Narr, deinem Vater wird ja sein Kind lieber seyn, als die Hüner!"
46. Fitchers Vogel.
Es war einmal ein Hexenmeister, der war ein Dieb und ging in der Gestalt eines armen Mannes vor die Häuser und bettelte. Da kam ein Mädchen vor die Thüre, und brachte ihm ein Stück Brod; er rührte das Mädchen nur an, da mußte es in seine Kötze springen. Dann trug er es fort und brachte es in sein Haus, da war alles prächtig, und er gab ihm alles, was es wünschte. Darnach sprach er einmal: "ich habe auswärts zu thun, und muß nothwendig verreisen, da hast du ein Ei, das heb sorgfältig auf und trag es beständig bei dir, und da hast du auch einen Schlüssel, aber geh nicht in die Stube, die er aufschließt, bei Lebensstrafe." Wie er aber fort war, ging sie doch hin und schloß die Stube auf, und wie sie hineintrat, sah sie in der Mitte ein großes Becken stehen, darin lagen todte und zerhauene Menschen. Sie erschrack so gewaltig, daß das Ei, das sie in der Hand hielt, hineinplumpte; sie nahm es zwar geschwind wieder heraus und wischte das Blut ab, das kam aber den Augenblick wieder zum Vorschein, und sie konnte es nicht herun-
Narr, deinem Vater wird ja ſein Kind lieber ſeyn, als die Huͤner!“
46. Fitchers Vogel.
Es war einmal ein Hexenmeiſter, der war ein Dieb und ging in der Geſtalt eines armen Mannes vor die Haͤuſer und bettelte. Da kam ein Maͤdchen vor die Thuͤre, und brachte ihm ein Stuͤck Brod; er ruͤhrte das Maͤdchen nur an, da mußte es in ſeine Koͤtze ſpringen. Dann trug er es fort und brachte es in ſein Haus, da war alles praͤchtig, und er gab ihm alles, was es wuͤnſchte. Darnach ſprach er einmal: „ich habe auswaͤrts zu thun, und muß nothwendig verreiſen, da haſt du ein Ei, das heb ſorgfaͤltig auf und trag es beſtaͤndig bei dir, und da haſt du auch einen Schluͤſſel, aber geh nicht in die Stube, die er aufſchließt, bei Lebensſtrafe.“ Wie er aber fort war, ging ſie doch hin und ſchloß die Stube auf, und wie ſie hineintrat, ſah ſie in der Mitte ein großes Becken ſtehen, darin lagen todte und zerhauene Menſchen. Sie erſchrack ſo gewaltig, daß das Ei, das ſie in der Hand hielt, hineinplumpte; ſie nahm es zwar geſchwind wieder heraus und wiſchte das Blut ab, das kam aber den Augenblick wieder zum Vorſchein, und ſie konnte es nicht herun-
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Narr, deinem Vater wird ja ſein Kind lieber
ſeyn, als die Huͤner!“
46.
Fitchers Vogel.
Es war einmal ein Hexenmeiſter, der war
ein Dieb und ging in der Geſtalt eines armen
Mannes vor die Haͤuſer und bettelte. Da kam
ein Maͤdchen vor die Thuͤre, und brachte ihm ein
Stuͤck Brod; er ruͤhrte das Maͤdchen nur an, da
mußte es in ſeine Koͤtze ſpringen. Dann trug
er es fort und brachte es in ſein Haus, da
war alles praͤchtig, und er gab ihm alles, was
es wuͤnſchte. Darnach ſprach er einmal: „ich
habe auswaͤrts zu thun, und muß nothwendig
verreiſen, da haſt du ein Ei, das heb ſorgfaͤltig
auf und trag es beſtaͤndig bei dir, und da haſt
du auch einen Schluͤſſel, aber geh nicht in die
Stube, die er aufſchließt, bei Lebensſtrafe.“
Wie er aber fort war, ging ſie doch hin und
ſchloß die Stube auf, und wie ſie hineintrat,
ſah ſie in der Mitte ein großes Becken ſtehen,
darin lagen todte und zerhauene Menſchen. Sie
erſchrack ſo gewaltig, daß das Ei, das ſie in
der Hand hielt, hineinplumpte; ſie nahm es
zwar geſchwind wieder heraus und wiſchte das
Blut ab, das kam aber den Augenblick wieder
zum Vorſchein, und ſie konnte es nicht herun-
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/234>, abgerufen am 18.11.2024.
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