Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zwang ihn doch etwas, sich umzuschauen, und er sah, wie sie Beide in der Sonne neben einander standen; genug für seine Augen. Fliegen wir hinweg aus dem schönen Lande, wo es schon Frühling war, fort über die Alpen, immer weiter, und mit uns die Zeit. Es lag tiefer Schnee in den Straßen; die Sonne ging trübe auf und leuchtete bleich durch die kalte Luft. Das helle Feuer im Ofen besiegte und überstrahlte sie; doch nicht ganz. Ein freundlicher Strahl blickte in ein Stübchen, vor dessen doppelten Fenstern Blumen standen, lief quer über einen Tisch, über einen offenen Brief, der darauf lag, und über den Scheitel eines jungen Mädchens, das ihn las und laut auflachte, als sie ihn beendet. Therese, sagte die alte Tante, welche neben ihr stand, ich würde nun nicht gerade lachen, denn der junge Mann ist von guter Familie und sehr liebenswürdig. Das bin ich gleichfalls, Tante, das also höbe sich vorweg auf, antwortete sie und lachte wieder. Aber reich außerdem, liebes Kind, -- Nun, ich hätte doch auch am Ende zu leben. -- Kurz, du machst dir nichts daraus? -- Das will ich nicht sagen. Aber es ist doch kein Unglück, bei dergleichen Gelegenheiten ein wenig zu lachen? Es kann das ja ein Zeichen von Wohlgefallen sein. Lassen wir wenigstens ein paar zwang ihn doch etwas, sich umzuschauen, und er sah, wie sie Beide in der Sonne neben einander standen; genug für seine Augen. Fliegen wir hinweg aus dem schönen Lande, wo es schon Frühling war, fort über die Alpen, immer weiter, und mit uns die Zeit. Es lag tiefer Schnee in den Straßen; die Sonne ging trübe auf und leuchtete bleich durch die kalte Luft. Das helle Feuer im Ofen besiegte und überstrahlte sie; doch nicht ganz. Ein freundlicher Strahl blickte in ein Stübchen, vor dessen doppelten Fenstern Blumen standen, lief quer über einen Tisch, über einen offenen Brief, der darauf lag, und über den Scheitel eines jungen Mädchens, das ihn las und laut auflachte, als sie ihn beendet. Therese, sagte die alte Tante, welche neben ihr stand, ich würde nun nicht gerade lachen, denn der junge Mann ist von guter Familie und sehr liebenswürdig. Das bin ich gleichfalls, Tante, das also höbe sich vorweg auf, antwortete sie und lachte wieder. Aber reich außerdem, liebes Kind, — Nun, ich hätte doch auch am Ende zu leben. — Kurz, du machst dir nichts daraus? — Das will ich nicht sagen. Aber es ist doch kein Unglück, bei dergleichen Gelegenheiten ein wenig zu lachen? Es kann das ja ein Zeichen von Wohlgefallen sein. Lassen wir wenigstens ein paar <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0075"/> zwang ihn doch etwas, sich umzuschauen, und er sah, wie sie Beide in der Sonne neben einander standen; genug für seine Augen.</p><lb/> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="chapter" n="2"> <p>Fliegen wir hinweg aus dem schönen Lande, wo es schon Frühling war, fort über die Alpen, immer weiter, und mit uns die Zeit.</p><lb/> <p>Es lag tiefer Schnee in den Straßen; die Sonne ging trübe auf und leuchtete bleich durch die kalte Luft. Das helle Feuer im Ofen besiegte und überstrahlte sie; doch nicht ganz. Ein freundlicher Strahl blickte in ein Stübchen, vor dessen doppelten Fenstern Blumen standen, lief quer über einen Tisch, über einen offenen Brief, der darauf lag, und über den Scheitel eines jungen Mädchens, das ihn las und laut auflachte, als sie ihn beendet.</p><lb/> <p>Therese, sagte die alte Tante, welche neben ihr stand, ich würde nun nicht gerade lachen, denn der junge Mann ist von guter Familie und sehr liebenswürdig.</p><lb/> <p>Das bin ich gleichfalls, Tante, das also höbe sich vorweg auf, antwortete sie und lachte wieder.</p><lb/> <p>Aber reich außerdem, liebes Kind, — Nun, ich hätte doch auch am Ende zu leben. — Kurz, du machst dir nichts daraus? — Das will ich nicht sagen. Aber es ist doch kein Unglück, bei dergleichen Gelegenheiten ein wenig zu lachen? Es kann das ja ein Zeichen von Wohlgefallen sein. Lassen wir wenigstens ein paar<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0075]
zwang ihn doch etwas, sich umzuschauen, und er sah, wie sie Beide in der Sonne neben einander standen; genug für seine Augen.
Fliegen wir hinweg aus dem schönen Lande, wo es schon Frühling war, fort über die Alpen, immer weiter, und mit uns die Zeit.
Es lag tiefer Schnee in den Straßen; die Sonne ging trübe auf und leuchtete bleich durch die kalte Luft. Das helle Feuer im Ofen besiegte und überstrahlte sie; doch nicht ganz. Ein freundlicher Strahl blickte in ein Stübchen, vor dessen doppelten Fenstern Blumen standen, lief quer über einen Tisch, über einen offenen Brief, der darauf lag, und über den Scheitel eines jungen Mädchens, das ihn las und laut auflachte, als sie ihn beendet.
Therese, sagte die alte Tante, welche neben ihr stand, ich würde nun nicht gerade lachen, denn der junge Mann ist von guter Familie und sehr liebenswürdig.
Das bin ich gleichfalls, Tante, das also höbe sich vorweg auf, antwortete sie und lachte wieder.
Aber reich außerdem, liebes Kind, — Nun, ich hätte doch auch am Ende zu leben. — Kurz, du machst dir nichts daraus? — Das will ich nicht sagen. Aber es ist doch kein Unglück, bei dergleichen Gelegenheiten ein wenig zu lachen? Es kann das ja ein Zeichen von Wohlgefallen sein. Lassen wir wenigstens ein paar
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Zitationshilfe: | Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/75>, abgerufen am 03.03.2025. |