meiner erbarmt?’ Jndem hörte es eine sanfte Stimme, die sprach ‘tröste dich, mein Kind, ich bin gekommen dir zu helfen.’ </p> </div> </body> </text> </TEI> [395/0407]
186.
Die wahre Braut.
Es war einmal ein Mädchen, das war jung und schön, aber seine Mutter war ihm früh gestorben, und die Stiefmutter that ihm alles gebrannte Herzeleid an. Wenn sie ihm eine Arbeit auftrug, sie mochte noch so schwer sein, so gieng es unverdrossen daran und that was in seinen Kräften stand. Aber es konnte damit das Herz der bösen Frau nicht rühren, immer war sie unzufrieden, immer war es nicht genug. Je fleißiger es arbeitete, je mehr ward ihm aufgelegt, und sie hatte keinen andern Gedanken, als wie sie ihm eine immer größere Last aufbürden und das Leben recht sauer machen wollte.
Eines Tags sagte sie zu ihm ‘da hast du zwölf Pfund Federn, die sollst du abschleißen, und wenn du nicht heute Abend damit fertig bist, so wartet eine Tracht Schläge auf dich. Meinst du, du könntest den ganzen Tag faullenzen?’ Das arme Mädchen setzte sich zu der Arbeit nieder, aber die Thränen flossen ihm dabei über die Wangen herab, denn es sah wohl daß es unmöglich war mit der Arbeit in einem Tage zu Ende zu kommen. Wenn es ein Häufchen Federn vor sich liegen hatte und es seufzte oder schlug in seiner Angst die Hände zusammen, so stoben sie aus einander und es mußte sie wieder auflesen und von neuem anfangen. Da stützte es einmal die Elbogen auf den Tisch, legte sein Gesicht in beide Hände, und rief ‘ist denn niemand auf Gottes Erdboden, der sich meiner erbarmt?’ Jndem hörte es eine sanfte Stimme, die sprach ‘tröste dich, mein Kind, ich bin gekommen dir zu helfen.’
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books (Harvard University): Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-08T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |