Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.56. Der liebste Roland. Es war einmal eine Frau, die war eine rechte Hexe, und hatte zwei Töchter, eine häßlich und böse, und die liebte sie, weil sie ihre rechte Tochter war, und eine schön und gut, und die haßte sie, weil sie ihre Stieftochter war. Zu einer Zeit hatte die Stieftochter eine schöne Schürze, die der andern gefiel, so daß sie neidisch war, und ihrer Mutter sagte sie wollte und müßte die Schürze haben. 'Sey still, mein Kind,' sprach die Alte, 'du sollst sie auch haben. Deine Stiefschwester hat längst den Tod verdient, heute Nacht wenn sie schläft, so komm ich und haue ihr den Kopf ab. Sorge nur daß du hinten ins Bett zu liegen kommst, und schieb sie recht vornen hin.' Um das arme Mädchen war es geschehen, wenn es nicht glücklicherweise in einer Ecke gestanden und alles mit angehört hätte. Als Schlafenszeit kam, ließ es die böse Schwester zuerst hinein steigen, damit sie sich, wie sie wollte hinten hin legen konnte; als sie aber eingeschlafen war, nahm es sie und legte sie vornen hin, ganz nah an den Rand, und es nahm den Platz hinten an der Wand. Jn der Nacht kam die Alte geschlichen, in der rechten Hand hielt sie eine Axt, mit der linken fühlte sie erst ob auch jemand vornen 56. Der liebste Roland. Es war einmal eine Frau, die war eine rechte Hexe, und hatte zwei Toͤchter, eine haͤßlich und boͤse, und die liebte sie, weil sie ihre rechte Tochter war, und eine schoͤn und gut, und die haßte sie, weil sie ihre Stieftochter war. Zu einer Zeit hatte die Stieftochter eine schoͤne Schuͤrze, die der andern gefiel, so daß sie neidisch war, und ihrer Mutter sagte sie wollte und muͤßte die Schuͤrze haben. ‘Sey still, mein Kind,’ sprach die Alte, ‘du sollst sie auch haben. Deine Stiefschwester hat laͤngst den Tod verdient, heute Nacht wenn sie schlaͤft, so komm ich und haue ihr den Kopf ab. Sorge nur daß du hinten ins Bett zu liegen kommst, und schieb sie recht vornen hin.’ Um das arme Maͤdchen war es geschehen, wenn es nicht gluͤcklicherweise in einer Ecke gestanden und alles mit angehoͤrt haͤtte. Als Schlafenszeit kam, ließ es die boͤse Schwester zuerst hinein steigen, damit sie sich, wie sie wollte hinten hin legen konnte; als sie aber eingeschlafen war, nahm es sie und legte sie vornen hin, ganz nah an den Rand, und es nahm den Platz hinten an der Wand. Jn der Nacht kam die Alte geschlichen, in der rechten Hand hielt sie eine Axt, mit der linken fuͤhlte sie erst ob auch jemand vornen <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0368" n="337"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">56.<lb/> Der liebste Roland.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal eine Frau, die war eine rechte Hexe, und hatte zwei Toͤchter, eine haͤßlich und boͤse, und die liebte sie, weil sie ihre rechte Tochter war, und eine schoͤn und gut, und die haßte sie, weil sie ihre Stieftochter war. Zu einer Zeit hatte die Stieftochter eine schoͤne Schuͤrze, die der andern gefiel, so daß sie neidisch war, und ihrer Mutter sagte sie wollte und muͤßte die Schuͤrze haben. ‘Sey still, mein Kind,’ sprach die Alte, ‘du sollst sie auch haben. Deine Stiefschwester hat laͤngst den Tod verdient, heute Nacht wenn sie schlaͤft, so komm ich und haue ihr den Kopf ab. Sorge nur daß du hinten ins Bett zu liegen kommst, und schieb sie recht vornen hin.’ Um das arme Maͤdchen war es geschehen, wenn es nicht gluͤcklicherweise in einer Ecke gestanden und alles mit angehoͤrt haͤtte. Als Schlafenszeit kam, ließ es die boͤse Schwester zuerst hinein steigen, damit sie sich, wie sie wollte hinten hin legen konnte; als sie aber eingeschlafen war, nahm es sie und legte sie vornen hin, ganz nah an den Rand, und es nahm den Platz hinten an der Wand. Jn der Nacht kam die Alte geschlichen, in der rechten Hand hielt sie eine Axt, mit der linken fuͤhlte sie erst ob auch jemand vornen </p> </div> </body> </text> </TEI> [337/0368]
56.
Der liebste Roland.
Es war einmal eine Frau, die war eine rechte Hexe, und hatte zwei Toͤchter, eine haͤßlich und boͤse, und die liebte sie, weil sie ihre rechte Tochter war, und eine schoͤn und gut, und die haßte sie, weil sie ihre Stieftochter war. Zu einer Zeit hatte die Stieftochter eine schoͤne Schuͤrze, die der andern gefiel, so daß sie neidisch war, und ihrer Mutter sagte sie wollte und muͤßte die Schuͤrze haben. ‘Sey still, mein Kind,’ sprach die Alte, ‘du sollst sie auch haben. Deine Stiefschwester hat laͤngst den Tod verdient, heute Nacht wenn sie schlaͤft, so komm ich und haue ihr den Kopf ab. Sorge nur daß du hinten ins Bett zu liegen kommst, und schieb sie recht vornen hin.’ Um das arme Maͤdchen war es geschehen, wenn es nicht gluͤcklicherweise in einer Ecke gestanden und alles mit angehoͤrt haͤtte. Als Schlafenszeit kam, ließ es die boͤse Schwester zuerst hinein steigen, damit sie sich, wie sie wollte hinten hin legen konnte; als sie aber eingeschlafen war, nahm es sie und legte sie vornen hin, ganz nah an den Rand, und es nahm den Platz hinten an der Wand. Jn der Nacht kam die Alte geschlichen, in der rechten Hand hielt sie eine Axt, mit der linken fuͤhlte sie erst ob auch jemand vornen
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