Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.
36. Tischchen deck dich, Goldesel, und Knüppel aus dem Sack. Vor Zeiten war ein Schneider, der drei Söhne hatte und nur eine einzige Ziege. Aber die Ziege, weil sie alle zusammen mit ihrer Milch ernährte, mußte ihr gutes Futter haben und täglich hinaus auf die Weide geführt werden. Die Söhne thaten das auch nach der Reihe. Einmal brachte sie der älteste auf den Kirchhof, wo die schönsten Kräuter standen, ließ sie da fressen und herumspringen. Abends, als es Zeit war heim zu gehen, fragte er 'Ziege, bist du satt?' Die Ziege antwortete 'ich bin so satt, ich mag kein Blatt: meh! meh!' 'So komm nach Haus' sprach der Junge, faßte sie am Strickchen, führte sie in den Stall und band sie fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Vater aber wollte sich selbst überzeugen, gieng hinab in den Stall, streichelte das liebe Thier und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete 'wovon sollt ich satt sein? ich sprang nur über Gräbelein, und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!' 'Was muß ich hören!' rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu dem Jungen 'ei, du Lügner, sagst die Ziege wäre satt, und hast 36. Tischchen deck dich, Goldesel, und Knüppel aus dem Sack. Vor Zeiten war ein Schneider, der drei Söhne hatte und nur eine einzige Ziege. Aber die Ziege, weil sie alle zusammen mit ihrer Milch ernährte, mußte ihr gutes Futter haben und täglich hinaus auf die Weide geführt werden. Die Söhne thaten das auch nach der Reihe. Einmal brachte sie der älteste auf den Kirchhof, wo die schönsten Kräuter standen, ließ sie da fressen und herumspringen. Abends, als es Zeit war heim zu gehen, fragte er ‘Ziege, bist du satt?’ Die Ziege antwortete ‘ich bin so satt, ich mag kein Blatt: meh! meh!’ ‘So komm nach Haus’ sprach der Junge, faßte sie am Strickchen, führte sie in den Stall und band sie fest. ‘Nun,’ sagte der alte Schneider, ‘hat die Ziege ihr gehöriges Futter?’ ‘O,’ antwortete der Sohn, ‘die ist so satt, sie mag kein Blatt.’ Der Vater aber wollte sich selbst überzeugen, gieng hinab in den Stall, streichelte das liebe Thier und fragte ‘Ziege, bist du auch satt?’ Die Ziege antwortete ‘wovon sollt ich satt sein? ich sprang nur über Gräbelein, und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!’ ‘Was muß ich hören!’ rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu dem Jungen ‘ei, du Lügner, sagst die Ziege wäre satt, und hast <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0215" n="182"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">36.<lb/> Tischchen deck dich, Goldesel, und Knüppel aus dem Sack.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">V</hi>or Zeiten war ein Schneider, der drei Söhne hatte und nur eine einzige Ziege. Aber die Ziege, weil sie alle zusammen mit ihrer Milch ernährte, mußte ihr gutes Futter haben und täglich hinaus auf die Weide geführt werden. Die Söhne thaten das auch nach der Reihe. Einmal brachte sie der älteste auf den Kirchhof, wo die schönsten Kräuter standen, ließ sie da fressen und herumspringen. Abends, als es Zeit war heim zu gehen, fragte er ‘Ziege, bist du satt?’ Die Ziege antwortete</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘ich bin so satt,</l><lb/> <l>ich mag kein Blatt: meh! meh!’</l><lb/> </lg> <p>‘So komm nach Haus’ sprach der Junge, faßte sie am Strickchen, führte sie in den Stall und band sie fest. ‘Nun,’ sagte der alte Schneider, ‘hat die Ziege ihr gehöriges Futter?’ ‘O,’ antwortete der Sohn, ‘die ist so satt, sie mag kein Blatt.’ Der Vater aber wollte sich selbst überzeugen, gieng hinab in den Stall, streichelte das liebe Thier und fragte ‘Ziege, bist du auch satt?’ Die Ziege antwortete</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘wovon sollt ich satt sein?</l><lb/> <l>ich sprang nur über Gräbelein,</l><lb/> <l>und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!’</l><lb/> </lg> <p>‘Was muß ich hören!’ rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu dem Jungen ‘ei, du Lügner, sagst die Ziege wäre satt, und hast </p> </div> </body> </text> </TEI> [182/0215]
36.
Tischchen deck dich, Goldesel, und Knüppel aus dem Sack.
Vor Zeiten war ein Schneider, der drei Söhne hatte und nur eine einzige Ziege. Aber die Ziege, weil sie alle zusammen mit ihrer Milch ernährte, mußte ihr gutes Futter haben und täglich hinaus auf die Weide geführt werden. Die Söhne thaten das auch nach der Reihe. Einmal brachte sie der älteste auf den Kirchhof, wo die schönsten Kräuter standen, ließ sie da fressen und herumspringen. Abends, als es Zeit war heim zu gehen, fragte er ‘Ziege, bist du satt?’ Die Ziege antwortete
‘ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!’
‘So komm nach Haus’ sprach der Junge, faßte sie am Strickchen, führte sie in den Stall und band sie fest. ‘Nun,’ sagte der alte Schneider, ‘hat die Ziege ihr gehöriges Futter?’ ‘O,’ antwortete der Sohn, ‘die ist so satt, sie mag kein Blatt.’ Der Vater aber wollte sich selbst überzeugen, gieng hinab in den Stall, streichelte das liebe Thier und fragte ‘Ziege, bist du auch satt?’ Die Ziege antwortete
‘wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!’
‘Was muß ich hören!’ rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu dem Jungen ‘ei, du Lügner, sagst die Ziege wäre satt, und hast
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/215 |
| Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/215>, abgerufen am 18.11.2024. |
