Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.153. Die Sternthaler. Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es kein Kämmerchen mehr hatte darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr, darin zu schlafen, und gar nichts mehr, als die Kleider auf dem Leib, und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, gieng es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach 'ach, gib mir doch etwas zu essen, ich bin so hungerig.' Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot, und sagte 'Gott segne dirs,' und gieng weiter. Da kam ein Kind, das jammerte, und sprach 'es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir doch etwas, womit ich ihn bedecken kann.' Da that es seine Mütze ab, und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind, und hatte kein Leibchen an, und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich kam es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins, und bat um ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte 'es ist dunkle 153. Die Sternthaler. Es war einmal ein kleines Maͤdchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es kein Kaͤmmerchen mehr hatte darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr, darin zu schlafen, und gar nichts mehr, als die Kleider auf dem Leib, und ein Stuͤckchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, gieng es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach ‘ach, gib mir doch etwas zu essen, ich bin so hungerig.’ Es reichte ihm das ganze Stuͤckchen Brot, und sagte ‘Gott segne dirs,’ und gieng weiter. Da kam ein Kind, das jammerte, und sprach ‘es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir doch etwas, womit ich ihn bedecken kann.’ Da that es seine Muͤtze ab, und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind, und hatte kein Leibchen an, und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Roͤcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich kam es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins, und bat um ein Hemdlein, und das fromme Maͤdchen dachte ‘es ist dunkle <TEI> <text> <body> <pb n="306" facs="#f0322"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">153.<lb/> Die Sternthaler.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein kleines Maͤdchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es kein Kaͤmmerchen mehr hatte darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr, darin zu schlafen, und gar nichts mehr, als die Kleider auf dem Leib, und ein Stuͤckchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, gieng es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach ‘ach, gib mir doch etwas zu essen, ich bin so hungerig.’ Es reichte ihm das ganze Stuͤckchen Brot, und sagte ‘Gott segne dirs,’ und gieng weiter. Da kam ein Kind, das jammerte, und sprach ‘es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir doch etwas, womit ich ihn bedecken kann.’ Da that es seine Muͤtze ab, und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind, und hatte kein Leibchen an, und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Roͤcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich kam es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins, und bat um ein Hemdlein, und das fromme Maͤdchen dachte ‘es ist dunkle </p> </div> </body> </text> </TEI> [306/0322]
153.
Die Sternthaler.
Es war einmal ein kleines Maͤdchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es kein Kaͤmmerchen mehr hatte darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr, darin zu schlafen, und gar nichts mehr, als die Kleider auf dem Leib, und ein Stuͤckchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, gieng es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach ‘ach, gib mir doch etwas zu essen, ich bin so hungerig.’ Es reichte ihm das ganze Stuͤckchen Brot, und sagte ‘Gott segne dirs,’ und gieng weiter. Da kam ein Kind, das jammerte, und sprach ‘es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir doch etwas, womit ich ihn bedecken kann.’ Da that es seine Muͤtze ab, und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind, und hatte kein Leibchen an, und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Roͤcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich kam es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins, und bat um ein Hemdlein, und das fromme Maͤdchen dachte ‘es ist dunkle
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/322>, abgerufen am 03.03.2025. |