Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.144. Das Eselein. Es lebte einmal ein König und eine Königin, die waren reich und hatten alles, was sie sich wünschten, nur keine Kinder. Darüber klagte sie Tag und Nacht, und sprach 'ich bin wie ein Acker, auf dem nichts wächst.' Endlich erfüllte Gott ihre Wünsche, als das Kind aber zur Welt kam, sahs nicht aus wie ein Menschenkind, sondern war ein junges Eselein. Wie die Mutter das erblickte, fieng ihr Jammer und Geschrei erst recht an, sie hätte lieber gar kein Kind gehabt, als einen Esel, und sagte man sollt ihn ins Wasser werfen, damit ihn die Fische fräßen. Der König aber sprach 'nein, hat Gott ihn gegeben, soll er auch mein Sohn und Erbe sein, nach meinem Tod auf dem königlichen Thron sitzen, und die königliche Krone tragen.' Also ward das Eselein aufgezogen, nahm zu, und die Ohren wuchsen ihm auch fein hoch und gerad hinauf. Es war aber sonst fröhlicher Art, sprang herum, spielte, und hatte besonders seine Lust an der Musik, so daß es zu einem berühmten Spielmann gieng, und sprach 'lehr mich deine Kunst, daß ich so gut die Laute schlagen kann, als du.' 'Ach, liebes Herrlein,' antwortete der Spielmann, 'das sollt euch schwer fallen, eure Finger sind nicht allerdings dazu gemacht, und 144. Das Eselein. Es lebte einmal ein Koͤnig und eine Koͤnigin, die waren reich und hatten alles, was sie sich wuͤnschten, nur keine Kinder. Daruͤber klagte sie Tag und Nacht, und sprach ‘ich bin wie ein Acker, auf dem nichts waͤchst.’ Endlich erfuͤllte Gott ihre Wuͤnsche, als das Kind aber zur Welt kam, sahs nicht aus wie ein Menschenkind, sondern war ein junges Eselein. Wie die Mutter das erblickte, fieng ihr Jammer und Geschrei erst recht an, sie haͤtte lieber gar kein Kind gehabt, als einen Esel, und sagte man sollt ihn ins Wasser werfen, damit ihn die Fische fraͤßen. Der Koͤnig aber sprach ‘nein, hat Gott ihn gegeben, soll er auch mein Sohn und Erbe sein, nach meinem Tod auf dem koͤniglichen Thron sitzen, und die koͤnigliche Krone tragen.’ Also ward das Eselein aufgezogen, nahm zu, und die Ohren wuchsen ihm auch fein hoch und gerad hinauf. Es war aber sonst froͤhlicher Art, sprang herum, spielte, und hatte besonders seine Lust an der Musik, so daß es zu einem beruͤhmten Spielmann gieng, und sprach ‘lehr mich deine Kunst, daß ich so gut die Laute schlagen kann, als du.’ ‘Ach, liebes Herrlein,’ antwortete der Spielmann, ‘das sollt euch schwer fallen, eure Finger sind nicht allerdings dazu gemacht, und <TEI> <text> <body> <pb n="286" facs="#f0302"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">144.<lb/> Das Eselein.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s lebte einmal ein Koͤnig und eine Koͤnigin, die waren reich und hatten alles, was sie sich wuͤnschten, nur keine Kinder. Daruͤber klagte sie Tag und Nacht, und sprach ‘ich bin wie ein Acker, auf dem nichts waͤchst.’ Endlich erfuͤllte Gott ihre Wuͤnsche, als das Kind aber zur Welt kam, sahs nicht aus wie ein Menschenkind, sondern war ein junges Eselein. Wie die Mutter das erblickte, fieng ihr Jammer und Geschrei erst recht an, sie haͤtte lieber gar kein Kind gehabt, als einen Esel, und sagte man sollt ihn ins Wasser werfen, damit ihn die Fische fraͤßen. Der Koͤnig aber sprach ‘nein, hat Gott ihn gegeben, soll er auch mein Sohn und Erbe sein, nach meinem Tod auf dem koͤniglichen Thron sitzen, und die koͤnigliche Krone tragen.’ Also ward das Eselein aufgezogen, nahm zu, und die Ohren wuchsen ihm auch fein hoch und gerad hinauf. Es war aber sonst froͤhlicher Art, sprang herum, spielte, und hatte besonders seine Lust an der Musik, so daß es zu einem beruͤhmten Spielmann gieng, und sprach ‘lehr mich deine Kunst, daß ich so gut die Laute schlagen kann, als du.’ ‘Ach, liebes Herrlein,’ antwortete der Spielmann, ‘das sollt euch schwer fallen, eure Finger sind nicht allerdings dazu gemacht, und </p> </div> </body> </text> </TEI> [286/0302]
144.
Das Eselein.
Es lebte einmal ein Koͤnig und eine Koͤnigin, die waren reich und hatten alles, was sie sich wuͤnschten, nur keine Kinder. Daruͤber klagte sie Tag und Nacht, und sprach ‘ich bin wie ein Acker, auf dem nichts waͤchst.’ Endlich erfuͤllte Gott ihre Wuͤnsche, als das Kind aber zur Welt kam, sahs nicht aus wie ein Menschenkind, sondern war ein junges Eselein. Wie die Mutter das erblickte, fieng ihr Jammer und Geschrei erst recht an, sie haͤtte lieber gar kein Kind gehabt, als einen Esel, und sagte man sollt ihn ins Wasser werfen, damit ihn die Fische fraͤßen. Der Koͤnig aber sprach ‘nein, hat Gott ihn gegeben, soll er auch mein Sohn und Erbe sein, nach meinem Tod auf dem koͤniglichen Thron sitzen, und die koͤnigliche Krone tragen.’ Also ward das Eselein aufgezogen, nahm zu, und die Ohren wuchsen ihm auch fein hoch und gerad hinauf. Es war aber sonst froͤhlicher Art, sprang herum, spielte, und hatte besonders seine Lust an der Musik, so daß es zu einem beruͤhmten Spielmann gieng, und sprach ‘lehr mich deine Kunst, daß ich so gut die Laute schlagen kann, als du.’ ‘Ach, liebes Herrlein,’ antwortete der Spielmann, ‘das sollt euch schwer fallen, eure Finger sind nicht allerdings dazu gemacht, und
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/302>, abgerufen am 03.03.2025. |