(Aus der Schwalmgegend.) Uralte Sage von Philemon und Baucis (Ovid. met. VIII. 617. s. Voß Anmerkung zu seiner Idylle XVIII. der noch andere anführt), lebendig und christlich fortdauernd; vgl. die Anmerkung zu I. 81. Eine merkwürdige hierher gehörige Stelle bei Reinmar von Zweter II. 145. "unde het ich drier wunsche gewalt." Die misrathenen Wünsche des Reichen werden auch ohne diesen Zusammenhang erzählt, (von der Beaumont nach ihrer Art verändert). Stricker hat auch dies Märchen behandelt, wovon Docen das Manuscript besitzt; ganz gemeiner Art ist das altfranz. Fabliau von den quatre souhaits de S. Martin (Meon IV. 386.). Bei Hebel im Schatzkästlein (S. 117 so gut sonst die Darstellung, ist in der Sage selbst schon vieles aus- gefallen. Ueber die drei Wünsche vgl. der Jud im Dorn Nr. 24. und die weiße und schwarze Braut Nr. 49.
Im Ganzen ist auch hier der in den Märchen so oft wiederkommende Satz, daß der Böse, Geitzige und Häßliche das dem Guten, Schuldlosen und Reinen zu Theil gewordene Glück plump und zu seinem Ver- derben erbittet. -- Die Götter und Heiligen reisen in der Welt und prüfen das Menschengeschlecht. Odyssea XVII. 485 und Altd. Wälder 2. S. 25. Note 60. Dem eddischen Lied von Rigr liegt die nämliche Idee zu Grund; der Gegensatz und dieselbe Folge unseres Märchens einer Chinesischen Sage von Foh, der zu einer armen, frommen und zu einer geizigen bösen Frau pilgert. Jene begabt er früh- morgens beim Abschied damit, daß ihr erstes Begin- nen an dem Tage nicht aufhören solle, bis die Son- ne sinke. Sie dachte nicht dran und ging an ihr
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1. Der Arme und Reiche.
(Aus der Schwalmgegend.) Uralte Sage von Philemon und Baucis (Ovid. met. VIII. 617. ſ. Voß Anmerkung zu ſeiner Idylle XVIII. der noch andere anfuͤhrt), lebendig und chriſtlich fortdauernd; vgl. die Anmerkung zu I. 81. Eine merkwuͤrdige hierher gehoͤrige Stelle bei Reinmar von Zweter II. 145. „unde het ich drier wunſche gewalt.“ Die misrathenen Wuͤnſche des Reichen werden auch ohne dieſen Zuſammenhang erzaͤhlt, (von der Beaumont nach ihrer Art veraͤndert). Stricker hat auch dies Maͤrchen behandelt, wovon Docen das Manuſcript beſitzt; ganz gemeiner Art iſt das altfranz. Fabliau von den quatre ſouhaits de S. Martin (Meon IV. 386.). Bei Hebel im Schatzkaͤſtlein (S. 117 ſo gut ſonſt die Darſtellung, iſt in der Sage ſelbſt ſchon vieles aus- gefallen. Ueber die drei Wuͤnſche vgl. der Jud im Dorn Nr. 24. und die weiße und ſchwarze Braut Nr. 49.
Im Ganzen iſt auch hier der in den Maͤrchen ſo oft wiederkommende Satz, daß der Boͤſe, Geitzige und Haͤßliche das dem Guten, Schuldloſen und Reinen zu Theil gewordene Gluͤck plump und zu ſeinem Ver- derben erbittet. — Die Goͤtter und Heiligen reiſen in der Welt und pruͤfen das Menſchengeſchlecht. Odyſſea XVII. 485 und Altd. Waͤlder 2. S. 25. Note 60. Dem eddiſchen Lied von Rigr liegt die naͤmliche Idee zu Grund; der Gegenſatz und dieſelbe Folge unſeres Maͤrchens einer Chineſiſchen Sage von Foh, der zu einer armen, frommen und zu einer geizigen boͤſen Frau pilgert. Jene begabt er fruͤh- morgens beim Abſchied damit, daß ihr erſtes Begin- nen an dem Tage nicht aufhoͤren ſolle, bis die Son- ne ſinke. Sie dachte nicht dran und ging an ihr
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[[III]/0322]
1.
Der Arme und Reiche.
(Aus der Schwalmgegend.) Uralte Sage von
Philemon und Baucis (Ovid. met. VIII. 617. ſ. Voß
Anmerkung zu ſeiner Idylle XVIII. der noch andere
anfuͤhrt), lebendig und chriſtlich fortdauernd; vgl.
die Anmerkung zu I. 81. Eine merkwuͤrdige hierher
gehoͤrige Stelle bei Reinmar von Zweter II. 145.
„unde het ich drier wunſche gewalt.“ Die
misrathenen Wuͤnſche des Reichen werden auch ohne
dieſen Zuſammenhang erzaͤhlt, (von der Beaumont
nach ihrer Art veraͤndert). Stricker hat auch dies
Maͤrchen behandelt, wovon Docen das Manuſcript
beſitzt; ganz gemeiner Art iſt das altfranz. Fabliau
von den quatre ſouhaits de S. Martin (Meon IV. 386.).
Bei Hebel im Schatzkaͤſtlein (S. 117 ſo gut ſonſt die
Darſtellung, iſt in der Sage ſelbſt ſchon vieles aus-
gefallen. Ueber die drei Wuͤnſche vgl. der Jud im
Dorn Nr. 24. und die weiße und ſchwarze Braut
Nr. 49.
Im Ganzen iſt auch hier der in den Maͤrchen ſo
oft wiederkommende Satz, daß der Boͤſe, Geitzige
und Haͤßliche das dem Guten, Schuldloſen und Reinen
zu Theil gewordene Gluͤck plump und zu ſeinem Ver-
derben erbittet. — Die Goͤtter und Heiligen reiſen
in der Welt und pruͤfen das Menſchengeſchlecht.
Odyſſea XVII. 485 und Altd. Waͤlder 2. S. 25.
Note 60. Dem eddiſchen Lied von Rigr liegt die
naͤmliche Idee zu Grund; der Gegenſatz und dieſelbe
Folge unſeres Maͤrchens einer Chineſiſchen Sage von
Foh, der zu einer armen, frommen und zu einer
geizigen boͤſen Frau pilgert. Jene begabt er fruͤh-
morgens beim Abſchied damit, daß ihr erſtes Begin-
nen an dem Tage nicht aufhoͤren ſolle, bis die Son-
ne ſinke. Sie dachte nicht dran und ging an ihr
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. [III]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/322>, abgerufen am 18.11.2024.
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