Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Ruhe verzehren." Dem Löwen gefiel der Rath
und er stellte sich hin, damit ihm der Fuchs das
Pferd anknüpfen könne, hielt auch fein still.
Der Fuchs aber band mit des Pferdes Schweif
dem Löwen die Beine zusammen, und drehte und
schnürte alles so wohl und stark, daß es mit kei-
ner Kraft zu zerreißen war. Als er nun sein
Werk vollendet hatte, klopfte er dem Pferd auf
die Schultern und sprach: "zieh, Schimmel,
zieh!" Da sprang das Pferd mit einmal auf,
und zog den Löwen mit sich fort; der Löwe fing
an zu brüllen, daß die Vögel in dem ganzen
Wald vor Schrecken aufflogen, aber das Pferd
ließ ihn brüllen, zog und schleppte ihn über das
Feld vor seines Herrn Thür. Wie der Herr
das sah, besann er sich eines bessern und sprach
zu dem Pferd: "Du sollst bei mir bleiben und
es gut haben," und gab ihm satt zu fressen bis
es starb.

47.
Die zertanzten Schuhe.

Es war einmal ein König, der hatte zwölf
Töchter, eine immer schöner als die andere, die
hatten ihre zwölf Betten zusammen in einem
Saal, und wann sie waren schlafen gegangen,
wurde die Thüre verschlossen und verriegelt, und

Ruhe verzehren.“ Dem Loͤwen gefiel der Rath
und er ſtellte ſich hin, damit ihm der Fuchs das
Pferd anknuͤpfen koͤnne, hielt auch fein ſtill.
Der Fuchs aber band mit des Pferdes Schweif
dem Loͤwen die Beine zuſammen, und drehte und
ſchnuͤrte alles ſo wohl und ſtark, daß es mit kei-
ner Kraft zu zerreißen war. Als er nun ſein
Werk vollendet hatte, klopfte er dem Pferd auf
die Schultern und ſprach: „zieh, Schimmel,
zieh!“ Da ſprang das Pferd mit einmal auf,
und zog den Loͤwen mit ſich fort; der Loͤwe fing
an zu bruͤllen, daß die Voͤgel in dem ganzen
Wald vor Schrecken aufflogen, aber das Pferd
ließ ihn bruͤllen, zog und ſchleppte ihn uͤber das
Feld vor ſeines Herrn Thuͤr. Wie der Herr
das ſah, beſann er ſich eines beſſern und ſprach
zu dem Pferd: „Du ſollſt bei mir bleiben und
es gut haben,“ und gab ihm ſatt zu freſſen bis
es ſtarb.

47.
Die zertanzten Schuhe.

Es war einmal ein Koͤnig, der hatte zwoͤlf
Toͤchter, eine immer ſchoͤner als die andere, die
hatten ihre zwoͤlf Betten zuſammen in einem
Saal, und wann ſie waren ſchlafen gegangen,
wurde die Thuͤre verſchloſſen und verriegelt, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0260" n="239"/>
Ruhe verzehren.&#x201C; Dem Lo&#x0364;wen gefiel der Rath<lb/>
und er &#x017F;tellte &#x017F;ich hin, damit ihm der Fuchs das<lb/>
Pferd anknu&#x0364;pfen ko&#x0364;nne, hielt auch fein &#x017F;till.<lb/>
Der Fuchs aber band mit des Pferdes Schweif<lb/>
dem Lo&#x0364;wen die Beine zu&#x017F;ammen, und drehte und<lb/>
&#x017F;chnu&#x0364;rte alles &#x017F;o wohl und &#x017F;tark, daß es mit kei-<lb/>
ner Kraft zu zerreißen war. Als er nun &#x017F;ein<lb/>
Werk vollendet hatte, klopfte er dem Pferd auf<lb/>
die Schultern und &#x017F;prach: &#x201E;zieh, Schimmel,<lb/>
zieh!&#x201C; Da &#x017F;prang das Pferd mit einmal auf,<lb/>
und zog den Lo&#x0364;wen mit &#x017F;ich fort; der Lo&#x0364;we fing<lb/>
an zu bru&#x0364;llen, daß die Vo&#x0364;gel in dem ganzen<lb/>
Wald vor Schrecken aufflogen, aber das Pferd<lb/>
ließ ihn bru&#x0364;llen, zog und &#x017F;chleppte ihn u&#x0364;ber das<lb/>
Feld vor &#x017F;eines Herrn Thu&#x0364;r. Wie der Herr<lb/>
das &#x017F;ah, be&#x017F;ann er &#x017F;ich eines be&#x017F;&#x017F;ern und &#x017F;prach<lb/>
zu dem Pferd: &#x201E;Du &#x017F;oll&#x017F;t bei mir bleiben und<lb/>
es gut haben,&#x201C; und gab ihm &#x017F;att zu fre&#x017F;&#x017F;en bis<lb/>
es &#x017F;tarb.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>47.<lb/><hi rendition="#g">Die zertanzten Schuhe</hi>.</head><lb/>
        <p>Es war einmal ein Ko&#x0364;nig, der hatte zwo&#x0364;lf<lb/>
To&#x0364;chter, eine immer &#x017F;cho&#x0364;ner als die andere, die<lb/>
hatten ihre zwo&#x0364;lf Betten zu&#x017F;ammen in einem<lb/>
Saal, und wann &#x017F;ie waren &#x017F;chlafen gegangen,<lb/>
wurde die Thu&#x0364;re ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und verriegelt, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0260] Ruhe verzehren.“ Dem Loͤwen gefiel der Rath und er ſtellte ſich hin, damit ihm der Fuchs das Pferd anknuͤpfen koͤnne, hielt auch fein ſtill. Der Fuchs aber band mit des Pferdes Schweif dem Loͤwen die Beine zuſammen, und drehte und ſchnuͤrte alles ſo wohl und ſtark, daß es mit kei- ner Kraft zu zerreißen war. Als er nun ſein Werk vollendet hatte, klopfte er dem Pferd auf die Schultern und ſprach: „zieh, Schimmel, zieh!“ Da ſprang das Pferd mit einmal auf, und zog den Loͤwen mit ſich fort; der Loͤwe fing an zu bruͤllen, daß die Voͤgel in dem ganzen Wald vor Schrecken aufflogen, aber das Pferd ließ ihn bruͤllen, zog und ſchleppte ihn uͤber das Feld vor ſeines Herrn Thuͤr. Wie der Herr das ſah, beſann er ſich eines beſſern und ſprach zu dem Pferd: „Du ſollſt bei mir bleiben und es gut haben,“ und gab ihm ſatt zu freſſen bis es ſtarb. 47. Die zertanzten Schuhe. Es war einmal ein Koͤnig, der hatte zwoͤlf Toͤchter, eine immer ſchoͤner als die andere, die hatten ihre zwoͤlf Betten zuſammen in einem Saal, und wann ſie waren ſchlafen gegangen, wurde die Thuͤre verſchloſſen und verriegelt, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/260
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/260>, abgerufen am 18.11.2024.