gar zu groß." Da stellte sich der oben, als gäb' er endlich nach und sprach: "Damit ich aus dem Haus der Weisheit heraus kann, mußt du den Sack am Strick herunterlassen, so sollst du ein- gehen." Also ließ der Schüler ihn herunter, band den Sack auf und befreite ihn, dann rief er selber: "Nun zieh' mich recht geschwind hinauf," und wollt' geradstehend in den Sack einschreiten. "Halt!" sagte der andere, "so geht's nicht an," packte ihn beim Kopf, steckte ihn rücklings in den Sack, schnürte zu, und zog den Jünger der Weis- heit am Strick baumwärts und schwengelte ihn in der Luft: "Wie steht's, mein lieber Gesell? siehe, schon fühlst du daß dir die Weisheit kommt, und machst gute Erfahrung, sitze also fein ruhig, bis du klüger wirst." Damit stieg er auf des Schü- lers Pferd und ritt fort.
61. Das junggeglühte Männlein.
Zur Zeit da unser Herr noch auf Erden ging, kehrte er eines Abends, sammt Peter, bei einem Schmied ein, und bekam willig Herberg. Nun geschah's, daß ein armer Bettelmann, von Alter und Gebrechen hart gedrückt, in dieses Haus kam und vom Schmied Almosen forderte. Deß er- barmte sich Petrus und sprach: "Herr und Meister, so dir's gefällt, heil' ihm doch seine
gar zu groß.“ Da ſtellte ſich der oben, als gaͤb’ er endlich nach und ſprach: „Damit ich aus dem Haus der Weisheit heraus kann, mußt du den Sack am Strick herunterlaſſen, ſo ſollſt du ein- gehen.“ Alſo ließ der Schuͤler ihn herunter, band den Sack auf und befreite ihn, dann rief er ſelber: „Nun zieh’ mich recht geſchwind hinauf,“ und wollt’ geradſtehend in den Sack einſchreiten. „Halt!“ ſagte der andere, „ſo geht’s nicht an,“ packte ihn beim Kopf, ſteckte ihn ruͤcklings in den Sack, ſchnuͤrte zu, und zog den Juͤnger der Weis- heit am Strick baumwaͤrts und ſchwengelte ihn in der Luft: „Wie ſteht’s, mein lieber Geſell? ſiehe, ſchon fuͤhlſt du daß dir die Weisheit kommt, und machſt gute Erfahrung, ſitze alſo fein ruhig, bis du kluͤger wirſt.“ Damit ſtieg er auf des Schuͤ- lers Pferd und ritt fort.
61. Das junggegluͤhte Maͤnnlein.
Zur Zeit da unſer Herr noch auf Erden ging, kehrte er eines Abends, ſammt Peter, bei einem Schmied ein, und bekam willig Herberg. Nun geſchah’s, daß ein armer Bettelmann, von Alter und Gebrechen hart gedruͤckt, in dieſes Haus kam und vom Schmied Almoſen forderte. Deß er- barmte ſich Petrus und ſprach: „Herr und Meiſter, ſo dir’s gefaͤllt, heil’ ihm doch ſeine
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gar zu groß.“ Da ſtellte ſich der oben, als gaͤb’
er endlich nach und ſprach: „Damit ich aus dem
Haus der Weisheit heraus kann, mußt du den
Sack am Strick herunterlaſſen, ſo ſollſt du ein-
gehen.“ Alſo ließ der Schuͤler ihn herunter,
band den Sack auf und befreite ihn, dann rief er
ſelber: „Nun zieh’ mich recht geſchwind hinauf,“
und wollt’ geradſtehend in den Sack einſchreiten.
„Halt!“ ſagte der andere, „ſo geht’s nicht an,“
packte ihn beim Kopf, ſteckte ihn ruͤcklings in den
Sack, ſchnuͤrte zu, und zog den Juͤnger der Weis-
heit am Strick baumwaͤrts und ſchwengelte ihn in
der Luft: „Wie ſteht’s, mein lieber Geſell? ſiehe,
ſchon fuͤhlſt du daß dir die Weisheit kommt, und
machſt gute Erfahrung, ſitze alſo fein ruhig, bis
du kluͤger wirſt.“ Damit ſtieg er auf des Schuͤ-
lers Pferd und ritt fort.
61.
Das junggegluͤhte Maͤnnlein.
Zur Zeit da unſer Herr noch auf Erden ging,
kehrte er eines Abends, ſammt Peter, bei einem
Schmied ein, und bekam willig Herberg. Nun
geſchah’s, daß ein armer Bettelmann, von Alter
und Gebrechen hart gedruͤckt, in dieſes Haus kam
und vom Schmied Almoſen forderte. Deß er-
barmte ſich Petrus und ſprach: „Herr und
Meiſter, ſo dir’s gefaͤllt, heil’ ihm doch ſeine
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/307>, abgerufen am 18.12.2024.
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