Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.55. Rumpelstilzchen. Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und zu ihm sagte 'ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.' Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl, und er befahl die schöne Müllerstochter sollte vor ihn gebracht werden. Da führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach 'wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben.' Darauf ward die Kammer verschlossen, und sie blieb allein darin. Da saß nun die arme Müllerstochter, und wußte um ihr Leben keinen Rath, denn sie verstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war, und ihre Angst ward immer größer, daß sie endlich zu weinen anfieng. Da gieng auf einmal die Thüre auf, und trat ein kleines Männchen herein, und sprach 'guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?' 'Ach,' antwortete das Mädchen, 'ich soll Stroh zu Gold spinnen, und verstehe das nicht.' Sprach das Männchen 'was 55. Rumpelstilzchen. Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und zu ihm sagte ‘ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.’ Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl, und er befahl die schöne Müllerstochter sollte vor ihn gebracht werden. Da führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach ‘wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben.’ Darauf ward die Kammer verschlossen, und sie blieb allein darin. Da saß nun die arme Müllerstochter, und wußte um ihr Leben keinen Rath, denn sie verstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war, und ihre Angst ward immer größer, daß sie endlich zu weinen anfieng. Da gieng auf einmal die Thüre auf, und trat ein kleines Männchen herein, und sprach ‘guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?’ ‘Ach,’ antwortete das Mädchen, ‘ich soll Stroh zu Gold spinnen, und verstehe das nicht.’ Sprach das Männchen ‘was <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0382" n="333"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">55.<lb/> Rumpelstilzchen.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und zu ihm sagte ‘ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.’ Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl, und er befahl die schöne Müllerstochter sollte vor ihn gebracht werden. Da führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach ‘wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben.’ Darauf ward die Kammer verschlossen, und sie blieb allein darin.</p><lb/> <p>Da saß nun die arme Müllerstochter, und wußte um ihr Leben keinen Rath, denn sie verstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war, und ihre Angst ward immer größer, daß sie endlich zu weinen anfieng. Da gieng auf einmal die Thüre auf, und trat ein kleines Männchen herein, und sprach ‘guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?’ ‘Ach,’ antwortete das Mädchen, ‘ich soll Stroh zu Gold spinnen, und verstehe das nicht.’ Sprach das Männchen ‘was </p> </div> </body> </text> </TEI> [333/0382]
55.
Rumpelstilzchen.
Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und zu ihm sagte ‘ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.’ Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl, und er befahl die schöne Müllerstochter sollte vor ihn gebracht werden. Da führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach ‘wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben.’ Darauf ward die Kammer verschlossen, und sie blieb allein darin.
Da saß nun die arme Müllerstochter, und wußte um ihr Leben keinen Rath, denn sie verstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war, und ihre Angst ward immer größer, daß sie endlich zu weinen anfieng. Da gieng auf einmal die Thüre auf, und trat ein kleines Männchen herein, und sprach ‘guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?’ ‘Ach,’ antwortete das Mädchen, ‘ich soll Stroh zu Gold spinnen, und verstehe das nicht.’ Sprach das Männchen ‘was
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-07-24T14:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |