Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. adj. eigentl. comp. -- adj. mit subst.
zus. setzung, sei dieses nun subst. oder wiederum adj.
oder participium. Allein die zus. setzung erzeugt freiere
vielseitigere begriffe, als das wirkliche adj., stünde es ne-
ben dem zweiten wort, haben würde, z. b. das nhd.
jung-frau bedeutet weder junge frau noch die junge frau;
alt-vordern weder alte vorderen noch die alten vordern.
Die composition hat einen eigenthümlichen sinn hervor-
gebracht, der, sobald man sie auflöset, nicht einmahl
immer verständlich sein würde, z. b. in dem letzt ange-
führten wort. Vielen adjectivischen eigentl. zus. setzun-
gen entsprechen daher einfache wörter fremder sprachen,
z. b. unserm alt-vater, jung-frau das lat. avus, virgo.

4) die arten und wichtigsten fälle der adjectivischen
composition sind wie die der subst. abzuhandeln.

Adjectiv mit substantiv.
A. verzeichnis nach dem ersten wort.

abrs (validus): daher vielleicht die ahd. eigennamen
abar-hilt, aber-ram.

alls (totus): die goth. sprache unterscheidet in der
composition ala- von all- (f. alla-?), die ahd. ala- von
al- (für all- und dies für alla-), die ags. äl- von eall-,
die altn. al- von all- (Rask §. 300.). Das erstere läßt
sich formell nicht aus alls (totus) herführen und kann
doch der bedeutung nach nicht anders wohin gehören.
Weist es auf ein älteres als, gen. alis, das sich hernach
in alls gen. allis verwandelte? Oder wären als (das sich
freilich nicht alleinstehend vorzeigen läßt, bloß in der
comp.) und alls zweierlei adj.? Ala- gibt den sinn des
griech. panto-, lat. omni-; all- den des gr. olo-; die
zus. setzungen mit all- sind selten, die mit ala- häufig.
Hierher fallen folgende substantiva: 1) mit ala: goth.
alatharba (nicht alla-th.) Luc. 15, 14, einer, der an allem
mangel leidet, man könnte thparba auch für die schw. adj.
form nehmen; wahrscheinlich ist damit der goth. eigen-
name ala-reiks (omnipotens) componiert (und die ver-
muthung s. 447. falsch). -- ahd. ala-man (n. pr. und gen-
tilit., in den gesetzen, urk. und geschichtschreibern kommt
die volle form ala-manni vor); ale-walto (omnipotens)
N. 104. 21; die meisten comp. stehen bei O. und N. in
adverbialischen redensarten und zwar a) mit in und dem
acc.: in ala-dratei (vehementissime) O. II. 23, III. 26, 89;
in ala-festei (firmissime) O. V. 7, 107; in ala-gahei (citissime)

R r 2

III. adj. eigentl. comp. — adj. mit ſubſt.
zuſ. ſetzung, ſei dieſes nun ſubſt. oder wiederum adj.
oder participium. Allein die zuſ. ſetzung erzeugt freiere
vielſeitigere begriffe, als das wirkliche adj., ſtünde es ne-
ben dem zweiten wort, haben würde, z. b. das nhd.
jung-frau bedeutet weder junge frau noch die junge frau;
alt-vordern weder alte vorderen noch die alten vordern.
Die compoſition hat einen eigenthümlichen ſinn hervor-
gebracht, der, ſobald man ſie auflöſet, nicht einmahl
immer verſtändlich ſein würde, z. b. in dem letzt ange-
führten wort. Vielen adjectiviſchen eigentl. zuſ. ſetzun-
gen entſprechen daher einfache wörter fremder ſprachen,
z. b. unſerm alt-vater, jung-frau das lat. avus, virgo.

4) die arten und wichtigſten fälle der adjectiviſchen
compoſition ſind wie die der ſubſt. abzuhandeln.

Adjectiv mit ſubſtantiv.
A. verzeichnis nach dem erſten wort.

abrs (validus): daher vielleicht die ahd. eigennamen
abar-hilt, aber-râm.

alls (totus): die goth. ſprache unterſcheidet in der
compoſition ala- von all- (f. alla-?), die ahd. ala- von
al- (für all- und dies für alla-), die agſ. äl- von ëall-,
die altn. al- von all- (Raſk §. 300.). Das erſtere läßt
ſich formell nicht aus alls (totus) herführen und kann
doch der bedeutung nach nicht anders wohin gehören.
Weiſt es auf ein älteres als, gen. alis, das ſich hernach
in alls gen. allis verwandelte? Oder wären als (das ſich
freilich nicht alleinſtehend vorzeigen läßt, bloß in der
comp.) und alls zweierlei adj.? Ala- gibt den ſinn des
griech. παντο-, lat. omni-; all- den des gr. ὁλο-; die
zuſ. ſetzungen mit all- ſind ſelten, die mit ala- häufig.
Hierher fallen folgende ſubſtantiva: 1) mit ala: goth.
alaþarba (nicht alla-þ.) Luc. 15, 14, einer, der an allem
mangel leidet, man könnte þparba auch für die ſchw. adj.
form nehmen; wahrſcheinlich iſt damit der goth. eigen-
name ala-reiks (omnipotens) componiert (und die ver-
muthung ſ. 447. falſch). — ahd. ala-man (n. pr. und gen-
tilit., in den geſetzen, urk. und geſchichtſchreibern kommt
die volle form ala-manni vor); ale-walto (omnipotens)
N. 104. 21; die meiſten comp. ſtehen bei O. und N. in
adverbialiſchen redensarten und zwar α) mit in und dem
acc.: in ala-drâtî (vehementiſſime) O. II. 23, III. 26, 89;
in ala-feſtî (firmiſſime) O. V. 7, 107; in ala-gâhî (citiſſime)

R r 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0645" n="627"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">adj. eigentl. comp. &#x2014; adj. mit &#x017F;ub&#x017F;t.</hi></hi></fw><lb/>
zu&#x017F;. &#x017F;etzung, &#x017F;ei die&#x017F;es nun &#x017F;ub&#x017F;t. oder wiederum adj.<lb/>
oder participium. Allein die zu&#x017F;. &#x017F;etzung erzeugt freiere<lb/>
viel&#x017F;eitigere begriffe, als das wirkliche adj., &#x017F;tünde es ne-<lb/>
ben dem zweiten wort, haben würde, z. b. das nhd.<lb/>
jung-frau bedeutet weder junge frau noch die junge frau;<lb/>
alt-vordern weder alte vorderen noch die alten vordern.<lb/>
Die compo&#x017F;ition hat einen eigenthümlichen &#x017F;inn hervor-<lb/>
gebracht, der, &#x017F;obald man &#x017F;ie auflö&#x017F;et, nicht einmahl<lb/>
immer ver&#x017F;tändlich &#x017F;ein würde, z. b. in dem letzt ange-<lb/>
führten wort. Vielen adjectivi&#x017F;chen eigentl. zu&#x017F;. &#x017F;etzun-<lb/>
gen ent&#x017F;prechen daher einfache wörter fremder &#x017F;prachen,<lb/>
z. b. un&#x017F;erm alt-vater, jung-frau das lat. avus, virgo.</p><lb/>
              <p>4) die arten und wichtig&#x017F;ten fälle der adjectivi&#x017F;chen<lb/>
compo&#x017F;ition &#x017F;ind wie die der &#x017F;ub&#x017F;t. abzuhandeln.</p><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#i">Adjectiv mit &#x017F;ub&#x017F;tantiv.</hi> </head><lb/>
                <div n="6">
                  <head>A. <hi rendition="#i">verzeichnis nach dem er&#x017F;ten wort.</hi></head><lb/>
                  <p><hi rendition="#i">abrs</hi> (validus): daher vielleicht die ahd. eigennamen<lb/>
abar-hilt, aber-râm.</p><lb/>
                  <p><hi rendition="#i">alls</hi> (totus): die goth. &#x017F;prache unter&#x017F;cheidet in der<lb/>
compo&#x017F;ition <hi rendition="#i">ala-</hi> von <hi rendition="#i">all-</hi> (f. alla-?), die ahd. <hi rendition="#i">ala-</hi> von<lb/><hi rendition="#i">al-</hi> (für all- und dies für alla-), die ag&#x017F;. äl- von <hi rendition="#i">ëall-</hi>,<lb/>
die altn. <hi rendition="#i">al-</hi> von <hi rendition="#i">all-</hi> (Ra&#x017F;k §. 300.). Das er&#x017F;tere läßt<lb/>
&#x017F;ich formell nicht aus alls (totus) herführen und kann<lb/>
doch der bedeutung nach nicht anders wohin gehören.<lb/>
Wei&#x017F;t es auf ein älteres <hi rendition="#i">als</hi>, gen. alis, das &#x017F;ich hernach<lb/>
in <hi rendition="#i">alls</hi> gen. allis verwandelte? Oder wären <hi rendition="#i">als</hi> (das &#x017F;ich<lb/>
freilich nicht allein&#x017F;tehend vorzeigen läßt, bloß in der<lb/>
comp.) und <hi rendition="#i">alls</hi> zweierlei adj.? <hi rendition="#i">Ala-</hi> gibt den &#x017F;inn des<lb/>
griech. <hi rendition="#i">&#x03C0;&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03BF;-</hi>, lat. omni-; <hi rendition="#i">all-</hi> den des gr. <hi rendition="#i">&#x1F41;&#x03BB;&#x03BF;-</hi>; die<lb/>
zu&#x017F;. &#x017F;etzungen mit all- &#x017F;ind &#x017F;elten, die mit ala- häufig.<lb/>
Hierher fallen folgende &#x017F;ub&#x017F;tantiva: 1) mit <hi rendition="#i">ala</hi>: goth.<lb/>
alaþarba (nicht alla-þ.) Luc. 15, 14, einer, der an allem<lb/>
mangel leidet, man könnte þparba auch für die &#x017F;chw. adj.<lb/>
form nehmen; wahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t damit der goth. eigen-<lb/>
name ala-reiks (omnipotens) componiert (und die ver-<lb/>
muthung &#x017F;. 447. fal&#x017F;ch). &#x2014; ahd. ala-man (n. pr. und gen-<lb/>
tilit., in den ge&#x017F;etzen, urk. und ge&#x017F;chicht&#x017F;chreibern kommt<lb/>
die volle form ala-manni vor); ale-walto (omnipotens)<lb/>
N. 104. 21; die mei&#x017F;ten comp. &#x017F;tehen bei O. und N. in<lb/>
adverbiali&#x017F;chen redensarten und zwar <hi rendition="#i">&#x03B1;</hi>) mit <hi rendition="#i">in</hi> und dem<lb/>
acc.: in ala-drâtî (vehementi&#x017F;&#x017F;ime) O. II. 23, III. 26, 89;<lb/>
in ala-fe&#x017F;tî (firmi&#x017F;&#x017F;ime) O. V. 7, 107; in ala-gâhî (citi&#x017F;&#x017F;ime)<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R r 2</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[627/0645] III. adj. eigentl. comp. — adj. mit ſubſt. zuſ. ſetzung, ſei dieſes nun ſubſt. oder wiederum adj. oder participium. Allein die zuſ. ſetzung erzeugt freiere vielſeitigere begriffe, als das wirkliche adj., ſtünde es ne- ben dem zweiten wort, haben würde, z. b. das nhd. jung-frau bedeutet weder junge frau noch die junge frau; alt-vordern weder alte vorderen noch die alten vordern. Die compoſition hat einen eigenthümlichen ſinn hervor- gebracht, der, ſobald man ſie auflöſet, nicht einmahl immer verſtändlich ſein würde, z. b. in dem letzt ange- führten wort. Vielen adjectiviſchen eigentl. zuſ. ſetzun- gen entſprechen daher einfache wörter fremder ſprachen, z. b. unſerm alt-vater, jung-frau das lat. avus, virgo. 4) die arten und wichtigſten fälle der adjectiviſchen compoſition ſind wie die der ſubſt. abzuhandeln. Adjectiv mit ſubſtantiv. A. verzeichnis nach dem erſten wort. abrs (validus): daher vielleicht die ahd. eigennamen abar-hilt, aber-râm. alls (totus): die goth. ſprache unterſcheidet in der compoſition ala- von all- (f. alla-?), die ahd. ala- von al- (für all- und dies für alla-), die agſ. äl- von ëall-, die altn. al- von all- (Raſk §. 300.). Das erſtere läßt ſich formell nicht aus alls (totus) herführen und kann doch der bedeutung nach nicht anders wohin gehören. Weiſt es auf ein älteres als, gen. alis, das ſich hernach in alls gen. allis verwandelte? Oder wären als (das ſich freilich nicht alleinſtehend vorzeigen läßt, bloß in der comp.) und alls zweierlei adj.? Ala- gibt den ſinn des griech. παντο-, lat. omni-; all- den des gr. ὁλο-; die zuſ. ſetzungen mit all- ſind ſelten, die mit ala- häufig. Hierher fallen folgende ſubſtantiva: 1) mit ala: goth. alaþarba (nicht alla-þ.) Luc. 15, 14, einer, der an allem mangel leidet, man könnte þparba auch für die ſchw. adj. form nehmen; wahrſcheinlich iſt damit der goth. eigen- name ala-reiks (omnipotens) componiert (und die ver- muthung ſ. 447. falſch). — ahd. ala-man (n. pr. und gen- tilit., in den geſetzen, urk. und geſchichtſchreibern kommt die volle form ala-manni vor); ale-walto (omnipotens) N. 104. 21; die meiſten comp. ſtehen bei O. und N. in adverbialiſchen redensarten und zwar α) mit in und dem acc.: in ala-drâtî (vehementiſſime) O. II. 23, III. 26, 89; in ala-feſtî (firmiſſime) O. V. 7, 107; in ala-gâhî (citiſſime) R r 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/645
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/645>, abgerufen am 21.11.2024.