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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. allg. vergleichung der declination.
40) es ist eine anomalie der hochd. alt- und angels. so
wie der altfries. sprache, dem weibl. gen. pl. subst.
erster und zweiter decl. schwache form zu verleihen;
die angels. schreitet hierin noch weiter (s. 647. n° 7.).
Der goth. und nord. bleibt solcher misbrauch fremd.
II. erwägung der schwachen declination.

Behandeln wir das uns überlieferte als etwas stehen-
des, ohne nach seinem ursprung zu fragen, so läßt sich
die eigenthümlichkeit der schwachen decl. in folgende
allgemeine grundzüge faßen; a) alle casus mit strenger
ausnahme des nom. sg. jedes geschlechts zeigen ein cha-
racteristisches -n: auch dem dat. pl. mangelt es ge-
wöhnlich, nicht durchgehends. -- b) die drei geschlech-
ter sind zwar geschieden, weniger aber durch consonan-
ten, als durch vocale, deren verhältnis bei vergleichung
der einzelnen sprachen ziemlich räthselhaft erscheint.
Nur im goth. fällt auf das weibliche o ein licht durch
zus. stellung mit dem vorhin (s. 806.) bemerkten o des
gen. pl., gegenüber dem männl. und neutr. e. --
c) gleichheit des männl. und neutr. gen. sg. bleibt un-
gestört; im pl. wankt sie; gleichheit des nom. sg. fem.
mit dem nom. acc. pl. neutr. geht verloren, dagegen
tritt sie zwischen dem nom. sg. fem. und nom. acc. sg.
neutr. hervor.

Nähere prüfung der ganzen erscheinung hat mich
zu folgender theorie hingeführt: die schwache form
der subst. und adj. beruht im zusammenstoß eines prin-
cips der bildung (eben des schon erwähnten -n) mit
dem der flexion, wobei letzteres am ende überwältigt
wird und weicht, ersteres aber die natur eigentlicher
casus annimmt. Zuerst werde ich hiernach die schwa-
chen subst. (anm. 1-12.) dann die adject. (13-19.) zu
entwickeln suchen.

1) der weg, von dem ich ausgehe, würde dunkeler seyn,
wenn nicht die älteste unserer mundarten, die go-
thische
, unverdrängte überbleibsel des flexionsprin-
cips gehegt hätte. Es sind beim masc. sowohl als
fem. die -s des gen. sg. und des nom. acc. pl.; beim
neutr. das -s gen. sg. und das -a nom. acc. pl.;
endlich das -e gen. pl. masc. neutr. und o gen. pl.
fem., welche sich sämmtlich den ausgängen starker
form vergleichen. Der dat. pl. behauptet ganz die
ächte flexion, masc. neutr. -am, fem. -om, stößt
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II. allg. vergleichung der declination.
40) es iſt eine anomalie der hochd. alt- und angelſ. ſo
wie der altfrieſ. ſprache, dem weibl. gen. pl. ſubſt.
erſter und zweiter decl. ſchwache form zu verleihen;
die angelſ. ſchreitet hierin noch weiter (ſ. 647. n° 7.).
Der goth. und nord. bleibt ſolcher misbrauch fremd.
II. erwägung der ſchwachen declination.

Behandeln wir das uns überlieferte als etwas ſtehen-
des, ohne nach ſeinem urſprung zu fragen, ſo läßt ſich
die eigenthümlichkeit der ſchwachen decl. in folgende
allgemeine grundzüge faßen; a) alle caſus mit ſtrenger
ausnahme des nom. ſg. jedes geſchlechts zeigen ein cha-
racteriſtiſches -n: auch dem dat. pl. mangelt es ge-
wöhnlich, nicht durchgehends. — b) die drei geſchlech-
ter ſind zwar geſchieden, weniger aber durch conſonan-
ten, als durch vocale, deren verhältnis bei vergleichung
der einzelnen ſprachen ziemlich räthſelhaft erſcheint.
Nur im goth. fällt auf das weibliche ô ein licht durch
zuſ. ſtellung mit dem vorhin (ſ. 806.) bemerkten ô des
gen. pl., gegenüber dem männl. und neutr. ê. —
c) gleichheit des männl. und neutr. gen. ſg. bleibt un-
geſtört; im pl. wankt ſie; gleichheit des nom. ſg. fem.
mit dem nom. acc. pl. neutr. geht verloren, dagegen
tritt ſie zwiſchen dem nom. ſg. fem. und nom. acc. ſg.
neutr. hervor.

Nähere prüfung der ganzen erſcheinung hat mich
zu folgender theorie hingeführt: die ſchwache form
der ſubſt. und adj. beruht im zuſammenſtoß eines prin-
cips der bildung (eben des ſchon erwähnten -n) mit
dem der flexion, wobei letzteres am ende überwältigt
wird und weicht, erſteres aber die natur eigentlicher
caſus annimmt. Zuerſt werde ich hiernach die ſchwa-
chen ſubſt. (anm. 1-12.) dann die adject. (13-19.) zu
entwickeln ſuchen.

1) der weg, von dem ich ausgehe, würde dunkeler ſeyn,
wenn nicht die älteſte unſerer mundarten, die go-
thiſche
, unverdrängte überbleibſel des flexionsprin-
cips gehegt hätte. Es ſind beim maſc. ſowohl als
fem. die -s des gen. ſg. und des nom. acc. pl.; beim
neutr. das -s gen. ſg. und das -a nom. acc. pl.;
endlich das -ê gen. pl. maſc. neutr. und ô gen. pl.
fem., welche ſich ſämmtlich den ausgängen ſtarker
form vergleichen. Der dat. pl. behauptet ganz die
ächte flexion, maſc. neutr. -am, fem. -ôm, ſtößt
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[817/0843] II. allg. vergleichung der declination. 40) es iſt eine anomalie der hochd. alt- und angelſ. ſo wie der altfrieſ. ſprache, dem weibl. gen. pl. ſubſt. erſter und zweiter decl. ſchwache form zu verleihen; die angelſ. ſchreitet hierin noch weiter (ſ. 647. n° 7.). Der goth. und nord. bleibt ſolcher misbrauch fremd. II. erwägung der ſchwachen declination. Behandeln wir das uns überlieferte als etwas ſtehen- des, ohne nach ſeinem urſprung zu fragen, ſo läßt ſich die eigenthümlichkeit der ſchwachen decl. in folgende allgemeine grundzüge faßen; a) alle caſus mit ſtrenger ausnahme des nom. ſg. jedes geſchlechts zeigen ein cha- racteriſtiſches -n: auch dem dat. pl. mangelt es ge- wöhnlich, nicht durchgehends. — b) die drei geſchlech- ter ſind zwar geſchieden, weniger aber durch conſonan- ten, als durch vocale, deren verhältnis bei vergleichung der einzelnen ſprachen ziemlich räthſelhaft erſcheint. Nur im goth. fällt auf das weibliche ô ein licht durch zuſ. ſtellung mit dem vorhin (ſ. 806.) bemerkten ô des gen. pl., gegenüber dem männl. und neutr. ê. — c) gleichheit des männl. und neutr. gen. ſg. bleibt un- geſtört; im pl. wankt ſie; gleichheit des nom. ſg. fem. mit dem nom. acc. pl. neutr. geht verloren, dagegen tritt ſie zwiſchen dem nom. ſg. fem. und nom. acc. ſg. neutr. hervor. Nähere prüfung der ganzen erſcheinung hat mich zu folgender theorie hingeführt: die ſchwache form der ſubſt. und adj. beruht im zuſammenſtoß eines prin- cips der bildung (eben des ſchon erwähnten -n) mit dem der flexion, wobei letzteres am ende überwältigt wird und weicht, erſteres aber die natur eigentlicher caſus annimmt. Zuerſt werde ich hiernach die ſchwa- chen ſubſt. (anm. 1-12.) dann die adject. (13-19.) zu entwickeln ſuchen. 1) der weg, von dem ich ausgehe, würde dunkeler ſeyn, wenn nicht die älteſte unſerer mundarten, die go- thiſche, unverdrängte überbleibſel des flexionsprin- cips gehegt hätte. Es ſind beim maſc. ſowohl als fem. die -s des gen. ſg. und des nom. acc. pl.; beim neutr. das -s gen. ſg. und das -a nom. acc. pl.; endlich das -ê gen. pl. maſc. neutr. und ô gen. pl. fem., welche ſich ſämmtlich den ausgängen ſtarker form vergleichen. Der dat. pl. behauptet ganz die ächte flexion, maſc. neutr. -am, fem. -ôm, ſtößt F f f

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 817. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/843>, abgerufen am 22.07.2024.