Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite
135.
Die weiße und die schwarze Braut.

Eine Frau gieng mit ihrer Tochter und Stieftochter über Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen gegangen und fragte 'wo führt der Weg ins Dorf?' 'Wenn ihr ihn wissen wollt,' sprach die Mutter, 'so sucht ihn selber,' und die Tochter setzte hinzu 'habt ihr Sorge daß ihr ihn nicht findet, so nehmt euch einen Wegweiser mit.' Die Stieftochter aber sprach 'armer Mann, ich will dich führen, komm mit mir.' Da zürnte der liebe Gott über die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Rücken zu und verwünschte sie, daß sie sollten schwarz werden wie die Nacht und häßlich wie die Sünde. Der armen Stieftochter aber war Gott gnädig und gieng mit ihr, und als sie nahe am Dorf waren, sprach er einen Segen über sie und sagte 'wähle dir drei Sachen aus, die will ich dir gewähren.' Da sprach das Mädchen 'ich möchte gern so schön und rein werden wie die Sonne;' alsbald war sie weiß und schön wie der Tag. 'Dann möchte ich einen Geldbeutel haben, der nie leer würde:' den gab ihr der liebe Gott auch, sprach aber 'vergiß das Beste nicht.' Sagte sie 'ich wünsche mir zum dritten das ewige Himmelreich nach meinem Tode.' Das ward ihr auch gewährt, und also schied der liebe Gott von ihr.

135.
Die weiße und die schwarze Braut.

Eine Frau gieng mit ihrer Tochter und Stieftochter über Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen gegangen und fragte ‘wo führt der Weg ins Dorf?’ ‘Wenn ihr ihn wissen wollt,’ sprach die Mutter, ‘so sucht ihn selber,’ und die Tochter setzte hinzu ‘habt ihr Sorge daß ihr ihn nicht findet, so nehmt euch einen Wegweiser mit.’ Die Stieftochter aber sprach ‘armer Mann, ich will dich führen, komm mit mir.’ Da zürnte der liebe Gott über die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Rücken zu und verwünschte sie, daß sie sollten schwarz werden wie die Nacht und häßlich wie die Sünde. Der armen Stieftochter aber war Gott gnädig und gieng mit ihr, und als sie nahe am Dorf waren, sprach er einen Segen über sie und sagte ‘wähle dir drei Sachen aus, die will ich dir gewähren.’ Da sprach das Mädchen ‘ich möchte gern so schön und rein werden wie die Sonne;’ alsbald war sie weiß und schön wie der Tag. ‘Dann möchte ich einen Geldbeutel haben, der nie leer würde:’ den gab ihr der liebe Gott auch, sprach aber ‘vergiß das Beste nicht.’ Sagte sie ‘ich wünsche mir zum dritten das ewige Himmelreich nach meinem Tode.’ Das ward ihr auch gewährt, und also schied der liebe Gott von ihr.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0287" n="275"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">135.<lb/>
Die weiße und die schwarze Braut.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>ine Frau gieng mit ihrer Tochter und Stieftochter über Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen gegangen und fragte &#x2018;wo führt der Weg ins Dorf?&#x2019; &#x2018;Wenn ihr ihn wissen wollt,&#x2019; sprach die Mutter, &#x2018;so sucht ihn selber,&#x2019; und die Tochter setzte hinzu &#x2018;habt ihr Sorge daß ihr ihn nicht findet, so nehmt euch einen Wegweiser mit.&#x2019; Die Stieftochter aber sprach &#x2018;armer Mann, ich will dich führen, komm mit mir.&#x2019; Da zürnte der liebe Gott über die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Rücken zu und verwünschte sie, daß sie sollten schwarz werden wie die Nacht und häßlich wie die Sünde. Der armen Stieftochter aber war Gott gnädig und gieng mit ihr, und als sie nahe am Dorf waren, sprach er einen Segen über sie und sagte &#x2018;wähle dir drei Sachen aus, die will ich dir gewähren.&#x2019; Da sprach das Mädchen &#x2018;ich möchte gern so schön und rein werden wie die Sonne;&#x2019; alsbald war sie weiß und schön wie der Tag. &#x2018;Dann möchte ich einen Geldbeutel haben, der nie leer würde:&#x2019; den gab ihr der liebe Gott auch, sprach aber &#x2018;vergiß das Beste nicht.&#x2019; Sagte sie &#x2018;ich wünsche mir zum dritten das ewige Himmelreich nach meinem Tode.&#x2019; Das ward ihr auch gewährt, und also schied der liebe Gott von ihr.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0287] 135. Die weiße und die schwarze Braut. Eine Frau gieng mit ihrer Tochter und Stieftochter über Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen gegangen und fragte ‘wo führt der Weg ins Dorf?’ ‘Wenn ihr ihn wissen wollt,’ sprach die Mutter, ‘so sucht ihn selber,’ und die Tochter setzte hinzu ‘habt ihr Sorge daß ihr ihn nicht findet, so nehmt euch einen Wegweiser mit.’ Die Stieftochter aber sprach ‘armer Mann, ich will dich führen, komm mit mir.’ Da zürnte der liebe Gott über die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Rücken zu und verwünschte sie, daß sie sollten schwarz werden wie die Nacht und häßlich wie die Sünde. Der armen Stieftochter aber war Gott gnädig und gieng mit ihr, und als sie nahe am Dorf waren, sprach er einen Segen über sie und sagte ‘wähle dir drei Sachen aus, die will ich dir gewähren.’ Da sprach das Mädchen ‘ich möchte gern so schön und rein werden wie die Sonne;’ alsbald war sie weiß und schön wie der Tag. ‘Dann möchte ich einen Geldbeutel haben, der nie leer würde:’ den gab ihr der liebe Gott auch, sprach aber ‘vergiß das Beste nicht.’ Sagte sie ‘ich wünsche mir zum dritten das ewige Himmelreich nach meinem Tode.’ Das ward ihr auch gewährt, und also schied der liebe Gott von ihr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/287
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/287>, abgerufen am 22.12.2024.