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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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VORREDE.

Es hat kein langes besinnen gekostet, den ersten
aufschuß meiner grammatik mit stumpf und stiel, wie
man sagt, niederzumähen; ein zweites kraut, dichter
und feiner, ist schnell nachgewachsen, blüten und rei-
fende früchte läßt es vielleicht hoffen. Mit freuden
gebe ich dem publicum dieses seiner aufmerksamkeit
nunmehr würdiger gewordene werk, das ich mühsam
gepflegt, unter sorgen und nöthen, wo mir die arbeit
bald verleidet gewesen, bald (und nach Gottes güte
öfter) mein trost geblieben ist, bis dahin vollbracht habe.
Schädlich wurden ihm auch der gebotene drang unab-
läßiger ausarbeitung, welcher mir nie gestattete vorher
zu entwerfen, nachher zu beßern; dann eine unüber-
windliche neigung meiner natur, immer lieber fort zu
untersuchen, als das untersuchte darzustellen. Die er-
giebigkeit des feldes ist noch von solcher art, daß es
nie versagt und kein blatt der quellen wieder gelesen
werden kann, das nicht durch weitere aussichten er-
weckte, oder begangene fehler bereuen ließe; wenn nun
eine reiche errungenschaft zu geringerem lobe gereicht,
als vielseitig erwogene verwaltung und haushälterische
benutzung einer an sich schmälern, so mag mich tadel
treffen, daß ich nicht aus allen gefundenen sätzen den
gewinnst, dessen sie fähig sind, zu ziehen verstanden
habe, ja daß wichtige beleuchtungen zuweilen an unwirk-
samer stelle stehen. Nicht alle meine behauptungen kön-
nen stich halten, doch, indem man ihre schwäche ent-
decken wird, andere wege sich sprengen, auf denen die
wahrheit, das einzige ziel redlicher arbeiten und das
einzige, was in die länge hinhält, wann an den namen
derer, die sich darum beworben, wenig mehr gelegen seyn
wird, endlich hereinbricht; was uns das schwerste war,
darf der nachwelt kinderspiel, kaum der rede werth schei-
nen, alsdann ergibt sie sich neuen lösungen, wovon wir
noch keine ahnung hatten und kämpft mit hindernissen
da, wo wir alles abgethan wähnten. So gewis ist es,
daß jeder schärfer gespaltete stoff auf der einen seite
erleichtert, auf der andern erschwert; mittel, gleich-
sam handhaben, um seiner meister zu werden, sind
vervielfacht und unmöglich kann er uns ganz ent-
schlüpfen; dafür bleiben eine menge vorher mit aufge-
griffener einzelnheiten jetzt unberührt und unerfaßt.
Im großen ist die zu lösende aufgabe beträchtlich
vorgeschritten, im kleinen unbefriedigender geworden.

VORREDE.

Es hat kein langes beſinnen gekoſtet, den erſten
aufſchuß meiner grammatik mit ſtumpf und ſtiel, wie
man ſagt, niederzumähen; ein zweites kraut, dichter
und feiner, iſt ſchnell nachgewachſen, blüten und rei-
fende früchte läßt es vielleicht hoffen. Mit freuden
gebe ich dem publicum dieſes ſeiner aufmerkſamkeit
nunmehr würdiger gewordene werk, das ich mühſam
gepflegt, unter ſorgen und nöthen, wo mir die arbeit
bald verleidet geweſen, bald (und nach Gottes güte
öfter) mein troſt geblieben iſt, bis dahin vollbracht habe.
Schädlich wurden ihm auch der gebotene drang unab-
läßiger ausarbeitung, welcher mir nie geſtattete vorher
zu entwerfen, nachher zu beßern; dann eine unüber-
windliche neigung meiner natur, immer lieber fort zu
unterſuchen, als das unterſuchte darzuſtellen. Die er-
giebigkeit des feldes iſt noch von ſolcher art, daß es
nie verſagt und kein blatt der quellen wieder geleſen
werden kann, das nicht durch weitere ausſichten er-
weckte, oder begangene fehler bereuen ließe; wenn nun
eine reiche errungenſchaft zu geringerem lobe gereicht,
als vielſeitig erwogene verwaltung und haushälteriſche
benutzung einer an ſich ſchmälern, ſo mag mich tadel
treffen, daß ich nicht aus allen gefundenen ſätzen den
gewinnſt, deſſen ſie fähig ſind, zu ziehen verſtanden
habe, ja daß wichtige beleuchtungen zuweilen an unwirk-
ſamer ſtelle ſtehen. Nicht alle meine behauptungen kön-
nen ſtich halten, doch, indem man ihre ſchwäche ent-
decken wird, andere wege ſich ſprengen, auf denen die
wahrheit, das einzige ziel redlicher arbeiten und das
einzige, was in die länge hinhält, wann an den namen
derer, die ſich darum beworben, wenig mehr gelegen ſeyn
wird, endlich hereinbricht; was uns das ſchwerſte war,
darf der nachwelt kinderſpiel, kaum der rede werth ſchei-
nen, alsdann ergibt ſie ſich neuen löſungen, wovon wir
noch keine ahnung hatten und kämpft mit hinderniſſen
da, wo wir alles abgethan wähnten. So gewis iſt es,
daß jeder ſchärfer geſpaltete ſtoff auf der einen ſeite
erleichtert, auf der andern erſchwert; mittel, gleich-
ſam handhaben, um ſeiner meiſter zu werden, ſind
vervielfacht und unmöglich kann er uns ganz ent-
ſchlüpfen; dafür bleiben eine menge vorher mit aufge-
griffener einzelnheiten jetzt unberührt und unerfaßt.
Im großen iſt die zu löſende aufgabe beträchtlich
vorgeſchritten, im kleinen unbefriedigender geworden.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/11>, abgerufen am 22.12.2024.