Wir theilen in Folgendem den von Arnold beschriebenen und einen von uns beobachteten Fall mit, zugleich als Beispiele des mannigfaltigen Zusammen- vorkommens der einzeln angeführten Läsionen.
Bei einem nach früheren Feldzügen und Excessen aller Art zuerst in Schwer- muth, dann in Wahnsinn und Paralyse Verfallenen fand sich der Schädel blut- reich; eine ausgebreitete Pseudomembran an der Innenfläche der Dura; Injection der Pia; Vereiterung des hintern Lappens der Glandula pituitaria: Granulation der Plexus chorioidei und des Septum; Verwachsung des Pes hippocampi beider Seiten mit der Decke des Cornu descendeus. In den vordern Lappen zwischen der grauen und weissen Substanz eine rosige Zwischensubstanz; auf den Vier- hügeln fest anhängende Gefässe. Durchgängige (ödematöse?) Erweichung des ganzen kleinen Gehirns, am stärksten am hintern Theil des obern Wurms; ober- flächliche Adhäsion desselben mit der Pia, deren Gefässe von Blut strotzen; am gezahnten Körper eine rosige Zwischensubstanz; bedeutende Granulationen auf dem Boden der vierten Kammer. Verknöcherungen der Gehirn- und der Körper- arterien; Herzerweiterung.
Im Juli 1844 starb in der hiesigen Clinik an Lungenödem und Herzkrankheit ein 73jähriger Mann, früher Soldat, Branntweintrinker und Gänsehirt in einem be- nachbarten Dorfe. Er hatte an entschiedenem Irresein gelitten, doch können wir hierüber nichts Näheres mittheilen, als dass er sich für einen General hielt, die Gänseheerden als Armeen behandelte, mit denen er operirte, und eine phantastische Uniform trug. Er hatte während seines Aufenthalts in der Clinik Incohärenz der Ideen gezeigt und seine letzten Tage in Halbschlummer mit leichten Delirien zu- gebracht. -- Wenige, aber grosse Pachion. Granulationen. Auf der Convexität der Windungen des grossen Gehirns die Häute zart, keine Atrophie der Win- dungen; auf den Durchschnittsflächen des grossen Gehirns fast überall ein fein- löcheriges Ansehen. Die Ventrikel collabirt; im rechten nichts Abnormes; im linken Seitenventrikel einige Klümpchen eines gelatinös-albuminös aussehenden Exsudats, sein hinteres Horn ist um einige Linien kürzer, als das des rechten Ventrikels, sein unteres Horn schon oben verengert, weiter unten vollständig verklebt und verschlossen; gleichfalls auf der linken Seite waren zwei Windun- gen der Insula ziemlich atrophisch. -- Die Meningen des Cerebellum verdickt und an vielen Stellen, besonders um die Mandeln, ebenso in den Zwischenräumen der Blätter mit zahlreichen, in erbsengrossen Häufchen sitzenden, den frischen pac- chionischen ganz ähnlichen Granulationen bedeckt.
§. 146.
Beim Ueberblicke über die erwähnten anatomischen Läsionen des Gehirns mag es vielleicht auffallen, die schweren Degenerationen dieses Organs durch pseudoplastische Neubildungen (Krebs, Geschwülste auf der basis cranii, grosse Gehirntuberkel, Acephalocystensäcke u. dergl.) zu vermissen. In der That finden sich solche nur selten bei den Kranken der Irrenhäuser. Nicht als ob sie nicht im Stande wären, die tiefsten psychischen Anomalieen hervorzubringen -- im späteren Krankheitsverlauf solcher Fälle ist vielmehr ein tiefer Blöd-
Pathologische Anatomie.
Wir theilen in Folgendem den von Arnold beschriebenen und einen von uns beobachteten Fall mit, zugleich als Beispiele des mannigfaltigen Zusammen- vorkommens der einzeln angeführten Läsionen.
Bei einem nach früheren Feldzügen und Excessen aller Art zuerst in Schwer- muth, dann in Wahnsinn und Paralyse Verfallenen fand sich der Schädel blut- reich; eine ausgebreitete Pseudomembran an der Innenfläche der Dura; Injection der Pia; Vereiterung des hintern Lappens der Glandula pituitaria: Granulation der Plexus chorioidei und des Septum; Verwachsung des Pes hippocampi beider Seiten mit der Decke des Cornu descendeus. In den vordern Lappen zwischen der grauen und weissen Substanz eine rosige Zwischensubstanz; auf den Vier- hügeln fest anhängende Gefässe. Durchgängige (ödematöse?) Erweichung des ganzen kleinen Gehirns, am stärksten am hintern Theil des obern Wurms; ober- flächliche Adhäsion desselben mit der Pia, deren Gefässe von Blut strotzen; am gezahnten Körper eine rosige Zwischensubstanz; bedeutende Granulationen auf dem Boden der vierten Kammer. Verknöcherungen der Gehirn- und der Körper- arterien; Herzerweiterung.
Im Juli 1844 starb in der hiesigen Clinik an Lungenödem und Herzkrankheit ein 73jähriger Mann, früher Soldat, Branntweintrinker und Gänsehirt in einem be- nachbarten Dorfe. Er hatte an entschiedenem Irresein gelitten, doch können wir hierüber nichts Näheres mittheilen, als dass er sich für einen General hielt, die Gänseheerden als Armeen behandelte, mit denen er operirte, und eine phantastische Uniform trug. Er hatte während seines Aufenthalts in der Clinik Incohärenz der Ideen gezeigt und seine letzten Tage in Halbschlummer mit leichten Delirien zu- gebracht. — Wenige, aber grosse Pachion. Granulationen. Auf der Convexität der Windungen des grossen Gehirns die Häute zart, keine Atrophie der Win- dungen; auf den Durchschnittsflächen des grossen Gehirns fast überall ein fein- löcheriges Ansehen. Die Ventrikel collabirt; im rechten nichts Abnormes; im linken Seitenventrikel einige Klümpchen eines gelatinös-albuminös aussehenden Exsudats, sein hinteres Horn ist um einige Linien kürzer, als das des rechten Ventrikels, sein unteres Horn schon oben verengert, weiter unten vollständig verklebt und verschlossen; gleichfalls auf der linken Seite waren zwei Windun- gen der Insula ziemlich atrophisch. — Die Meningen des Cerebellum verdickt und an vielen Stellen, besonders um die Mandeln, ebenso in den Zwischenräumen der Blätter mit zahlreichen, in erbsengrossen Häufchen sitzenden, den frischen pac- chionischen ganz ähnlichen Granulationen bedeckt.
§. 146.
Beim Ueberblicke über die erwähnten anatomischen Läsionen des Gehirns mag es vielleicht auffallen, die schweren Degenerationen dieses Organs durch pseudoplastische Neubildungen (Krebs, Geschwülste auf der basis cranii, grosse Gehirntuberkel, Acephalocystensäcke u. dergl.) zu vermissen. In der That finden sich solche nur selten bei den Kranken der Irrenhäuser. Nicht als ob sie nicht im Stande wären, die tiefsten psychischen Anomalieen hervorzubringen — im späteren Krankheitsverlauf solcher Fälle ist vielmehr ein tiefer Blöd-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0328"n="314"/><fwplace="top"type="header">Pathologische Anatomie.</fw><lb/><p>Wir theilen in Folgendem den von Arnold beschriebenen und einen von uns<lb/>
beobachteten Fall mit, zugleich als Beispiele des mannigfaltigen <hirendition="#g">Zusammen-<lb/>
vorkommens</hi> der einzeln angeführten Läsionen.</p><lb/><p>Bei einem nach früheren Feldzügen und Excessen aller Art zuerst in Schwer-<lb/>
muth, dann in Wahnsinn und Paralyse Verfallenen fand sich der Schädel blut-<lb/>
reich; eine ausgebreitete Pseudomembran an der Innenfläche der Dura; Injection<lb/>
der Pia; Vereiterung des hintern Lappens der Glandula pituitaria: Granulation<lb/>
der Plexus chorioidei und des Septum; Verwachsung des Pes hippocampi beider<lb/>
Seiten mit der Decke des Cornu descendeus. In den vordern Lappen zwischen<lb/>
der grauen und weissen Substanz eine rosige Zwischensubstanz; auf den Vier-<lb/>
hügeln fest anhängende Gefässe. Durchgängige (ödematöse?) Erweichung des<lb/>
ganzen kleinen Gehirns, am stärksten am hintern Theil des obern Wurms; ober-<lb/>
flächliche Adhäsion desselben mit der Pia, deren Gefässe von Blut strotzen; am<lb/>
gezahnten Körper eine rosige Zwischensubstanz; bedeutende Granulationen auf<lb/>
dem Boden der vierten Kammer. Verknöcherungen der Gehirn- und der Körper-<lb/>
arterien; Herzerweiterung.</p><lb/><p>Im Juli 1844 starb in der hiesigen Clinik an Lungenödem und Herzkrankheit<lb/>
ein 73jähriger Mann, früher Soldat, Branntweintrinker und Gänsehirt in einem be-<lb/>
nachbarten Dorfe. Er hatte an entschiedenem Irresein gelitten, doch können wir<lb/>
hierüber nichts Näheres mittheilen, als dass er sich für einen General hielt, die<lb/>
Gänseheerden als Armeen behandelte, mit denen er operirte, und eine phantastische<lb/>
Uniform trug. Er hatte während seines Aufenthalts in der Clinik Incohärenz der<lb/>
Ideen gezeigt und seine letzten Tage in Halbschlummer mit leichten Delirien zu-<lb/>
gebracht. — Wenige, aber grosse Pachion. Granulationen. Auf der Convexität<lb/>
der Windungen des grossen Gehirns die Häute zart, keine Atrophie der Win-<lb/>
dungen; auf den Durchschnittsflächen des grossen Gehirns fast überall ein fein-<lb/>
löcheriges Ansehen. Die Ventrikel collabirt; im rechten nichts Abnormes; im<lb/>
linken Seitenventrikel einige Klümpchen eines gelatinös-albuminös aussehenden<lb/>
Exsudats, sein hinteres Horn ist um einige Linien kürzer, als das des rechten<lb/>
Ventrikels, sein unteres Horn schon oben verengert, weiter unten vollständig<lb/>
verklebt und verschlossen; gleichfalls auf der linken Seite waren zwei Windun-<lb/>
gen der Insula ziemlich atrophisch. — Die Meningen des Cerebellum verdickt und<lb/>
an vielen Stellen, besonders um die Mandeln, ebenso in den Zwischenräumen der<lb/>
Blätter mit zahlreichen, in erbsengrossen Häufchen sitzenden, den frischen pac-<lb/>
chionischen ganz ähnlichen Granulationen bedeckt.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 146.</head><lb/><p>Beim Ueberblicke über die erwähnten anatomischen Läsionen<lb/>
des Gehirns mag es vielleicht auffallen, die schweren Degenerationen<lb/>
dieses Organs durch pseudoplastische Neubildungen (Krebs, Geschwülste<lb/>
auf der basis cranii, grosse Gehirntuberkel, Acephalocystensäcke u.<lb/>
dergl.) zu vermissen. In der That finden sich solche nur selten bei<lb/>
den Kranken der Irrenhäuser. Nicht als ob sie nicht im Stande<lb/>
wären, die tiefsten psychischen Anomalieen hervorzubringen — im<lb/>
späteren Krankheitsverlauf solcher Fälle ist vielmehr ein tiefer Blöd-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[314/0328]
Pathologische Anatomie.
Wir theilen in Folgendem den von Arnold beschriebenen und einen von uns
beobachteten Fall mit, zugleich als Beispiele des mannigfaltigen Zusammen-
vorkommens der einzeln angeführten Läsionen.
Bei einem nach früheren Feldzügen und Excessen aller Art zuerst in Schwer-
muth, dann in Wahnsinn und Paralyse Verfallenen fand sich der Schädel blut-
reich; eine ausgebreitete Pseudomembran an der Innenfläche der Dura; Injection
der Pia; Vereiterung des hintern Lappens der Glandula pituitaria: Granulation
der Plexus chorioidei und des Septum; Verwachsung des Pes hippocampi beider
Seiten mit der Decke des Cornu descendeus. In den vordern Lappen zwischen
der grauen und weissen Substanz eine rosige Zwischensubstanz; auf den Vier-
hügeln fest anhängende Gefässe. Durchgängige (ödematöse?) Erweichung des
ganzen kleinen Gehirns, am stärksten am hintern Theil des obern Wurms; ober-
flächliche Adhäsion desselben mit der Pia, deren Gefässe von Blut strotzen; am
gezahnten Körper eine rosige Zwischensubstanz; bedeutende Granulationen auf
dem Boden der vierten Kammer. Verknöcherungen der Gehirn- und der Körper-
arterien; Herzerweiterung.
Im Juli 1844 starb in der hiesigen Clinik an Lungenödem und Herzkrankheit
ein 73jähriger Mann, früher Soldat, Branntweintrinker und Gänsehirt in einem be-
nachbarten Dorfe. Er hatte an entschiedenem Irresein gelitten, doch können wir
hierüber nichts Näheres mittheilen, als dass er sich für einen General hielt, die
Gänseheerden als Armeen behandelte, mit denen er operirte, und eine phantastische
Uniform trug. Er hatte während seines Aufenthalts in der Clinik Incohärenz der
Ideen gezeigt und seine letzten Tage in Halbschlummer mit leichten Delirien zu-
gebracht. — Wenige, aber grosse Pachion. Granulationen. Auf der Convexität
der Windungen des grossen Gehirns die Häute zart, keine Atrophie der Win-
dungen; auf den Durchschnittsflächen des grossen Gehirns fast überall ein fein-
löcheriges Ansehen. Die Ventrikel collabirt; im rechten nichts Abnormes; im
linken Seitenventrikel einige Klümpchen eines gelatinös-albuminös aussehenden
Exsudats, sein hinteres Horn ist um einige Linien kürzer, als das des rechten
Ventrikels, sein unteres Horn schon oben verengert, weiter unten vollständig
verklebt und verschlossen; gleichfalls auf der linken Seite waren zwei Windun-
gen der Insula ziemlich atrophisch. — Die Meningen des Cerebellum verdickt und
an vielen Stellen, besonders um die Mandeln, ebenso in den Zwischenräumen der
Blätter mit zahlreichen, in erbsengrossen Häufchen sitzenden, den frischen pac-
chionischen ganz ähnlichen Granulationen bedeckt.
§. 146.
Beim Ueberblicke über die erwähnten anatomischen Läsionen
des Gehirns mag es vielleicht auffallen, die schweren Degenerationen
dieses Organs durch pseudoplastische Neubildungen (Krebs, Geschwülste
auf der basis cranii, grosse Gehirntuberkel, Acephalocystensäcke u.
dergl.) zu vermissen. In der That finden sich solche nur selten bei
den Kranken der Irrenhäuser. Nicht als ob sie nicht im Stande
wären, die tiefsten psychischen Anomalieen hervorzubringen — im
späteren Krankheitsverlauf solcher Fälle ist vielmehr ein tiefer Blöd-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/328>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.