holen. Sie sprach: ihr seyd in Lebensgefahr, denn wo euch der Vogel Phönix gewahr wür- de, fräße er euch auf mit Haut und Haar, doch will ich sehen, wie ich euch zu den drei Federn verhelfe, alle Tage kommt er hierher, da muß ich ihn mit einem engen Kamm kämmen; ge- schwind hier unter den Tisch, der war rund um mit Tuch beschlagen.
Indem kam der Vogel Phönix heim, setzte sich oben auf den Tisch und sprach: ich witte- re, wittere Menschenfleisch! -- "Ach was? ihr seht ja wohl, daß niemand hier ist" -- kämm mich nun, sprach der Vogel Phönix.
Das weiße Mamsellchen kämmte ihn nun, und er schlief darüber ein; wie er recht fest schlief, packte sie eine Feder, zog sie aus und warf sie unterm Tisch. Da wachte er auf: "was raufst du mich so? mir hat geträumt, es käme ein Mensch und zöge mir eine Feder aus." Sie stellte ihn aber zufrieden, und so gings das anderemal und das drittemal. Wie der junge Mensch die drei Federn hatte, zog er damit heim und bekam nun seine Braut.
76. Die Nelke.
Auf eine Zeit lebte ein König, der wollte sich niemals verheirathen, da stand er einmal
holen. Sie ſprach: ihr ſeyd in Lebensgefahr, denn wo euch der Vogel Phoͤnix gewahr wuͤr- de, fraͤße er euch auf mit Haut und Haar, doch will ich ſehen, wie ich euch zu den drei Federn verhelfe, alle Tage kommt er hierher, da muß ich ihn mit einem engen Kamm kaͤmmen; ge- ſchwind hier unter den Tiſch, der war rund um mit Tuch beſchlagen.
Indem kam der Vogel Phoͤnix heim, ſetzte ſich oben auf den Tiſch und ſprach: ich witte- re, wittere Menſchenfleiſch! — „Ach was? ihr ſeht ja wohl, daß niemand hier iſt“ — kaͤmm mich nun, ſprach der Vogel Phoͤnix.
Das weiße Mamſellchen kaͤmmte ihn nun, und er ſchlief daruͤber ein; wie er recht feſt ſchlief, packte ſie eine Feder, zog ſie aus und warf ſie unterm Tiſch. Da wachte er auf: „was raufſt du mich ſo? mir hat getraͤumt, es kaͤme ein Menſch und zoͤge mir eine Feder aus.“ Sie ſtellte ihn aber zufrieden, und ſo gings das anderemal und das drittemal. Wie der junge Menſch die drei Federn hatte, zog er damit heim und bekam nun ſeine Braut.
76. Die Nelke.
Auf eine Zeit lebte ein Koͤnig, der wollte ſich niemals verheirathen, da ſtand er einmal
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holen. Sie ſprach: ihr ſeyd in Lebensgefahr,
denn wo euch der Vogel Phoͤnix gewahr wuͤr-
de, fraͤße er euch auf mit Haut und Haar, doch
will ich ſehen, wie ich euch zu den drei Federn
verhelfe, alle Tage kommt er hierher, da muß
ich ihn mit einem engen Kamm kaͤmmen; ge-
ſchwind hier unter den Tiſch, der war rund um
mit Tuch beſchlagen.
Indem kam der Vogel Phoͤnix heim, ſetzte
ſich oben auf den Tiſch und ſprach: ich witte-
re, wittere Menſchenfleiſch! — „Ach was? ihr
ſeht ja wohl, daß niemand hier iſt“ — kaͤmm
mich nun, ſprach der Vogel Phoͤnix.
Das weiße Mamſellchen kaͤmmte ihn nun,
und er ſchlief daruͤber ein; wie er recht feſt
ſchlief, packte ſie eine Feder, zog ſie aus und
warf ſie unterm Tiſch. Da wachte er auf:
„was raufſt du mich ſo? mir hat getraͤumt,
es kaͤme ein Menſch und zoͤge mir eine Feder
aus.“ Sie ſtellte ihn aber zufrieden, und ſo
gings das anderemal und das drittemal. Wie
der junge Menſch die drei Federn hatte, zog er
damit heim und bekam nun ſeine Braut.
76.
Die Nelke.
Auf eine Zeit lebte ein Koͤnig, der wollte
ſich niemals verheirathen, da ſtand er einmal
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/384>, abgerufen am 18.12.2024.
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