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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

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17.
Die weiße Schlange.

Es ist nun schon lange her, da lebte ein König, dessen Weisheit im ganzen Lande berühmt war. Nichts blieb ihm unbekannt, und es war als ob ihm Nachricht von den verborgensten Dingen durch die Luft zugetragen würde. Er hatte aber eine seltsame Sitte. Jeden Mittag, wenn von der Tafel alles abgetragen und niemand mehr zugegen war, mußte ein Vertrauter Diener noch eine Schüssel bringen. Sie war aber zugedeckt, und der Diener wußte selbst nicht was darin lag, und kein Mensch wußte es, denn der König deckte sie nicht eher auf und aß nicht davon bis er ganz allein war. Das hatte schon lange Zeit gedauert, da überkam eines Tages den Diener, als er die Schüssel wieder wegtrug, die Neugierde so heftig, daß er nicht widerstehen konnte, sondern die Schüssel in seine Kammer brachte. Er verschloß die Thür sorgfältig, hob den Deckel auf, und da sah er daß eine weiße Schlange darin lag. Bei ihrem Anblick konnte er die Lust nicht zurückhalten, sie zu kosten; er schnitt ein Stückchen davon ab, und steckte es in den Mund. Kaum aber hatte es seine Zunge berührt, so hörte er vor seinem Fenster ein seltsames Gewisper von feinen Stimmen. Er gieng und horchte, da merkte er daß es die Sperlinge

17.
Die weiße Schlange.

Es ist nun schon lange her, da lebte ein König, dessen Weisheit im ganzen Lande berühmt war. Nichts blieb ihm unbekannt, und es war als ob ihm Nachricht von den verborgensten Dingen durch die Luft zugetragen würde. Er hatte aber eine seltsame Sitte. Jeden Mittag, wenn von der Tafel alles abgetragen und niemand mehr zugegen war, mußte ein Vertrauter Diener noch eine Schüssel bringen. Sie war aber zugedeckt, und der Diener wußte selbst nicht was darin lag, und kein Mensch wußte es, denn der König deckte sie nicht eher auf und aß nicht davon bis er ganz allein war. Das hatte schon lange Zeit gedauert, da überkam eines Tages den Diener, als er die Schüssel wieder wegtrug, die Neugierde so heftig, daß er nicht widerstehen konnte, sondern die Schüssel in seine Kammer brachte. Er verschloß die Thür sorgfältig, hob den Deckel auf, und da sah er daß eine weiße Schlange darin lag. Bei ihrem Anblick konnte er die Lust nicht zurückhalten, sie zu kosten; er schnitt ein Stückchen davon ab, und steckte es in den Mund. Kaum aber hatte es seine Zunge berührt, so hörte er vor seinem Fenster ein seltsames Gewisper von feinen Stimmen. Er gieng und horchte, da merkte er daß es die Sperlinge

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[106/0144] 17. Die weiße Schlange. Es ist nun schon lange her, da lebte ein König, dessen Weisheit im ganzen Lande berühmt war. Nichts blieb ihm unbekannt, und es war als ob ihm Nachricht von den verborgensten Dingen durch die Luft zugetragen würde. Er hatte aber eine seltsame Sitte. Jeden Mittag, wenn von der Tafel alles abgetragen und niemand mehr zugegen war, mußte ein Vertrauter Diener noch eine Schüssel bringen. Sie war aber zugedeckt, und der Diener wußte selbst nicht was darin lag, und kein Mensch wußte es, denn der König deckte sie nicht eher auf und aß nicht davon bis er ganz allein war. Das hatte schon lange Zeit gedauert, da überkam eines Tages den Diener, als er die Schüssel wieder wegtrug, die Neugierde so heftig, daß er nicht widerstehen konnte, sondern die Schüssel in seine Kammer brachte. Er verschloß die Thür sorgfältig, hob den Deckel auf, und da sah er daß eine weiße Schlange darin lag. Bei ihrem Anblick konnte er die Lust nicht zurückhalten, sie zu kosten; er schnitt ein Stückchen davon ab, und steckte es in den Mund. Kaum aber hatte es seine Zunge berührt, so hörte er vor seinem Fenster ein seltsames Gewisper von feinen Stimmen. Er gieng und horchte, da merkte er daß es die Sperlinge

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/144>, abgerufen am 21.11.2024.