chronischer Schlaflosigkeit der Irren; laue Bäder, namentlich aber viele Bewegung im Freien und Arbeit sind hier die Schlaf machenden Mittel. -- Das Chinin ist bei regelmässig intermittirenden Formen von Nutzen und kann mit Vortheil auch zur Beseitigung einzelner neuralgischer Zustände, welche oft von wesentlichem Einfluss auf Erzeugung von Wahnvorstellungen sind, gebraucht werden. Von ein- zelnen bisher ungebrauchten Mitteln (Brucin, Hachich etc.) lassen sich durch vorsichtige Versuche noch einige Bereicherungen der Therapie erwarten.
Die Spirituosa sind im Allgemeinen bei Irren, namentlich in allen frischen Fällen ganz zu vermeiden und auch in der Recon- valescenz nur mit grosser Vorsicht zu gestatten; bei sehr herunter gekommenen früheren Schnapstrinkern kommen übrigens Zustände tieferer Geistesschwäche mit serösen Infiltrationen der Extremitäten vor, wo sich der Gebrauch eines kräftigen Weins nützlich gezeigt hat.
Tabak wird von den Irren viel gebraucht -- freilich nur zum Schnupfen und Rauchen. Bekannt ist die grosse Vorliebe vieler, namentlich chronisch Kranker, für den Reiz des Schnupftabacks und eine mit Bonhommie gebotene Prise kann den Irren, der eben im Zuge ist, sich in heftigen Scheltworten zu vereifern, oft am besten unterbrechen und zur Aufmerksamkeit auf sich selbst und zur Ruhe bringen. Zuweilen werden wohl auch geschärfte Schnupftabacke, um eine blutige Secretion auf der Nasenschleimhaut hervorzurufen, mit Nutzen angewandt. Das Rauchen fördert den leichten Fluss der Gedanken und eine gleichmässige Stimmung; bei früherer Gewohnheit ist die wiederkehrende Lust dazu zu beachten und zu befördern; denn auch solchen an sich unbedeutenden, kleinen Gewohnheiten kann der Geist Hülfen entnehmen um sich selbst, den frü- heren Inhalt und die frühere Art der Gedankenrichtung wieder zu finden.
§. 171.
Die auf den Darmkanal wirkenden Mittel gehören zu den ältesten und auch heute noch am häufigsten gebrauchten. Ausser ihrer rationellen Indication bei trägem Stuhl, der in diesen Krankheiten so häufig ist, werden sie mit Vortheil in allen frischen mit Kopf- congestion verbundenen Fällen, und als Hauptmittel in den acut entzündlichen Zuständen des Gehirns gegeben. Hier passen die stark und schnell wirkenden Purganzen (Crotonöl u. dergl.); für eine mässigere Anwendung werden Senna, Rheum, Salze, wohl auch Gratiola u. dergl. in ziemlich willkürlicher Auswahl benützt. Der längere Fortgebrauch der milden Laxanzen (der weinsteinsauren, schwefelsauren, kohlensauren Natron- und Kali-Verbindungen, zuweilen als Mineralwasser) zeigt sich in diesen Fällen manchmal nützlich, auch ohne Infarcten aufzulösen. Oft wird übrigens bei entschiedenem
Narcotica. Purgantia.
chronischer Schlaflosigkeit der Irren; laue Bäder, namentlich aber viele Bewegung im Freien und Arbeit sind hier die Schlaf machenden Mittel. — Das Chinin ist bei regelmässig intermittirenden Formen von Nutzen und kann mit Vortheil auch zur Beseitigung einzelner neuralgischer Zustände, welche oft von wesentlichem Einfluss auf Erzeugung von Wahnvorstellungen sind, gebraucht werden. Von ein- zelnen bisher ungebrauchten Mitteln (Brucin, Hachich etc.) lassen sich durch vorsichtige Versuche noch einige Bereicherungen der Therapie erwarten.
Die Spirituosa sind im Allgemeinen bei Irren, namentlich in allen frischen Fällen ganz zu vermeiden und auch in der Recon- valescenz nur mit grosser Vorsicht zu gestatten; bei sehr herunter gekommenen früheren Schnapstrinkern kommen übrigens Zustände tieferer Geistesschwäche mit serösen Infiltrationen der Extremitäten vor, wo sich der Gebrauch eines kräftigen Weins nützlich gezeigt hat.
Tabak wird von den Irren viel gebraucht — freilich nur zum Schnupfen und Rauchen. Bekannt ist die grosse Vorliebe vieler, namentlich chronisch Kranker, für den Reiz des Schnupftabacks und eine mit Bonhommie gebotene Prise kann den Irren, der eben im Zuge ist, sich in heftigen Scheltworten zu vereifern, oft am besten unterbrechen und zur Aufmerksamkeit auf sich selbst und zur Ruhe bringen. Zuweilen werden wohl auch geschärfte Schnupftabacke, um eine blutige Secretion auf der Nasenschleimhaut hervorzurufen, mit Nutzen angewandt. Das Rauchen fördert den leichten Fluss der Gedanken und eine gleichmässige Stimmung; bei früherer Gewohnheit ist die wiederkehrende Lust dazu zu beachten und zu befördern; denn auch solchen an sich unbedeutenden, kleinen Gewohnheiten kann der Geist Hülfen entnehmen um sich selbst, den frü- heren Inhalt und die frühere Art der Gedankenrichtung wieder zu finden.
§. 171.
Die auf den Darmkanal wirkenden Mittel gehören zu den ältesten und auch heute noch am häufigsten gebrauchten. Ausser ihrer rationellen Indication bei trägem Stuhl, der in diesen Krankheiten so häufig ist, werden sie mit Vortheil in allen frischen mit Kopf- congestion verbundenen Fällen, und als Hauptmittel in den acut entzündlichen Zuständen des Gehirns gegeben. Hier passen die stark und schnell wirkenden Purganzen (Crotonöl u. dergl.); für eine mässigere Anwendung werden Senna, Rheum, Salze, wohl auch Gratiola u. dergl. in ziemlich willkürlicher Auswahl benützt. Der längere Fortgebrauch der milden Laxanzen (der weinsteinsauren, schwefelsauren, kohlensauren Natron- und Kali-Verbindungen, zuweilen als Mineralwasser) zeigt sich in diesen Fällen manchmal nützlich, auch ohne Infarcten aufzulösen. Oft wird übrigens bei entschiedenem
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Narcotica. Purgantia.
chronischer Schlaflosigkeit der Irren; laue Bäder, namentlich aber
viele Bewegung im Freien und Arbeit sind hier die Schlaf machenden
Mittel. — Das Chinin ist bei regelmässig intermittirenden Formen
von Nutzen und kann mit Vortheil auch zur Beseitigung einzelner
neuralgischer Zustände, welche oft von wesentlichem Einfluss auf
Erzeugung von Wahnvorstellungen sind, gebraucht werden. Von ein-
zelnen bisher ungebrauchten Mitteln (Brucin, Hachich etc.) lassen
sich durch vorsichtige Versuche noch einige Bereicherungen der
Therapie erwarten.
Die Spirituosa sind im Allgemeinen bei Irren, namentlich in
allen frischen Fällen ganz zu vermeiden und auch in der Recon-
valescenz nur mit grosser Vorsicht zu gestatten; bei sehr herunter
gekommenen früheren Schnapstrinkern kommen übrigens Zustände
tieferer Geistesschwäche mit serösen Infiltrationen der Extremitäten
vor, wo sich der Gebrauch eines kräftigen Weins nützlich gezeigt hat.
Tabak wird von den Irren viel gebraucht — freilich nur zum Schnupfen
und Rauchen. Bekannt ist die grosse Vorliebe vieler, namentlich chronisch
Kranker, für den Reiz des Schnupftabacks und eine mit Bonhommie gebotene
Prise kann den Irren, der eben im Zuge ist, sich in heftigen Scheltworten zu
vereifern, oft am besten unterbrechen und zur Aufmerksamkeit auf sich selbst
und zur Ruhe bringen. Zuweilen werden wohl auch geschärfte Schnupftabacke,
um eine blutige Secretion auf der Nasenschleimhaut hervorzurufen, mit Nutzen
angewandt. Das Rauchen fördert den leichten Fluss der Gedanken und eine
gleichmässige Stimmung; bei früherer Gewohnheit ist die wiederkehrende Lust
dazu zu beachten und zu befördern; denn auch solchen an sich unbedeutenden,
kleinen Gewohnheiten kann der Geist Hülfen entnehmen um sich selbst, den frü-
heren Inhalt und die frühere Art der Gedankenrichtung wieder zu finden.
§. 171.
Die auf den Darmkanal wirkenden Mittel gehören zu den
ältesten und auch heute noch am häufigsten gebrauchten. Ausser
ihrer rationellen Indication bei trägem Stuhl, der in diesen Krankheiten
so häufig ist, werden sie mit Vortheil in allen frischen mit Kopf-
congestion verbundenen Fällen, und als Hauptmittel in den acut
entzündlichen Zuständen des Gehirns gegeben. Hier passen die
stark und schnell wirkenden Purganzen (Crotonöl u. dergl.); für eine
mässigere Anwendung werden Senna, Rheum, Salze, wohl auch
Gratiola u. dergl. in ziemlich willkürlicher Auswahl benützt. Der
längere Fortgebrauch der milden Laxanzen (der weinsteinsauren,
schwefelsauren, kohlensauren Natron- und Kali-Verbindungen, zuweilen
als Mineralwasser) zeigt sich in diesen Fällen manchmal nützlich,
auch ohne Infarcten aufzulösen. Oft wird übrigens bei entschiedenem
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/373>, abgerufen am 03.03.2025.
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