geht man von dem gedanken aus, die anfängliche flexion werde dasjenige von innen enthalten haben, womit sich die spätere sprache von außen behilft; so scheinen prae- positionen und pronomen als suffixe, mittelst welcher sich casusverhältnisse an der wurzel entwickeln, in be- tracht zu kommen. Nothwendigkeit liegt doch keine hierunter, weil umschreibung zwar der sache selbst ana- log, nicht identisch zu seyn braucht. -- 1) praepositionen sehen wir auf das verhältnis des gen. dat. acc. abl. eingeschränkt; einen dieser casus fordern sie wesentlich; sollen sie folglich auf die formation derselben angewandt werden, so hat man sie nicht als eigentliche praepositio- nen, sondern als bloße der wurzel angehängte partikeln anzusehen. Dergleichen urpartikeln unternehme ich nicht, aus irgend einer deutschen sprache nachzuweisen. Wären sie nachweislich, sie würden weder den nom. und voc. (welchem letztern das suffix einer interj. zukäme) noch die modificationen der zwei- und mehrzahl erklären. Das s (r) des nom. masc., der vocal des nom. f. und pl. neutr., das t (ß) des nom. sg. neutr. find von par- tikeln unabhängig; nicht weniger ist es das im pl. wal- tende und wenigstens im dat. und acc. den merkmah- len des sg hinzutretende s (r). 2) fragt es sich: ob das geschl. pers. pronomen (werde es nun mit seinen flexio- nen selbst erklärt oder als etwas unbegriffenes aufgestellt) allen übrigen declinierenden wörtern als suffix einver- leibt sey? so daß z. b. fisks: fisk -is (er fisch) blinds: blind -is (er blind) blindamma: blind -imma (blind ihm) bedente? etc. Die annahme führt, wie man sieht, kei- nen schritt weiter; geboten wäre sie bloß, wenn die individuelle gestalt jenes pron. in den flexionen der übri- gen wörter deutlich vorträte und der begriff selbst eine veränderung empfienge. Offenbar aber wird in blin- damma, gesetzt es stünde für blind-imma, die wurzel blind nicht anders bestimmt, als die wurzel i in imma und die eigenthümlichen formen des pron. treten ge- rade zurück. Namentlich mangelt das s des nom. fem. si, alth. siu; es heißt blinda, plintu nicht blindü, plint- siu. Das alth. demonstr. derer, disiu verräth eine ganz andere zus. setzung (aus der -er, diu -siu), nach jener ansicht wäre schon der = d-er, folglich derer = d -er -er. Will man dem siu selbst sein alter ableugnen, und ein früheres iu (goth. ija) behaupten, so schwindet da-
II. allg. vergleichung der declination.
IV. Bedeutung der caſusflexion.
geht man von dem gedanken aus, die anfängliche flexion werde dasjenige von innen enthalten haben, womit ſich die ſpätere ſprache von außen behilft; ſo ſcheinen prae- poſitionen und pronomen als ſuffixe, mittelſt welcher ſich caſusverhältniſſe an der wurzel entwickeln, in be- tracht zu kommen. Nothwendigkeit liegt doch keine hierunter, weil umſchreibung zwar der ſache ſelbſt ana- log, nicht identiſch zu ſeyn braucht. — 1) praepoſitionen ſehen wir auf das verhältnis des gen. dat. acc. abl. eingeſchränkt; einen dieſer caſus fordern ſie weſentlich; ſollen ſie folglich auf die formation derſelben angewandt werden, ſo hat man ſie nicht als eigentliche praepoſitio- nen, ſondern als bloße der wurzel angehängte partikeln anzuſehen. Dergleichen urpartikeln unternehme ich nicht, aus irgend einer deutſchen ſprache nachzuweiſen. Wären ſie nachweiſlich, ſie würden weder den nom. und voc. (welchem letztern das ſuffix einer interj. zukäme) noch die modificationen der zwei- und mehrzahl erklären. Das ſ (r) des nom. maſc., der vocal des nom. f. und pl. neutr., das t (Ʒ) des nom. ſg. neutr. find von par- tikeln unabhängig; nicht weniger iſt es das im pl. wal- tende und wenigſtens im dat. und acc. den merkmah- len des ſg hinzutretende ſ (r). 2) fragt es ſich: ob das geſchl. perſ. pronomen (werde es nun mit ſeinen flexio- nen ſelbſt erklärt oder als etwas unbegriffenes aufgeſtellt) allen übrigen declinierenden wörtern als ſuffix einver- leibt ſey? ſo daß z. b. fiſks: fiſk -is (er fiſch) blinds: blind -is (er blind) blindamma: blind -imma (blind ihm) bedente? etc. Die annahme führt, wie man ſieht, kei- nen ſchritt weiter; geboten wäre ſie bloß, wenn die individuelle geſtalt jenes pron. in den flexionen der übri- gen wörter deutlich vorträte und der begriff ſelbſt eine veränderung empfienge. Offenbar aber wird in blin- damma, geſetzt es ſtünde für blind-imma, die wurzel blind nicht anders beſtimmt, als die wurzel i in ïmma und die eigenthümlichen formen des pron. treten ge- rade zurück. Namentlich mangelt das ſ des nom. fem. ſi, alth. ſiu; es heißt blinda, plintu nicht blindü, plint- ſiu. Das alth. demonſtr. dërêr, diſiu verräth eine ganz andere zuſ. ſetzung (aus dër -ër, diu -ſiu), nach jener anſicht wäre ſchon dër = d-ër, folglich dërêr = d -ër -ër. Will man dem ſiu ſelbſt ſein alter ableugnen, und ein früheres iu (goth. ija) behaupten, ſo ſchwindet da-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0860"n="834"/><fwplace="top"type="header">II. <hirendition="#i">allg. vergleichung der declination.</hi></fw><lb/><divn="4"><head>IV. <hirendition="#i">Bedeutung der caſusflexion.</hi></head><lb/><p>geht man von dem gedanken aus, die anfängliche flexion<lb/>
werde dasjenige von innen enthalten haben, womit ſich<lb/>
die ſpätere ſprache von außen behilft; ſo ſcheinen prae-<lb/>
poſitionen und pronomen als ſuffixe, mittelſt welcher<lb/>ſich caſusverhältniſſe an der wurzel entwickeln, in be-<lb/>
tracht zu kommen. Nothwendigkeit liegt doch keine<lb/>
hierunter, weil umſchreibung zwar der ſache ſelbſt ana-<lb/>
log, nicht identiſch zu ſeyn braucht. — 1) <hirendition="#i">praepoſitionen</hi><lb/>ſehen wir auf das verhältnis des gen. dat. acc. abl.<lb/>
eingeſchränkt; einen dieſer caſus fordern ſie weſentlich;<lb/>ſollen ſie folglich auf die formation derſelben angewandt<lb/>
werden, ſo hat man ſie nicht als eigentliche praepoſitio-<lb/>
nen, ſondern als bloße der wurzel angehängte partikeln<lb/>
anzuſehen. Dergleichen <hirendition="#i">urpartikeln</hi> unternehme ich<lb/>
nicht, aus irgend einer deutſchen ſprache nachzuweiſen.<lb/>
Wären ſie nachweiſlich, ſie würden weder den nom. und<lb/>
voc. (welchem letztern das ſuffix einer interj. zukäme) noch<lb/>
die modificationen der zwei- und mehrzahl erklären.<lb/>
Das ſ (r) des nom. maſc., der vocal des nom. f. und<lb/>
pl. neutr., das t (Ʒ) des nom. ſg. neutr. find von par-<lb/>
tikeln unabhängig; nicht weniger iſt es das im pl. wal-<lb/>
tende und wenigſtens im dat. und acc. den merkmah-<lb/>
len des ſg hinzutretende ſ (r). 2) fragt es ſich: ob das<lb/><hirendition="#i">geſchl</hi>. <hirendition="#i">perſ</hi>. <hirendition="#i">pronomen</hi> (werde es nun mit ſeinen flexio-<lb/>
nen ſelbſt erklärt oder als etwas unbegriffenes aufgeſtellt)<lb/>
allen übrigen declinierenden wörtern als ſuffix einver-<lb/>
leibt ſey? ſo daß z. b. fiſks: fiſk -is (er fiſch) blinds:<lb/>
blind -is (er blind) blindamma: blind -imma (blind ihm)<lb/>
bedente? etc. Die annahme führt, wie man ſieht, kei-<lb/>
nen ſchritt weiter; geboten wäre ſie bloß, wenn die<lb/>
individuelle geſtalt jenes pron. in den flexionen der übri-<lb/>
gen wörter deutlich vorträte und der begriff ſelbſt eine<lb/>
veränderung empfienge. Offenbar aber wird in blin-<lb/>
damma, geſetzt es ſtünde für blind-imma, die wurzel<lb/>
blind nicht anders beſtimmt, als die wurzel i in ïmma<lb/>
und die eigenthümlichen formen des pron. treten ge-<lb/>
rade zurück. Namentlich mangelt das ſ des nom. fem.<lb/>ſi, alth. ſiu; es heißt blinda, plintu nicht blindü, plint-<lb/>ſiu. Das alth. demonſtr. dërêr, diſiu verräth eine ganz<lb/>
andere zuſ. ſetzung (aus dër -ër, diu -ſiu), nach jener<lb/>
anſicht wäre ſchon dër = d-ër, folglich dërêr = d -ër<lb/>
-ër. Will man dem ſiu ſelbſt ſein alter ableugnen, und<lb/>
ein früheres iu (goth. ija) behaupten, ſo ſchwindet da-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[834/0860]
II. allg. vergleichung der declination.
IV. Bedeutung der caſusflexion.
geht man von dem gedanken aus, die anfängliche flexion
werde dasjenige von innen enthalten haben, womit ſich
die ſpätere ſprache von außen behilft; ſo ſcheinen prae-
poſitionen und pronomen als ſuffixe, mittelſt welcher
ſich caſusverhältniſſe an der wurzel entwickeln, in be-
tracht zu kommen. Nothwendigkeit liegt doch keine
hierunter, weil umſchreibung zwar der ſache ſelbſt ana-
log, nicht identiſch zu ſeyn braucht. — 1) praepoſitionen
ſehen wir auf das verhältnis des gen. dat. acc. abl.
eingeſchränkt; einen dieſer caſus fordern ſie weſentlich;
ſollen ſie folglich auf die formation derſelben angewandt
werden, ſo hat man ſie nicht als eigentliche praepoſitio-
nen, ſondern als bloße der wurzel angehängte partikeln
anzuſehen. Dergleichen urpartikeln unternehme ich
nicht, aus irgend einer deutſchen ſprache nachzuweiſen.
Wären ſie nachweiſlich, ſie würden weder den nom. und
voc. (welchem letztern das ſuffix einer interj. zukäme) noch
die modificationen der zwei- und mehrzahl erklären.
Das ſ (r) des nom. maſc., der vocal des nom. f. und
pl. neutr., das t (Ʒ) des nom. ſg. neutr. find von par-
tikeln unabhängig; nicht weniger iſt es das im pl. wal-
tende und wenigſtens im dat. und acc. den merkmah-
len des ſg hinzutretende ſ (r). 2) fragt es ſich: ob das
geſchl. perſ. pronomen (werde es nun mit ſeinen flexio-
nen ſelbſt erklärt oder als etwas unbegriffenes aufgeſtellt)
allen übrigen declinierenden wörtern als ſuffix einver-
leibt ſey? ſo daß z. b. fiſks: fiſk -is (er fiſch) blinds:
blind -is (er blind) blindamma: blind -imma (blind ihm)
bedente? etc. Die annahme führt, wie man ſieht, kei-
nen ſchritt weiter; geboten wäre ſie bloß, wenn die
individuelle geſtalt jenes pron. in den flexionen der übri-
gen wörter deutlich vorträte und der begriff ſelbſt eine
veränderung empfienge. Offenbar aber wird in blin-
damma, geſetzt es ſtünde für blind-imma, die wurzel
blind nicht anders beſtimmt, als die wurzel i in ïmma
und die eigenthümlichen formen des pron. treten ge-
rade zurück. Namentlich mangelt das ſ des nom. fem.
ſi, alth. ſiu; es heißt blinda, plintu nicht blindü, plint-
ſiu. Das alth. demonſtr. dërêr, diſiu verräth eine ganz
andere zuſ. ſetzung (aus dër -ër, diu -ſiu), nach jener
anſicht wäre ſchon dër = d-ër, folglich dërêr = d -ër
-ër. Will man dem ſiu ſelbſt ſein alter ableugnen, und
ein früheres iu (goth. ija) behaupten, ſo ſchwindet da-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 834. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/860>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.