im günstigen Falle im Durchschnitt ein sehr langsamer ist, dass man hier nach Monaten, ja nach Jahren zu rechnen hat; man muss warten können und die günstigen Zeitpunkte, die oft erst spät ein- treten, zu ergreifen wissen. Man muss sich hüten, jedem einzelnen Symptom, jeder einzelnen Aeusserung der kranken Stimmung und des irrenden Vorstellens besonders entgegentreten zu wollen, und indem man den Kranken stets genau beobachtet und strenge überwacht, kann man in vielen Fällen ohne alles stürmische Eingreifen bei ganz einfacher Behandlung einen spontanen günstigen Ausgang erwarten.
§. 162.
Denn die Beobachtung zeigt, dass sehr viele Fälle frischer Er- krankung ohne viele positive Behandlung, durch ein Verfahren, das sich auf Abhaltung aller schädlichen Einflüsse beschränkt, von selbst in Genesung übergehen. In dieser Beziehung bietet sich zu- nächst die causale Indication, die möglichste Beseitigung der Momente, durch deren Zusammenwirken die Krankheit entstanden ist, dar, und wenn hier die Aetiologie allerdings eine Anzahl wichtiger Ursachen aufweist, deren Entfernung niemals in der Hand des Arztes liegt (vgl. das zweite Buch), so genügt es doch oft, Eines der schäd- lichen Momente, seien es anderweitige Erkrankungen oder ungünstige psychische Einflüsse, zu beseitigen, um ihre gegenseitige Verkettung, aus der die Krankheit entstand, dauernd zu lösen. Man wird sich daher immer zuerst nach Mitteln und Wegen umzusehen haben, um den Kranken den Einflüssen zu entziehen, welche an seiner Erkran- kung Schuld waren. Das Verfahren zu diesem Ende ist verschieden genug. Die Beseitigung der körperlichen Ursachen (§. 81--87) hat nichts von sonstiger Behandlung dieser Zustände Abweichendes; eine vorzügliche Aufmerksamkeit dabei ist auf Alles, was Kopfcongestion setzen kann, und wieder auf alle Momente zu richten, welche, sei es durch directe Ueberreizung, sei es durch Herabsetzung der allge- meinen Ernährung und Körperkraft zu Ursachen nervöser Irritations- zustände werden können. -- Die Beseitigung der psychischen Ursa- chen besteht zum grössten Theile nur darin, dass ihr Weiterwirken gehindert, dass ihnen der Kranke für jetzt entzogen wird. Diess kann gewöhnlich nur geschehen durch eine radicale Umänderung seiner ganzen äusseren Lage, durch Entfernung aus den bisherigen Lebensverhältnissen; diess um so mehr, wenn der Kranke in ihnen immer noch stets neue Anlässe zu Verstimmung und widrigen Affecten findet, aber auch da, wo er selbst sich ihrer schädlichen Einwirkung
Causal-Indication.
im günstigen Falle im Durchschnitt ein sehr langsamer ist, dass man hier nach Monaten, ja nach Jahren zu rechnen hat; man muss warten können und die günstigen Zeitpunkte, die oft erst spät ein- treten, zu ergreifen wissen. Man muss sich hüten, jedem einzelnen Symptom, jeder einzelnen Aeusserung der kranken Stimmung und des irrenden Vorstellens besonders entgegentreten zu wollen, und indem man den Kranken stets genau beobachtet und strenge überwacht, kann man in vielen Fällen ohne alles stürmische Eingreifen bei ganz einfacher Behandlung einen spontanen günstigen Ausgang erwarten.
§. 162.
Denn die Beobachtung zeigt, dass sehr viele Fälle frischer Er- krankung ohne viele positive Behandlung, durch ein Verfahren, das sich auf Abhaltung aller schädlichen Einflüsse beschränkt, von selbst in Genesung übergehen. In dieser Beziehung bietet sich zu- nächst die causale Indication, die möglichste Beseitigung der Momente, durch deren Zusammenwirken die Krankheit entstanden ist, dar, und wenn hier die Aetiologie allerdings eine Anzahl wichtiger Ursachen aufweist, deren Entfernung niemals in der Hand des Arztes liegt (vgl. das zweite Buch), so genügt es doch oft, Eines der schäd- lichen Momente, seien es anderweitige Erkrankungen oder ungünstige psychische Einflüsse, zu beseitigen, um ihre gegenseitige Verkettung, aus der die Krankheit entstand, dauernd zu lösen. Man wird sich daher immer zuerst nach Mitteln und Wegen umzusehen haben, um den Kranken den Einflüssen zu entziehen, welche an seiner Erkran- kung Schuld waren. Das Verfahren zu diesem Ende ist verschieden genug. Die Beseitigung der körperlichen Ursachen (§. 81—87) hat nichts von sonstiger Behandlung dieser Zustände Abweichendes; eine vorzügliche Aufmerksamkeit dabei ist auf Alles, was Kopfcongestion setzen kann, und wieder auf alle Momente zu richten, welche, sei es durch directe Ueberreizung, sei es durch Herabsetzung der allge- meinen Ernährung und Körperkraft zu Ursachen nervöser Irritations- zustände werden können. — Die Beseitigung der psychischen Ursa- chen besteht zum grössten Theile nur darin, dass ihr Weiterwirken gehindert, dass ihnen der Kranke für jetzt entzogen wird. Diess kann gewöhnlich nur geschehen durch eine radicale Umänderung seiner ganzen äusseren Lage, durch Entfernung aus den bisherigen Lebensverhältnissen; diess um so mehr, wenn der Kranke in ihnen immer noch stets neue Anlässe zu Verstimmung und widrigen Affecten findet, aber auch da, wo er selbst sich ihrer schädlichen Einwirkung
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[345/0359]
Causal-Indication.
im günstigen Falle im Durchschnitt ein sehr langsamer ist, dass
man hier nach Monaten, ja nach Jahren zu rechnen hat; man muss
warten können und die günstigen Zeitpunkte, die oft erst spät ein-
treten, zu ergreifen wissen. Man muss sich hüten, jedem einzelnen
Symptom, jeder einzelnen Aeusserung der kranken Stimmung und
des irrenden Vorstellens besonders entgegentreten zu wollen, und
indem man den Kranken stets genau beobachtet und strenge überwacht,
kann man in vielen Fällen ohne alles stürmische Eingreifen bei ganz
einfacher Behandlung einen spontanen günstigen Ausgang erwarten.
§. 162.
Denn die Beobachtung zeigt, dass sehr viele Fälle frischer Er-
krankung ohne viele positive Behandlung, durch ein Verfahren, das
sich auf Abhaltung aller schädlichen Einflüsse beschränkt, von
selbst in Genesung übergehen. In dieser Beziehung bietet sich zu-
nächst die causale Indication, die möglichste Beseitigung der
Momente, durch deren Zusammenwirken die Krankheit entstanden ist,
dar, und wenn hier die Aetiologie allerdings eine Anzahl wichtiger
Ursachen aufweist, deren Entfernung niemals in der Hand des Arztes
liegt (vgl. das zweite Buch), so genügt es doch oft, Eines der schäd-
lichen Momente, seien es anderweitige Erkrankungen oder ungünstige
psychische Einflüsse, zu beseitigen, um ihre gegenseitige Verkettung,
aus der die Krankheit entstand, dauernd zu lösen. Man wird sich
daher immer zuerst nach Mitteln und Wegen umzusehen haben, um
den Kranken den Einflüssen zu entziehen, welche an seiner Erkran-
kung Schuld waren. Das Verfahren zu diesem Ende ist verschieden
genug. Die Beseitigung der körperlichen Ursachen (§. 81—87) hat
nichts von sonstiger Behandlung dieser Zustände Abweichendes; eine
vorzügliche Aufmerksamkeit dabei ist auf Alles, was Kopfcongestion
setzen kann, und wieder auf alle Momente zu richten, welche, sei
es durch directe Ueberreizung, sei es durch Herabsetzung der allge-
meinen Ernährung und Körperkraft zu Ursachen nervöser Irritations-
zustände werden können. — Die Beseitigung der psychischen Ursa-
chen besteht zum grössten Theile nur darin, dass ihr Weiterwirken
gehindert, dass ihnen der Kranke für jetzt entzogen wird. Diess
kann gewöhnlich nur geschehen durch eine radicale Umänderung
seiner ganzen äusseren Lage, durch Entfernung aus den bisherigen
Lebensverhältnissen; diess um so mehr, wenn der Kranke in ihnen
immer noch stets neue Anlässe zu Verstimmung und widrigen Affecten
findet, aber auch da, wo er selbst sich ihrer schädlichen Einwirkung
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/359>, abgerufen am 03.03.2025.
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