Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

bei jedem Schritt den sie that. Da erschrak sie und ward irre, ob sie auch wirklich die kluge Else wäre und sprach: "bin ichs, oder bin ichs nicht?" Sie wußte aber nicht, was sie darauf antworten sollte und stand eine Zeitlang zweifelhaft, endlich dachte sie: "ich will nach Haus gehen und fragen, ob ichs bin oder nicht, die werdens ja wissen." Da lief sie vor ihre Hausthüre, die war verschlossen, also klopfte sie an das Fenster und rief: "Hans, ist die Else drinnen?" "Ja, antwortete der Hans, sie ist drinnen." Da war sie erschrocken und sprach: "Ach Gott! dann bin ichs nicht!" und ging vor eine andere Thür, aber als die Leute das Klingeln der Schellen hörten, wollten sie nicht aufmachen und so gings ihr überall, da lief sie fort zum Dorf hinaus.

35.
Der Schneider im Himmel.

Es trug sich zu, daß ein Schneider starb, der lahm war und deshalb vor den Himmel nicht gegangen, sondern gehinkt kam. Er klopfte an die Pforte, der heil. Petrus aber, der dabei die Wache hat, wollte sie nicht gleich aufthun, sondern fragte: "wer klopft?" "Ein armer, ehrlicher Schneider bittet um Einlaß." "Ja, ehrlich, wie der Dieb am Galgen," sprach der heil. Petrus, "du hast lange Fingern gemacht und den Leuten das Tuch abgezwickt. Geh in die Hölle, wo du das Gestohlne doch hingeworfen hast, in den Himmel kommst du nicht." "Ach du barmherziger Gott! rief das Schneiderlein, ich hinke und habe von dem Weg daher Blasen an

bei jedem Schritt den sie that. Da erschrak sie und ward irre, ob sie auch wirklich die kluge Else waͤre und sprach: „bin ichs, oder bin ichs nicht?“ Sie wußte aber nicht, was sie darauf antworten sollte und stand eine Zeitlang zweifelhaft, endlich dachte sie: „ich will nach Haus gehen und fragen, ob ichs bin oder nicht, die werdens ja wissen.“ Da lief sie vor ihre Hausthuͤre, die war verschlossen, also klopfte sie an das Fenster und rief: „Hans, ist die Else drinnen?“ „Ja, antwortete der Hans, sie ist drinnen.“ Da war sie erschrocken und sprach: „Ach Gott! dann bin ichs nicht!“ und ging vor eine andere Thuͤr, aber als die Leute das Klingeln der Schellen hoͤrten, wollten sie nicht aufmachen und so gings ihr uͤberall, da lief sie fort zum Dorf hinaus.

35.
Der Schneider im Himmel.

Es trug sich zu, daß ein Schneider starb, der lahm war und deshalb vor den Himmel nicht gegangen, sondern gehinkt kam. Er klopfte an die Pforte, der heil. Petrus aber, der dabei die Wache hat, wollte sie nicht gleich aufthun, sondern fragte: „wer klopft?“ „Ein armer, ehrlicher Schneider bittet um Einlaß.“ „Ja, ehrlich, wie der Dieb am Galgen,“ sprach der heil. Petrus, „du hast lange Fingern gemacht und den Leuten das Tuch abgezwickt. Geh in die Hoͤlle, wo du das Gestohlne doch hingeworfen hast, in den Himmel kommst du nicht.“ „Ach du barmherziger Gott! rief das Schneiderlein, ich hinke und habe von dem Weg daher Blasen an

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0241" n="177"/>
bei jedem Schritt den sie that. Da erschrak sie und ward irre, ob sie auch wirklich die kluge Else wa&#x0364;re und sprach: &#x201E;bin ichs, oder bin ichs nicht?&#x201C; Sie wußte aber nicht, was sie darauf antworten sollte und stand eine Zeitlang zweifelhaft, endlich dachte sie: &#x201E;ich will nach Haus gehen und fragen, ob ichs bin oder nicht, die werdens ja wissen.&#x201C; Da lief sie vor ihre Hausthu&#x0364;re, die war verschlossen, also klopfte sie an das Fenster und rief: &#x201E;Hans, ist die Else drinnen?&#x201C; &#x201E;Ja, antwortete der Hans, sie ist drinnen.&#x201C; Da war sie erschrocken und sprach: &#x201E;Ach Gott! dann bin ichs nicht!&#x201C; und ging vor eine andere Thu&#x0364;r, aber als die Leute das Klingeln der Schellen ho&#x0364;rten, wollten sie nicht aufmachen und so gings ihr u&#x0364;berall, da lief sie fort zum Dorf hinaus.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">35.<lb/>
Der Schneider im Himmel.</hi> </head><lb/>
        <p>Es trug sich zu, daß ein Schneider starb, der lahm war und deshalb vor den Himmel nicht gegangen, sondern gehinkt kam. Er klopfte an die Pforte, der heil. Petrus aber, der dabei die Wache hat, wollte sie nicht gleich aufthun, sondern fragte: &#x201E;wer klopft?&#x201C; &#x201E;Ein armer, ehrlicher Schneider bittet um Einlaß.&#x201C; &#x201E;Ja, ehrlich, wie der Dieb am Galgen,&#x201C; sprach der heil. Petrus, &#x201E;du hast lange Fingern gemacht und den Leuten das Tuch abgezwickt. Geh in die Ho&#x0364;lle, wo du das Gestohlne doch hingeworfen hast, in den Himmel kommst du nicht.&#x201C; &#x201E;Ach du barmherziger Gott! rief das Schneiderlein, ich hinke und habe von dem Weg daher Blasen an
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0241] bei jedem Schritt den sie that. Da erschrak sie und ward irre, ob sie auch wirklich die kluge Else waͤre und sprach: „bin ichs, oder bin ichs nicht?“ Sie wußte aber nicht, was sie darauf antworten sollte und stand eine Zeitlang zweifelhaft, endlich dachte sie: „ich will nach Haus gehen und fragen, ob ichs bin oder nicht, die werdens ja wissen.“ Da lief sie vor ihre Hausthuͤre, die war verschlossen, also klopfte sie an das Fenster und rief: „Hans, ist die Else drinnen?“ „Ja, antwortete der Hans, sie ist drinnen.“ Da war sie erschrocken und sprach: „Ach Gott! dann bin ichs nicht!“ und ging vor eine andere Thuͤr, aber als die Leute das Klingeln der Schellen hoͤrten, wollten sie nicht aufmachen und so gings ihr uͤberall, da lief sie fort zum Dorf hinaus. 35. Der Schneider im Himmel. Es trug sich zu, daß ein Schneider starb, der lahm war und deshalb vor den Himmel nicht gegangen, sondern gehinkt kam. Er klopfte an die Pforte, der heil. Petrus aber, der dabei die Wache hat, wollte sie nicht gleich aufthun, sondern fragte: „wer klopft?“ „Ein armer, ehrlicher Schneider bittet um Einlaß.“ „Ja, ehrlich, wie der Dieb am Galgen,“ sprach der heil. Petrus, „du hast lange Fingern gemacht und den Leuten das Tuch abgezwickt. Geh in die Hoͤlle, wo du das Gestohlne doch hingeworfen hast, in den Himmel kommst du nicht.“ „Ach du barmherziger Gott! rief das Schneiderlein, ich hinke und habe von dem Weg daher Blasen an

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/241
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/241>, abgerufen am 21.11.2024.