krona etc. im mittelh. zu ruose, kruone werden kön- nen; der sprachgeist schwankte und betrachtete das aus- länd. wort bald als deutschen stoff, bald als undeutschen. Das ganze bestätigung meiner ansicht, daß alle hochd. uo früherhin o lauteten.
(UE) ue, umlaut des uo; beispiele: ueben (exercere) hueve (ungulae) buege (armi) fuegen (aptare) muejen (molestiam afferre) bluejen (florere) luejen (vociferare) kuele (frigor) gruene (viridis) hueten (custodire) grue- ßen (salutare) etc. Bei contractionen und oft im schwa- chen praet. rückumlaut, vgl. muon: erbluon (wilh. 2, 176b) -- ue weder mit iu noch ü zu verwechseln, so häufig beides in schlechten hss. geschieht; ü berührt ue nur in den seltnen fällen, wo uo auf u reimt, vgl. stuende:künde (Wilh. 2, 58b 62b 103a 131b). --
Schlußbemerkungen zu den vocalen
1) sechs einfache (kurze) a, e, e, i, o, u (y höchstens in fremden wörtern, auch beßer durch i geschrieben, weil z. b. boye, troys doch beie, treis lauten und auf deut- sche ei reimen); fünf gedehnte (lange) a, e, ei, o, au und noch fünf andere diphth. ei, ie, iu, ou, uo sämtlich mit betontem vorderm vocal. Die sieben längen (s. 242. 303.) sind hier: a, uo, au, ei, ou, ei, iu, also drei gedehnte zu vier andern, woraus sich die unwahr- scheinlichkeit der ansicht ergibt, daß ein mittelh. dia- lect ai für ei, ei für ei brauche, indem dann nur zwei gedehnte vocale (a und au) in jener reihe blieben und die mundart überhart seyn würde; man müste denn uo in o verwandeln d. h. beinahe die goth. reihe a, o, au, ai, au, ei, iu herstellen, aber eben ein solches o ist unerweislich, auch bereits als nebenlänge (statt des goth. au) erforderlich.
2) ob ein vocal lang sey, kann falls er ein bloß gedehn- ter ist (die länge der übrigen diphth. liegt am tage) erhellen a) aus der analogie älterer und verwandter dialecte. b) daraus, daß auf langen voc. nie geminierte consonanz folgt, rechtverstanden auch nie cons, ver- bindung in derselben silbe. außer bei contractionen c) am sichersten aus der verwendung mehrsilbiger wör- ter in der reimkunst. Nämlich wenn auf voc. und einfachen cons. der wurzel eine zweite silbe folgt und beide silben klingend reimen, ist der voc. erster silbe lang; reimen sie stumpf, so ist er kurz. Der lange
I. mittelhochdeutſche vocale.
krôna etc. im mittelh. zu ruoſe, kruone werden kön- nen; der ſprachgeiſt ſchwankte und betrachtete das aus- länd. wort bald als deutſchen ſtoff, bald als undeutſchen. Das ganze beſtätigung meiner anſicht, daß alle hochd. uo früherhin ô lauteten.
(UE) ue, umlaut des uo; beiſpiele: ueben (exercere) hueve (ungulae) buege (armi) fuegen (aptare) muejen (moleſtiam afferre) bluejen (florere) luejen (vociferare) kuele (frigor) gruene (viridis) hueten (cuſtodire) grue- Ʒen (ſalutare) etc. Bei contractionen und oft im ſchwa- chen praet. rückumlaut, vgl. muon: erbluon (wilh. 2, 176b) — ue weder mit iu noch ü zu verwechſeln, ſo häufig beides in ſchlechten hſſ. geſchieht; ü berührt ue nur in den ſeltnen fällen, wo uo auf u reimt, vgl. ſtuende:künde (Wilh. 2, 58b 62b 103a 131b). —
Schlußbemerkungen zu den vocalen
1) ſechs einfache (kurze) a, e, ë, i, o, u (y höchſtens in fremden wörtern, auch beßer durch i geſchrieben, weil z. b. boye, troys doch beie, treis lauten und auf deut- ſche ei reimen); fünf gedehnte (lange) â, ê, î, ô, û und noch fünf andere diphth. ei, ie, iu, ou, uo ſämtlich mit betontem vorderm vocal. Die ſieben längen (ſ. 242. 303.) ſind hier: â, uo, û, ei, ou, î, iu, alſo drei gedehnte zu vier andern, woraus ſich die unwahr- ſcheinlichkeit der anſicht ergibt, daß ein mittelh. dia- lect ai für ei, ei für î brauche, indem dann nur zwei gedehnte vocale (â und û) in jener reihe blieben und die mundart überhart ſeyn würde; man müſte denn uo in ô verwandeln d. h. beinahe die goth. reihe â, ô, û, ai, au, ei, iu herſtellen, aber eben ein ſolches ô iſt unerweiſlich, auch bereits als nebenlänge (ſtatt des goth. áu) erforderlich.
2) ob ein vocal lang ſey, kann falls er ein bloß gedehn- ter iſt (die länge der übrigen diphth. liegt am tage) erhellen a) aus der analogie älterer und verwandter dialecte. b) daraus, daß auf langen voc. nie geminierte conſonanz folgt, rechtverſtanden auch nie conſ, ver- bindung in derſelben ſilbe. außer bei contractionen c) am ſicherſten aus der verwendung mehrſilbiger wör- ter in der reimkunſt. Nämlich wenn auf voc. und einfachen conſ. der wurzel eine zweite ſilbe folgt und beide ſilben klingend reimen, iſt der voc. erſter ſilbe lang; reimen ſie ſtumpf, ſo iſt er kurz. Der lange
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I. mittelhochdeutſche vocale.
krôna etc. im mittelh. zu ruoſe, kruone werden kön-
nen; der ſprachgeiſt ſchwankte und betrachtete das aus-
länd. wort bald als deutſchen ſtoff, bald als undeutſchen.
Das ganze beſtätigung meiner anſicht, daß alle hochd.
uo früherhin ô lauteten.
(UE) ue, umlaut des uo; beiſpiele: ueben (exercere)
hueve (ungulae) buege (armi) fuegen (aptare) muejen
(moleſtiam afferre) bluejen (florere) luejen (vociferare)
kuele (frigor) gruene (viridis) hueten (cuſtodire) grue-
Ʒen (ſalutare) etc. Bei contractionen und oft im ſchwa-
chen praet. rückumlaut, vgl. muon: erbluon (wilh. 2,
176b) — ue weder mit iu noch ü zu verwechſeln, ſo
häufig beides in ſchlechten hſſ. geſchieht; ü berührt ue
nur in den ſeltnen fällen, wo uo auf u reimt, vgl.
ſtuende:künde (Wilh. 2, 58b 62b 103a 131b). —
Schlußbemerkungen zu den vocalen
1) ſechs einfache (kurze) a, e, ë, i, o, u (y höchſtens in
fremden wörtern, auch beßer durch i geſchrieben, weil
z. b. boye, troys doch beie, treis lauten und auf deut-
ſche ei reimen); fünf gedehnte (lange) â, ê, î, ô, û und
noch fünf andere diphth. ei, ie, iu, ou, uo ſämtlich
mit betontem vorderm vocal. Die ſieben längen (ſ.
242. 303.) ſind hier: â, uo, û, ei, ou, î, iu, alſo drei
gedehnte zu vier andern, woraus ſich die unwahr-
ſcheinlichkeit der anſicht ergibt, daß ein mittelh. dia-
lect ai für ei, ei für î brauche, indem dann nur zwei
gedehnte vocale (â und û) in jener reihe blieben und
die mundart überhart ſeyn würde; man müſte denn
uo in ô verwandeln d. h. beinahe die goth. reihe â,
ô, û, ai, au, ei, iu herſtellen, aber eben ein ſolches
ô iſt unerweiſlich, auch bereits als nebenlänge (ſtatt
des goth. áu) erforderlich.
2) ob ein vocal lang ſey, kann falls er ein bloß gedehn-
ter iſt (die länge der übrigen diphth. liegt am tage)
erhellen a) aus der analogie älterer und verwandter
dialecte. b) daraus, daß auf langen voc. nie geminierte
conſonanz folgt, rechtverſtanden auch nie conſ, ver-
bindung in derſelben ſilbe. außer bei contractionen
c) am ſicherſten aus der verwendung mehrſilbiger wör-
ter in der reimkunſt. Nämlich wenn auf voc. und
einfachen conſ. der wurzel eine zweite ſilbe folgt und
beide ſilben klingend reimen, iſt der voc. erſter ſilbe
lang; reimen ſie ſtumpf, ſo iſt er kurz. Der lange
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/386>, abgerufen am 23.11.2024.
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